Goethe statt Mohrrüben
In der vorigen Spielzeit wurde in der berliner Volks-
bühne „Mudder Mews" von Stavenhagcn aufgesührt. Vor
ein paar Tagen nun, als ich zu unserem Freunde Müller
komme, treffe ich bei ihm Frau Schultze, und die beiden
reden über das Theater im allgemeinen und über dieses
Stück im besonderen.
„Sehnse, meine Herrn", sagte Frau Schultze, „det isn
feines Stück. So ausm Leben is det. Ick habe jleich zu
meinem Manne jesagt, Justav, sag ick, so sind de Schwieger-
mütter, akkurat so. Man soll ihr nich in de Wohnung lassen,
denn is der häusliche Friede hin. Hab ick recht oder Hab
ick unrecht? Nu sagen Sie mal selbst, meine Herrn!"
Wir verbreiteten uns also des längeren und breiteren
über die Eigenschasten der Schwiegermütter. Und dabei er-
fuhren wir gleich einmal aus sachkundigem Publikums-
munde, was aus dem Theater wirkt und worüber „wir"
sals Püblikümer) uns so freuen.
„Sie rügen, det die Leute immer jelacht haben, wenn die
olle Mews die junge Mews jefchuhriejelt hat. Sehnse, det
is es jrade, wat einen mal so ordentlich freut, wenn man
seststellen kann: bei die andern is es doch nich anders als
bei dir zu Hause. Überall derselbichte Stunk und Streit.
Und wissense warum? Weil keiner einen nach seine Fassong
selig werden lassen will. Immerzu mutz da an den lieben
Mitmenschen rumerzogen werden. Immerzu mutz det allens
so sein, wie een Dickschädel sich det einbildct. Et jinge alles
janz schön ruhig — aber nee, nu will einem eener mit Jewalt
seine Ansichten uffzwingen. Passense mal gut Obacht, meine
Herrn, ick werde Ihnen det sozusagen aus meine eijene Ehe
beweisen. Mein Mann, also nee, allens wat recht is: er is
een Prachtmann, wir sind ja nu ooch schon lange jenuch
verheirat, det ick mir son Urteil erlauben kann — also mein
Mann, früher, als er noch een anderer Mann war, da hatte
er mal so eine zeitlang eenen Rappel. Erst kriegte er seinen
Bildungsfimmel, da mutzten wir alle immerzu lesen, de
dollsten Sachen, Klasiiker und so. Dadabei kriegte er eines
Tages een Buch in de Hand von so eenem Naturarzt, ick
jloobe Hindhede hietz der, und der wollte, det wir nu alle
uff eenmal sollten nur noch von Mohrrüben leben, weil det
anjeblich sollte jesundheitsfördernd und for die Natur auf-
bauend wirken. Und nu mutzte ick immerzu Mohrrüben
kochen. Meinem Mann wäre et ja am liebsten jewesen,
wenn wir die Dinger ooch noch roh jeknabbert hätten. Aber
dajejen wenigstens konnte ick mir behaupten. Um diese
Zeit nu bekamen wir jrade een neues Dienstmädchen und,
wat soll ick Ihnen lange erzählen, det Meechen erklärte mir
doch jleich am ersten Tage: Mohrrüben? Ick esse keene
Mohrrüben.
Ick bin ja nu der Meinung, det Mohrrüben sehr wat
Jutes sind und keineswegs nur Schweinefutter, wie die
Leute sagen. Aber wer ihr nich mag, der mag ihr nu mal
nich. Und mein Mann, der wollte ihr ja nu ooch jleich ent-
schädigen und schenkte ihr, weil er von die Mohrrüben nich
lasten wollte, eenen Band Goethe. Damit hoffte er ihr
wohl noch zu bekehren. Und nun kam es mittags immer so:
wenn wir unsere Mohrrüben atzen, dann legte sich det
Meechen uff de Kautsch und las unterdesien Goethe, die
Leiden des jungen Weither. Det is wirklich wahr, meine
Herrn, eene Episode aus meinem Leben. Inzwischen sind
wir ja wieder von de Bücher und de Mohrrüben abjekom-
men, aber ick erzähle die Sache nur, weil det ebent auch
sone Jeschichte is, wo eener den andern mit zu Tode ärjern
kann, und wenn man denn nich selber einsichtig is und doch
tut, wat man will und sich denkt: Nu lauf du dir mal erst
diese Hörner ab!, denn jeht det schief — so wie mit die
Mutter Mews. Nötig wäre det nich jewesen, meine Herrn.
Ick bin damals in die Mohrrübenzeit ooch nich jleich int
Master jesprungen.
Aber sehnse, meine Herrn, det sind ebent solche Stücke,
wo man mal lacht über die Dummheiten der Menschen und
sich vornimmt: so machst du det selber nich. Nu mutz ick aber
mal rasch Kaffe machen. Auf Wiedersehen die Herrn."
So sprach Frau Schultze und verschwand. Wir standen
da und lachten, aber wir haben etwas gelernt. Schwieger-
mütter und Schwächen und das, was überall in jedem Hause
vorkommt: das wollen die Leute sehen. Mit einem Worte:
die heiteren Züge im Drama unseres Lebens. Sie locken
das lachen und zaubern Vergnügen, über dessen Ernst dann
jeder mit andern Gefühlen zu Hause gern nochmal nachdenkt.
Oie Herzogin von Atholl
Als Verteidigerin des Glaubens in Engelland
kämpft die Herzogin von Atholl voll Eifer entbrannt.
Sie kämpft bei Tage und sogar in der Nacht,
weil sie stark über den wahren Glauben wacht.
Sie kämpft für ihn heftig beim „five o’ clock“,
beim „breakfast“ und auch beim Abendgrog.
Als Vorstandsdame der Liga für Christen
bevorzugt sie drum die Bolschewisten,
weil ihr als besonderer Elaubensfeind
die deutsche Wiederaufrüstung erscheint:
datz die „Germans" ihrer Haut sich wehren,
will die gläubige Dame gar sehr empören.
„Ich finde das gräßlich, ja förmlich shocking",
so spricht sie, strickend an ihrem stocking.
„Nein, diese Germans sind gar nicht christlich!",
drum verehrt sie alles, was bolschewistisch.
Und so kommt Shakespeare hier nicht aus der Mode:
„Ist dies ,Atholl-heit', hat's doch Methode!"