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T,

Bumerang

Dr. Glau stand an der Brücke des Stadtparkes, offen-
sichtlich nach einem Hunde lugend. Dann beugte er sich
weit über das Geländer und schleuderte ein winziges Stück
Schokolade aus den Weg hinunter. Doch der struppige Kerl,
der da auf seinen vier Pfoten einhertappelte, nahm es eben-
sowenig zur Kenntnis wie die ältere Dame, die das Tier-
chen an der Leine führte. Wohl aber hatte ein Kinder-
fräulein den Vorgang bcobachter und wendete sich im Ton
der Belehrung an den ihr völlig fremden Arzt:

„Das ist ein echter Adranelli."

Sie meinte damit den Hund.

Glau starrte das Mädchen voller Berblüfsung an.
Plötzlich erbebte er in den Grundfesten, alles an ihm schüt-
telte und dröhnte, und laut lachend entfernte er sich, ohne
die ganz und gar verdatterte Donna auch nur im min-
desten über den Grund seines Ausbruchs aufzuklären.

Vorgeschichte:

Dr. Glau hatte den diesjährigen Urlaub in einem
schlesischen Dörfchen verbracht. Eines Nachmittags, als er
an der Seite seiner Frau durch die Wälder streifte, vernahm
er ein herzzerreißendes Weinen und Wimmern. Hastige
Schritte trugen ihn zum Försterhaus. Und da enthüllte sich
das Trauerspiel: ein winziges Etwas von einem Hund sollte
erschossen werden. Der von der Gattin gedrängte Glau
rettete das Kerlchen vor einem allzu frühen Ende und nahm
es, obwohl die Försterkinder nun erst recht jammerten, für
immer zu sich. Noch am selben Tag wurde es getauft. Glau
fand den Namen „Bumerang" am trefflichsten, weil es
immer davonflog und wieder zurückschnellte.

Es war ein seltsamer Hund, und um zu begreifen, wa-
rum ein paar Tage später die Menschen lächelnd stehen
blieben, als das Ehepaar mit seiner Neuerwerbung durch
die Straßen Breslaus zog, muß man misten, wie die Eltern
aussahen.

Der Vater: ein Dackel mit gelben, seidenweichen
Zotteln. Die Mutter: ein stichelhaariger Hühnerhund, rost-
braun und grau gefleckt. Bumerung war ein Züchtungs-
versuch.

. .. Glau und Gemahlin reisten nach Berlin zurück, und
der Heranwachsende Bumerang, jetzt sieben Wochen alt,
wurde der Obhut von Tante Melmer anvertraut.

Tante Melmer, die bei Doktors gleichsam im Austrag-
stüberl wohnte, war von früh bis spät damit beschäftigt, die
Kreuzung zu päppeln und auszuführen.

Die Spaziergänge erwiesen sich als überaus anstren-
gend: denn ununterbrochen scharten sich Neugierige um

Bumerang und bestaunten ihn schmunzelnd ob seines lustigen
Wesens. Ehepaare und Liebesleute gerieten bei seinem An-
blick erst in Entzücken, sodann in Streit.

„Guck mal den niedlichen Dackel!"

„Das ist kein Dackel. Das ist ein junger Setter."

„Das soll ein Setter sein? Dazu ist er viel zu kurz-
beinig. Nicht wahr, das ist ein kleiner Spaniel?"

Es war in der Tat ein ungewöhnliches Tierchen: kohl-
schwarz, ruppig, frech wie Oskar, Kopf eines Hühnerhundes,
riesige Schlappohren, silberne Kehle und Brust, silberne
Pfoten, weißes Schwanzspihchen.

Und alle kicherten und grinsten, so bald sie den Namen
„Bumerang" vernahmen.

Dauernd wurde Tante gefragt, welche Raste das eigent-
lich sei. Bei jedem Ausgang mindestens ein dutzend Mal.

Anfangs gab sie die wahnwitzigsten Auskünfte, weil sie
sich schämte, die Wahrheit cinzugestehn. Nach und nach
wurde sie wortkarg, und schließlich bat sie den Doktor um
Nat, was sie antworten solle auf die ewigen Fragen

Glau nuschelte todernst: „Sag ruhig, es ist ein echter
Adranelli."

Das Wort fiel ihm halt so ein.

Und Tante Melmer hatte denn wacker diese Weisung
befolgt.

Und der Adranelli hatte sich herumgesprochen.

Und flog wie ein Bumerang auf den Doktor zurück.

Mensch, meckre nicht!

Es hat schon manches sich im Leben
als klug und vorsorglich ergeben,
was man für Wahnsinn erst erklärt.

Was anfangs schwarz schien und belämmert,
das hat dann rosenrot gedämmert
und ist nun grau und längst verjährt.
Sorgfalt ist jeden Richters Pflicht.

Drum warte ab und meckre nicht!

Es ist schon mancher klug geworden,
der früher mit den wilden Horden
in Trümmerhaufen alles schlug.

Willst du die Einsicht ihm verwehren?

Je nun, dann kann er dich belehren,
denn er war dumm und ist nun klug.

Dem, der sich müht, mißtraut man nicht!

Tu' du dein Werk und meckre nicht!

Es kam nicht alles, wie du dachtest,
weil du die Illusion dir machtest,
daß man stets nur nach dir gefragt?

Du siehst Gebrechen noch und Mängel?

Und du, du bist ein reiner Engel,
der nie ein falsches Wort gesagt?

Ach, Freund, wenn dich der Hafer sticht,
mach's bester, aber meckre nicht!

Schau täglich zehnmal in den Spiegel,

dann gebe ich dir Brief und Siegel,

daß dir allmählich übel wird,

und daß du merkst, daß all dein Meckern,

dein unentwegtes Dreckverklcckern

die andern nicht, nur d i ch verwirrt!

Es sitzen Klüg're zu Gericht.

Geh'. Mensch, pack' an und meckre nicht!
 
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