Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kladderadatsch — 94.1941

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.2321#0670
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
...

Der Man» hinterm Zaun

Hinter dem Zaun, fern im Wcißenhausgarten,
dott sitzt ein Mann, welcher Roosevelt heißt.

Er sucht Zwischensallobst, Urkunden und Karten,
mit denen er wahllos die Mitwelt beschmeißt.

Er rührt oft die Trommel, stößt in die Posaune
und bräche so gern einen Krieg von dem Zaune.

Die Ränke und Pläne sind leicht zu durchschaun.

Die Welt zeigt mit Fingern de» Man» hinterm Zaun.

Hinter dem Zaun sitzt ein Mann und schwingt Reden,
es lauschen die Jünger mit höfischem Knix.

Die möglichste Hilfe verspricht er an jeden.
Unmögliches versprach er den Bolschcwiks.

Aus Biegen und Brechen ward Hilfe versprochen.

Arg sind sie verbogen und mehrfach gebrochen.

Sie warten umsonst mit gottlosem Vertrau»
auf jenes Versprechen am häuslichen Zaun.

Hinter dem Zaun fischt ein Männlein im trüben
und trachtet zu räubern, was Räuber geraubt.

Die Reste.der Krone, die Ubriggcblicbcn
vom britischen Leu, stülpt er gern aus sein Haupt.

Die Börse grüßt jetzt schon den Meister und Vater
mit Daoidstcrnbanner als Imperatec.

Einst wird ihm die Nachwelt ein Denkmal erbau»:
Hier wirkte und ruht jetzt der Mann hinterm Zaun.


Der Rooseveltglobus

Die Internationale Vereinigung 3er be-
freiten Kartographen, die soeben in
New York gegründet wurde, hat Mr.
Roosevelt zum Ehrenmitglied ernannt.
Der Vorgang ist bedeutungsvoll, weil
damit eine neue, moderne Auffassung
vom Wesen des Kartenzeichnens zum
Durchbruch gelangt ist, nachdem sie
bereits seit Jahren vergeblich um Aner-
kennung von seiten der geographischen
Wissenschaft gerungen hatte. Dieser
revolutionäre Vorgang ist wohl nur ver-
gleichbar mit jener historischen Befrei-
ung, die dank jüdischer Unterstützung
die bildende Kunst in den vergangenen
Jahrzehnten erlebte. Es war der epoche-
machende Gedanke der Befreiung von
dem sklavischen Vorbild der Natur, der
die schöpferischen Kräfte manches
Künstlers entfesselte, als es ihm gestat-
tet wurde, die Nase der abzubildenden
Person nicht immer mit stereotyper
Langweiligkeit mitten ins Gesicht, son-
dern auch einmal hinter das Ohr zu
setzen. Gerade in Deutschland hat man
ja volles Verständnis für diese Epoche
der befreiten Kunst, die nicht mit lang-
weiligen althergebrachten Farben mal-
ten, sondern beispielsweise mit Glas-
scherben, Flaschenkorken, Kämmen,
Haaren oder Dreck. Es war eine der
gewaltigsten Leistungen unseres Jahr-
hunderts, daß man sich entschloß, eine
„Weinende Niobe“ nicht nur dann als
solche anzuerkennen, wenn sie aus Mar-
mor gefertigt wurde, diesem in dreitau-
send' Jahren langweilig gewordenen
Wertstoff, sondern auch dann als mu-
seumsreif anzuerkennen, wenn sie
kunstvoll aus Konservenbüchsen gefer-
tigt worden war.

In einer Zeit, da das Morgenrot dieser
Freiheit längst über den Gefilden der
Bildenden Kunst aufgegangen war,
lag über den Bezirken der wissen-
schaftlichen Geographie immer noch
das tiefe Dunkel eines primitiven Na-
turalismus. Geographen und Karto-
graphen fühlten sich als Dienstleute
der Natur und sannen in völliger gei-
stiger Unfreiheit Tag und Nacht ledig-
lich darüber nach, wie sie auch die
letzte Möglichkeit eines Unterschiedes
zwischen der Natur und ihrer Schöp-
fung beseitigen könnten. Ja, sie woll-
ten noch „naturgetreuer“ sein als selbst
die photographische Platte und erfan-
den zahlreiche Methoden zur Entzer-
rung sogar der aus der Luft gemachten
photographischen Landschaftsaufnah-

Gegen die zur Unfreiheit geborenen
Verfechter dieser längst veralteten Art
von Land und Erdkunde machte sich
eine kräftige Opposition geltend. Wie
oft auch auf anderen Gebieten, so waren
auch hier zumeist Außenseiter die Kün-
der einer neuen Auffassung von dem
freien Gestaltungsrecht des Karto-
graphen. Schon vor Jahren hat ein eng-
lischer Ministerpräsident, es war Bald-
win, die Relativität kartographischer
Werte klar erkannt, indem er unter
dem Beifall zweier Völker erklärte,
Englands Grenze liege am Rhein. Jeder
seiner Nachfolger hat die Lehre von
der Labilität der Grenzen vertieft. So
sahen wir Englands Grenzen teils bis
zur Donau, teils ins Sudetenland, dann
nach Danzig und an die Weichsel und
schließlich in den letzten Tagen an die
Wolga gleiten.

Kladderadatsch

Aber .das alles blieb Stückwerk. Der
wahre Befreier der Kartographen aus
den Ketten veralteter Realitätsbegriffe
wurde der derzeitige Präsident der
USA. Franklin D. Roosevelt. Wenn der
Oberdada den Wohlklang des Lallens
und die Schönheit des Weißblechs als
Material der Venus von Milo entdeckte
und damit zum Befreier der Untalen-
tierten wurde, dann gebührt Roosevelt
der Ruhm der Emanzipation der Kar-
tographie. Ihm nämlich blieb es Vorbe-
halten, die bisher übliche kleine Grenz-
schiebung innerhalb eines Landes als
Großschieber auf ein interkontinentales
Ausmaß zu bringen.

Mit welch souveräner Leichtigkeit ver-
schob er ein Land aus dem europäischen
in den amerikanischen Bereich! Welch
kühne Entschlußkraft steht hinter der
den Finnen gegebenen Mitteilung, daß
ihr Vormarsch nach Osten die west-
liche Hemisphäre bedrohe!? Ist es nicht
ein Fehler der Schöpfung gewesen, daß
Amerika als einziger unter den 5 Erd-
teilen keine oder doch nur eine polare
Landverbindung zu den anderen Kon-
tinenten besaß und daß Tausende von
Meilen Wasserwüste zwischen ihm und
der übrigen Welt lagen, zu der sich
Amerika so hingezogen fühlt? Ist es
nicht wie eine späte Korrektur eines so
verfehlten Schöpfungsvorganges, wenn
Roosevelt die Sterne seiner Hemisphäre
nun auch über dem Weißen, dem

Schwarzen und dem Gelben Erdteil
leuchten läßt?

Wahrhaftig! Wenn einer die Ehrenmit-
gliedschaft in der sich zu neuen An-
schauungsformen bekennenden inter-
nationalen Vereinigung der Kartogra-
phen verdient hat, dann ist es dieser
Roosevelt!

Mit der Ehrenmitgliedschaft ist übri-
gens der freie Bezug jeder gewünschten
Karte jedes beliebigen Erdteils verbun-
den. Der Geehrte hat von dieser Mög-
lichkeit Gebrauch gemacht, indem er
folgende Karten bestellte: Erstens Süd-
amerika, gesehen durch eine deutsche
Brille (Made in USA.) mit amerikani-
schem Augenblinzeln; zweitens: Süd-
amerika, gesehen von Wallstreetaugen
durch eine panamerikanische Brille mit
Monroeschliff; drittens: eine auf aller-
feinstem Kreppapier in Rollenform an-
gebrachte Karte der deutschen Welt-
eroberungspläne, bei deren Gebrauch
synphonische Klänge aus der Dritten
Internationale und den Streitliedern
judämokratischer Union ertönen; vier-
tens: einen Globus, dessen Länder und
Meere von den Streifen und Sternen des
Banners der USA. rings überdeckt sind
und auf dem die Umrisse des fünften
Erdteils Australien zur Erinnerung an
Franklin D. Roosevelt, dem Schöpfer
der USA.-World, in dessen markante
Silhouette mit Doppelkinn umgewandelt
wurden. ihnton
 
Annotationen