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Die Boje

Der britische Nachrichtendienst meldet
aus Kairo, dort sei dieser Tage ein an-
geblicher Tanzbär verhaftet worden,
der in Wirklichkeit ein raffiniert ge-
tarnter deutscher Spion gewesen sei.
Da nun leider die Sache bereits an die
Öffentlichkeit gedrungen ist, kann
auch der „Kladderadatsch“ nicht länger
schweigen und muß zugeben, daß der
Bär, den man da der Weltpresse aufge-
bunden hat, kein Spion war, sondern
sein ägyptischer Geheimkorrespondent.
Glücklicherweise bestätigt sich jedoch
die Nachricht von seiner Verhaftung
nicht. Wie er uns vielmehr soeben aus
Washington funkt, ist es ihm gelungen,
in Gestalt einer Seeschlange die Ver-
einigten Staaten von Nordamerika zu
erreichen, sich dort in einen Salon-
löwen zu verwandeln und Zutritt zum
Weißen Haus zu erhalten. Über sein
erstes Auftreten in neuer Tarnung liegt
folgender Bericht des USA.-Korrespon-
denten einer schwedischen Zeitung vor:
„Ein Beamter, der eines Morgens im
Weißen Haus erschien, fand Roosevelt
im Bette liegend, umgeben von Morgen-
zeitungen, vor. Er diskutierte mit Chur-
chill, der — nur mit einem Morgenrock
bekleidet — im Zimmer auf und ab spa-
zierte. Der Besucher war so erstaunt
über diesen Anblick, daß er fast seinen
Auftrag vergaß.“ Näheres über diesen
Vorfall und seine Folgen erzählten die
folgenden Originalmeldungen unseres
Geheimberichterstatters:

Washington, im Januar 1942.

Der aus schwedischen Presseberichten
bekannte Besuch Ihres als Beamter des
Foreign Office verkleideten Korrespon-
denten im Weißen Haus hat keine be-
sonders nachteiligen Folgen gehabt.
Nach Überwindung einer schweren Ohn-
macht stellte sich nur heraus, daß Ihr
Korrespondent durch die Schlafzimmer-
szene derart vor den Kopf geschlagen
war, daß er nunmehr eine krumme Nase
und Plattfüße hat. In geschickter Aus-
nutzung dieser Tatsache bewarb er sich
um den Posten eines Privatsekretärs
bei Herrn Litwinow-Finkeistein und
hatte das Glück, daß diesem die neue
Nase gefiel, so daß seiner Anstellung
nichts mehr im Wege stand.
Washington, im Januar 1942.

(Zweiter Bericht.)

Trotz der imponierenden Sprachkennt-
nisse Litwinows — er spricht jiddisch,
mit de Händ und durch de Nas — be-
reitet ihm die Lektüre der USA.-Presse
gewisse Schwierigkeiten. Ihr Bericht-
erstatter muß ihm daher alles Wichtige
/>us den Zeitungen vorlesen. Die erste
Vorlesung brachte einen Begrüßungs-
artikel zur Kenntnis des Sowjet-Bot-
schafters. „Im vergangenen Monat ist
nun Litwinow zum zweiten Male nach
den USA. gestartet. Seine rundliche
Gestalt erscheint den Amerikanern wie
eine Boje, an der sich die geknickten
Hoffnungen, Deutschland kleinzukrie-
gen, neu verankern können." Hier un-
terbrach Herr Finkeistein die Lektüre
und sagte: „Rundliche Gestalt — nu
nee, nich! Wenn ich schon bringe nischt
wie a mageren' Trost für die Goyim,
soll ich selber auch sein klapprig wie
die Englandhilfe?“ — Dann öffnete er
die Tür zu seinen Privatgemächern und
rief seiner Frau zu: „Riffke, haste Ge-
schmack! Die Goyim haben geschrieben,
ich wär ä Boje! Sieh nach im Lexikon,
ob das nich vielleicht is ä Injurie!“

Washington, im Januar 1942.

(Dritter Bericht.)

Heute wurden weitere Begrüßungsarti-
kel aus amerikanischen Zeitungen ver-
lesen. Litwinow hatte inzwischen fest-
gestellt, daß „Boje“ keine Beleidigung
ist und der Vergleich mit einer solchen
für Menschen nur dann etwas Kränken-
des hat, wenn der Ausdruck „morsche
Boje" gebraucht wird, der aber nur in
Berlin heimisch ist. So saß denn Stalins
Sendbote, sonnte sich im Glanze der
freundlichen Worte, die an sein Ohr
drangen, und murmelte gerade: „Ä
Boje bin ich, ä Boje — und Tate Stalin
hat gesagt, ich wär ä Chammer!", als
eine Pressestimme laut wurde, die vol-
ler Ironie auf die unvergleichlichen Er-
folge der Sowjetunion auf dem Gebiete
des siegreichen Rückzuges hinwies. Lit-
winow rollte aus dem Sessel und schrie
mit überschnappender Stimme: „Haißt
ä Chuzpe, was das is! Spricht mer esoi
von einer Boje!“ In seine Aufregung
hinein platzte Riffke Wallach-Finkel-
stein, sah ihren Gemahl strafend an
und sagte: „Haißt ä Untam, was du
bist! Ze was sennen da die Zeitungs-
jüden in Sowjetien? Red ka Stuß und
geh schreiben ä paar Petites für der
Prawda!"

Washington, im Januar 1942.

(Vierter Bericht.)

Als Ihr Berichterstatter heute seinen
Dienst antreten wollte, fand er in der

Sowjetbotschaft jenen Zustand vor, den
das Erste Buch Moses mit dem Aus-
druck „Tohuwabohu“ bezeichnet. „Le-
sen Se mer vor“, schrie Litwinow, „was
die Chuzpochonder wellen unternom-
men gegen meine Exzellenz." Die Mel-
dung, die Herrn Litwinow so erregt
hatte, besagte, daß man auf der Presse-
konferenz im Weißen Haus Herrn
Roosevelt einen Artikel aus der „Praw-
da“ vorgelesen hatte, in dem Herr Lit-
winow schrieb: „Die Lage der Ameri-
kaner im Pazifik ist die eines Tausend-
füßlers, der auf den Rücken gefallen ist
und hilflos mit seinen Füßen in der
Luft zappelt, ohne seinen Halt wieder-
zufinden.“ — Die Interpellanten im
Weißen Haus fragten mit Bezugnahme
auf diesen Artikel, warum man denn
ausgerechnet den stets wortbrüchigen,
perfiden Litwinow als Sowjetbolschaf-
ter haben müsse. — „Sagen Sie mir“,
wendete sich der Angegriffene an Ihren
Berichterstatter, „Se sennen doch ä
ausgeruhtes Ponim — was bedarf ich
ze tun in diesem Falle?" — „Weisen
Sie doch darauf hin“, war die Antwort,
„daß Sie als Diplomat immun sind ge-
gen -“ „Is .immun' ä Beleidigung",

unterbrach Litwinow. „Für Sie nicht,
Herr Litwinow! Bloß, daß Sie Diplomat
und immun sind, ist eine Beleidigung
für die wirklichen Diplomaten!“ —

Die Tätigkeit Ihres Berichterstatters im
Hause Litwinow fand mit dieser Ant-
wort ihr Ende. «>»!.

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I

Kladderadatsch
 
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