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Oer 9. November
im Berliner Rundfunk

(Ein entsetzlicher Traum)

Alfred Braun, der Hauptsprechcr des
Berliner Rundfunks, in fieberhafter Auf-
regung über das zu erwartende Er-
scheinen des Ministers Severing vor dem
Mikrophon, hatte am Abend des 8. No-
vember einige äußerst kräftige Punsche
getrunken, dann legte er sich, mit dem
Manuskript der „Festrede" des Ge-
waltigen in der Hand, schlafen.

Da spielte ihm, nachdem er sanft
„eingeschnarcht" war, der neckische Gott
der Träume einen bösen Streich:

' Mit Frack und weißer Binde an-
getan, auf dem verklärten Antlitz die
vom „Box-Hause" für diesen Tag vor-
geschriebene republikanische Festtags-
miene, harrte Alfred schon eine Viertel-
stunde vor der festgesetzten Zeit im
Senderaum, bis endlich mit der allen
bedeutenden Geistern eigenen Pünktlich-
keit der Minister eintrat. Alfred Braun
durchfuhr es im ersten Augenblick wie
ein heiliger Schauer; kaum fähig,
den hohen Gast schärfer ins Auge zu
fassen, geleitete er ihn mit unzähligen
Bücklingen zum Mikrophon und flüsterte
mit ganz besonders weicher und seelen-
voller Stimme die bekannten Worte:
„Darf ich bitten — Herr Minister
, Severing!"

Der nahm ohne weiteres sein Ma-
nuskript vor und begann:

„Hochverehrte Genossinnen und Ge-
nossen! Heute gibt's kein Fest zu
feiern gleich anderen Festen! Keinen
Gedenktag gleich andern Gedenktagen!
Und wenn ich heute das Wort hier er-
greife, um vor dem deutschen Volke zu
sprechen" — hier erhob sich die Stimme
des Sprechers plötzlich zu einem mächtigen
Dröhnen — „so geschieht es, uni diese
niederträchtigste Tat der Weltgeschichte,
diesen Tag des Unheils, an dem ein
Haufen verantwortungsloser und ge-
wissenloser Rebellen unser deutsches
Vaterland —"

Alfred Braun, der, ganz im Banne
des hohen Gastes, bisher nur die Musik
der Worte, nicht ihren — Sinn ver-
nommen hatte, wurde aufmerksam, ein
das innerste Gebein zermürbender
Schrecken durchfuhr seine Glieder —
gleichzeitig rasselten ein halbes Dutzend
Telephone — Alarm, Alarm! Schon
stürzten aber auch Direktor Hagemann
und der überwachende Aufsichtsrat Heil-
mann mit allen Gebärden des Schreckens
hinein, um sich mit heiserem Wutgebrüll
auf den Sprecher zu stürzen, der —
das stellte sich alsbald heraus, nicht
Minister Severing, sondern ein „Hitler-
Mann" war, der seine auffallende
Ähnlichkeit niit dem Minister benutzt
hatte, um fünf Minuten vor dem Ein-
treffen des Festredners diesen Streich
auszuführen! Nachdem Hagemann und
Heilmann den „Hitler" in Stücke ge-
rissen, stürzten sie sich auf Alfred Braun,
der — in Schweiß gebadet, erwachte!

Oie Kunst, erfofgreid? zu fliegen

Der Flieger Kurt Drchmanu, der den
Atlantik in der Lage Räder oben, Kopf
nuten zu überqueren gedachte, wandte
sich, um die letzten technischen Ver-
feinerungen zu erfahren, an einen ihm
empfohlenen Meister der Flugkunst,
Herrn Henry Blasebalg. Herr Dreh-
mann bittet uns, über den Übungskurs
folgendes bekanntzugeben: „Da ich

unverheiratet und verwaist bin, hatte
mir Herr Blasebalg befohlen, meinen
78jährige» Großonkel Eduard mit-
zubringen. Sofort wurde ein lebendes
Bild gestellt und schon nach einer halben
Stunde überreichte niir Herr Blasebalg
fünfzig Klischees mit der Unterschrift:
,Der Pilot verabschiedet sich von seinem
78jährigen Onkel Eduard, der sich noch
täglich mit kaltein Brunnenwasser die
Zähne putzt.' Ob mein Onkel Eduard
dies tut, weiß ich nicht, jedenfalls er-
klärte mir Herr Blasebalg, daß das
Publikum darüber unterrichtet zu werden
wünscht, ob ich aus einer sporttreibenden
und sauberen Familie stamme. Dies
dürfte mit Hilfe der fünfzig Klischees
erreicht werden. — Danach begann der
zweite Kurs, der, wie mir der Meister
sagte, die Krone aller Erfolge in sich
berge. ,Sie werden,' fuhr Herr Blase-
balg fort, .natürlich zum Ehrenbürger
von New Jork, Chikago, Buffalo usw.
ernannt werden. Das weiß ich, das
weiß die Presse, weiß die ganze Welt.
Nur Sic selbst dürsten es nicht wissen,'
donnerte Herr Blasebalg und zugleich
bespritzte er mich mit einem ätzenden
Pfefferwasser, so daß ich die Hände vor
das Gesicht schlug und mir die Tränen ,
wie Wasser aus Leitungsröhren über
die Backen liefen. ,Ha, ha,' lachte
Herr Blasebalg, .sehen Sie, so nehmen

Sie die Ernennung zum Ehrenbürger
auf. und Sie werden in Amerika un-
vergessen bleiben. Dieser Schlauch mit
Pfesscrwasscr, im Ärmel anzubringen
und von dem etwa dort befindlichen
Schlauch für Whisky scharf getrennt zu
halten, kostet 250 Mark und ist für
Sie ebensoviel tausend Dollar wert.'
Ich nahm den Schlauch und begann
den dritte» Kurs. .Die in Amerika
unvermeidlichen Umarmungen,' lehrte
der Meister, .zeigen die Deutschen nieist
in einer ungeschickten, beinahe abwehreud-
seindlichen Haltung. Das macht dort
den denkbar schlechtesten Eindruck. Des-
halb ist Gewöhnung auch an nicht
immer sympathische Erscheinungen nötig.
Zu diesem Zweck' — Herr Blasebalg
drückte ans einen Klingelknopf — .habe
ich meine Schwiegermutter . . . ' —
Ich hörte nichts mehr, ich sah nur
etwas Furchtbares und schrie: .Herr

Blasebalg, ich breche den Kurs ab, ich
bitte . . .' ,Was,' brüllte Blasebalg,
,Sie Feigling, das bißchen Fliegen über
den Ententeich ist natürlich ein Dreck!
Da drüben beginnen die eigentlichen
Schwierigkeiten, wie Sie jetzt wohl
merken. - Fahren Sie im Kinderwagen
nach der Hasenheide, aber nicht . . .'
Ich hörte nichts mehr, mein Ozeanflug
ist erledigt, meine Nerven sind dem
nicht gewachsen. Zur Rechtfertigung
vieler, die wohl mit Flugzeug den
Atlantik überqueren, aber den Erfolg
nicht überstehen könnten, teilt Ihnen
dies mit

Ihr sehr ergebener
Kurt Drehmann,
verkehrter Amerika-Pilot a. D."

Zartgefühl

Auf einer Dresdener Tagung des
pazifistischen Weltbundes für Frauen-
stimmrecht erklärte der ehemalige Reichs-
finanzminister Reinhold, daß es leicht sei,
den Zeppelin in ein furchtbares Werk-
zeug „des Mordes und der Zerstörung"
umzuwandeln.

Reinhold hat sich deshalb nur so vor-
sichtig ausgcdrückt, um die anwesenden
Damen, besonders die aus Frankreich,
Polen, der Tschechei u. s. w., nicht allzu
heftig zu erschrecken. In Wirklichkeit hat

nämlich der Zeppelin gar keine Um-
wandlung mehr nötig! Denn er hat be-
reits in seiner jetzigen Gestalt nicht nur
ein „Mords"°Aufsehen erregt und die
Zweifel an seiner Tüchtigkeit „zerstört",
sondern sogar die Elemente zum Kampf
herausgefordert und dabei einen deutschen
Sieg errungen!

Kurz und gut: vom Zeppelin gilt in
Wahrheit das gleiche wie von Minister
Rcinhold: „Mau kann ihn so lassen!"

Wirklich sehr schade!

Der dänische Arzt und Historiker
Johnsson hat entdeckt, daß sowohl in
der Kathedrale in Rochester, wie auch in
der Westminster-Abtei und an verschie-
denen anderen Stellen in England der
Bezug von Kirchentüren aus Menscheu-
haut, und zwar zumeist ans.solcher von
gefangenen Dänen, geschnitten und her-
gestellt ist. Diese freundliche,Gewohnheit
der Verwendung der Haut seiner Feinde
scheint man im mittelalterlichen England

also ziemlich allgemein gehabt zu haben.
Solche Feststellungen sind für die Zeit-
genossen immer sehr interessant. Schade,
daß wir nicht mehr dabei sind, wenn die
Historiker in einigen hundert Jahren
Nachweisen werden, daß England und
Frankreich im zwanzigsten Jahrhundert
aus Michels Haut — vielleicht nicht
grade Kirchentür - Bezüge hergestellt, da-
für aber um so ausgiebiger — Riemen
geschnitten haben!
 
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