Wir haben ihn zwar schwer, jedoch ertragen.
Sein schlimmster Ansturm ist nun abgeprallt.
Er siihlt sich trotzdem längst noch nicht geschlagen,
obwohl er merkt: Es schwindet die Gewalt.
Das Licht besiegt die Finsternis aus Erde»,
wenn auch die Welt in Eises Ketten klirrt.
Nur Mut, es wird schon wieder wärmer ivrrdcn.
Wir hoffen, daß es einmal Frühling wirb.
Schon zieht die Sonne täglich größre Kreise,
steigt leuchtend aus zu uns aus fernem Ost.
Aus Süden wehen Winde lind und leise,
es schmilzt der Schnee, und langsam weicht der Frost.
Wenn hin und wieder uns ei» Märzenschaucr
mit Schnee und Hagel um die Ohren schwirrt:
Er geht vorbei, ist nur von kurzer Dauer.
Wir glauben, daß es wieder Frühling wird.
2m Wind verwehn der Feinde Hirngespinste,
die aufgebaut aus lauter Lug und Trug.
Sie lösen sich wie graue Nebeldünstc,
verschwinden nun als winterlicher Spul.
Za, wenn ein Volk so eng und fest verschworen
vorwärts marschiert, kraftvoll und unbeirrt,
dann hat der Winter selbst die Macht verloren.
Wir wissen, daß es wieder Frühling wird.
Aus dem großen
plutokratischen Traumbuch
Nach mehrjährigem Besuch bei dem be-
kannten Bankräuber Josef Dschugasch-
wili in Moskau war seiner britischen
Majestät außerordentlicher Botschafter
Sir Stafford Cripps in jene Gefilde
heimgekehrt, wo man die widerrecht-
liche persönliche Bereicherung auf
mehr urbane Weise durch Pokerspiel,
Börsenmanöver und überteuerte Ver-
mietung von Slums durchzuführen ge-
wöhnt ist: nach England. Dank der
ungewöhnlichen Rührigkeit seiner Ah-
nen in den drei genannten Berufen hatte
er selbst zeitlebens keine Tätigkeit aus-
zuüben brauchen, und so widmete er
sich denn auch nach seiner Heimkehr
auf die Plutokraten-Insel einer mög-
lichst dichten Annäherung an das bri-
tische Gewissen: er schlief.
Aber — anscheinend konnte sein Ma-
gen das heimische Hammelfett nicht
mehr vertragen'— er schlief schlecht.
Es war ihm, als lege sich eine schwere
Last drückend und erstickend auf seine
Brust, und richtig: er sah eine unend-
liche Reihe aufgeknackter Geldschränke
und gesprengter Safes, die von der
Kremlmauer heruntergeworfen wurden.
Herr Kalinin, den er in seiner letzten
Rundfunkrede einen „weisen und schar-
manten Mann“ genannt hatte, entrollte
ein Banner mit der von Dschugaschwili
eigenhändig daraufgemalten Inschrift:
„Proletarier aller Länder, vereinigt
euch — aber nicht beim Kassieren!"
Irgendwo in den Lüften begann eine
atonale Schalmeienkapelle eine Para-
phrase über die „Internationale“, und
schon erblickte Cripps prächtige Schlös-
ser in herrlichen Gärten, und er sah
gerade, wie man den Schloßherrn mit
Benzin übergoß und anzündete, die
übrigen männlichen Bewohner an die
Fensterkreuze hängte, die Damen je-
doch -Cripps wollte protestie-
rend dazwischentreten, aber da spürte
er etwas Hartes, Kaltes in seinem Ge-
nick. War es der Lauf eines Revolvers?
— Mit einem furchtbaren Schrei er-
wachte er schweißgebadet, entfei-nte
aus der Nähe seiner Nackenwirbel den
Knopf des Kopfkissenbezuges, der ihn
so gedrückt und erschreckt hatte, und
schickte dann zum pensionierten Erz-
bischof von Canterbury.
Der hochwürdige Herr, der sich nach
Aufgabe seines Hetzredengeschäfts
ohnehin langweilte, kam natürlich so-
fort, obwohl von einer Seele, für die zu
sorgen wäre, bei Cripps als echtem Bri-
ten nicht die Rede sein konnte.
Der Erzählung des Angsttraumes lausch-
te er mit einem fröhlichen Grinsen, dann
schlug er das große, plutokratische
Traumbuch auf und begann daraus vor-
zulesen. „Sichel und Hammer", las er,
„sind für jeden Plutokraten ein günsti-
ges Vorzeichen. Sie stellen ein Ana-
gramm dar, dessen Auflösung nach
sinngemäßer Versetzung der Buchsta-
ben lautet: .Sicher und Hammel'. Daß'
wir auf unserer Insel sicher sind, haben
Jahrhunderte bewiesen, daß wir zu den
Hammeln zählen, braucht nicht bewie-
sen zu werden, denn der Mensch ist,
was er ißt. Somit kann die Traum-
vision von .Hammer und Sichel' über
England nur bedeuten, daß wir Ham-
mel sicher sind.“
Der abgetakelte Heuchelgreis las noch
viel und lange, und als er geendet hatte,
war es für Cripps gerade Zeit, eine
neue Rede zu halten. Darin hieß es u. a.:
„Im Sowjetland kämpfen unsere Alliier-
ten bei Schnee und Wind und bei
42 Grad. Nur Tanz und Theater hat man
ihnen gelassen. Daß wir all das Schreck-
liche nicht durchleben, verdanken wir
erstens den herrlichen Rückzugsgefech-
ten unserer Armee in Dünkirchen und
Kreta, zweitens dem Krieg der Nazis
gegen Stalin. Wir alle sehnen uns nach
einer neuen Welt nach dem Kriege,
einer Welt der Freiheit und der christ-
lichen Zivilisation. Nach dem Siege über
die Nazis wird es ein bolschewistisches
Europa geben, dessen Hauptstadt Ber-
lin sein wird. Es ist fast so, als ob wir
Zuschauer, nicht Mitspieler wären. Ich
möchte dies mit dem Unterschied ver-
gleichen, der zwischen einer Schar be-
geisterter Zuschauer bei einem Fußball-
spiel und einem Mann der Mannschaft
besteht.“ —
Die Wirkung der Rede war ungeheuer.
Aus allen Teilen des Landes kamen tele-
phonische Anfragen. So erkundigte sich
ein Mitglied des Oberhauses, ob die
Orte „Schnee“, „Wind“ und „42 Grad“,
die auf den Landkarten nicht verzeich-
net seien, von den Bolschewiki neuer-
dings gebaut wurden; die Vorstände
der Schauspielerorganisation fragten
an, ob mit dem nichterlebten Schreck-
lichen die russischen Theatervorstel-
lungen gemeint seien; der neue Erz-
bischof von Canterbury wollte wissen,
wie hoch sein Gehalt steigen würde,
wenn die bolschewistische Welt der
christlichen Freiheit Tatsache gewor-
den sei; und aus den Kreisen der Sport-
freunde schließlich wurden — unter
Hinweis auf die Tatsache, daß auch
schon .Zuschauern beim Fußballspiel
de/- Ball ins Auge gegangen sei —
Schutzmaßnahmen gegen solche Zwi-
schenfälle angeregt.
Der Vorstand der Labour party berief
sofort eine Sondersitzung ein. In dieser
wurde dem ehrenwerten Mitglied Cripps
zwar die allgemeine Bewunderung aus-
gesprochen, doch wurde gleichzeitig
auch angeregt, ihn möglichst weit weg
zu schicken, am besten nach Indien, da-
mit man Gelegenheit habe, ihn aus der
Ferne zu bewundern.
Sir Stafford Cripps jedoch saß in einem
Zimmer des Funkhauses und sah aus,
als habe er sich an einer Sichel ge-
schnitten, und als habe er mit dem
Hammer eins auf den Kopf bekommen.
Vor ihm lag nämlich das Ergebnis einer
Rundfrage des Gallup-Instituts, aus dem
hervorging, daß sich eine Mehrheit von
sechs Siebentel aller befragten Englän-
der für Stalin und den Bolschewismus
erklärt haben.
Ganz' deutlich erinnerte er sich sei-
nes Alpdrucktraumes der vergangenen
Nacht, und zum ersten Male in seinem
Leben kam ihm ein Gedanke; der Ge-
danke nämlich, daß das plutokratische
Traumbuch ganz augenscheinlich doch
nicht so ganz zuverlässig sei und der
Tag vielleicht nicht fern, wo auf John
Bulls Insel das Sowjet-Fußballspiel mit
den Köpfen der plutokratischen Ham-
mel ausgetragen werden würde, die
ihren Hals freiwillig der Sichel darge-
boten hatten. Bei diesem Gedanken
wurde er weich: aus dem C wurde ein
G, aus Cripps Cripps, und der Cripps
sah ohne weiteres ein, daß Berlin dann
noch immer — oder erst recht — die
Hauptstadt Europas sein wird, das Bol-
schewismus und Plutokratie von seinen
Grenzen fernhält. »«u
Kladderadatsch
Sein schlimmster Ansturm ist nun abgeprallt.
Er siihlt sich trotzdem längst noch nicht geschlagen,
obwohl er merkt: Es schwindet die Gewalt.
Das Licht besiegt die Finsternis aus Erde»,
wenn auch die Welt in Eises Ketten klirrt.
Nur Mut, es wird schon wieder wärmer ivrrdcn.
Wir hoffen, daß es einmal Frühling wirb.
Schon zieht die Sonne täglich größre Kreise,
steigt leuchtend aus zu uns aus fernem Ost.
Aus Süden wehen Winde lind und leise,
es schmilzt der Schnee, und langsam weicht der Frost.
Wenn hin und wieder uns ei» Märzenschaucr
mit Schnee und Hagel um die Ohren schwirrt:
Er geht vorbei, ist nur von kurzer Dauer.
Wir glauben, daß es wieder Frühling wird.
2m Wind verwehn der Feinde Hirngespinste,
die aufgebaut aus lauter Lug und Trug.
Sie lösen sich wie graue Nebeldünstc,
verschwinden nun als winterlicher Spul.
Za, wenn ein Volk so eng und fest verschworen
vorwärts marschiert, kraftvoll und unbeirrt,
dann hat der Winter selbst die Macht verloren.
Wir wissen, daß es wieder Frühling wird.
Aus dem großen
plutokratischen Traumbuch
Nach mehrjährigem Besuch bei dem be-
kannten Bankräuber Josef Dschugasch-
wili in Moskau war seiner britischen
Majestät außerordentlicher Botschafter
Sir Stafford Cripps in jene Gefilde
heimgekehrt, wo man die widerrecht-
liche persönliche Bereicherung auf
mehr urbane Weise durch Pokerspiel,
Börsenmanöver und überteuerte Ver-
mietung von Slums durchzuführen ge-
wöhnt ist: nach England. Dank der
ungewöhnlichen Rührigkeit seiner Ah-
nen in den drei genannten Berufen hatte
er selbst zeitlebens keine Tätigkeit aus-
zuüben brauchen, und so widmete er
sich denn auch nach seiner Heimkehr
auf die Plutokraten-Insel einer mög-
lichst dichten Annäherung an das bri-
tische Gewissen: er schlief.
Aber — anscheinend konnte sein Ma-
gen das heimische Hammelfett nicht
mehr vertragen'— er schlief schlecht.
Es war ihm, als lege sich eine schwere
Last drückend und erstickend auf seine
Brust, und richtig: er sah eine unend-
liche Reihe aufgeknackter Geldschränke
und gesprengter Safes, die von der
Kremlmauer heruntergeworfen wurden.
Herr Kalinin, den er in seiner letzten
Rundfunkrede einen „weisen und schar-
manten Mann“ genannt hatte, entrollte
ein Banner mit der von Dschugaschwili
eigenhändig daraufgemalten Inschrift:
„Proletarier aller Länder, vereinigt
euch — aber nicht beim Kassieren!"
Irgendwo in den Lüften begann eine
atonale Schalmeienkapelle eine Para-
phrase über die „Internationale“, und
schon erblickte Cripps prächtige Schlös-
ser in herrlichen Gärten, und er sah
gerade, wie man den Schloßherrn mit
Benzin übergoß und anzündete, die
übrigen männlichen Bewohner an die
Fensterkreuze hängte, die Damen je-
doch -Cripps wollte protestie-
rend dazwischentreten, aber da spürte
er etwas Hartes, Kaltes in seinem Ge-
nick. War es der Lauf eines Revolvers?
— Mit einem furchtbaren Schrei er-
wachte er schweißgebadet, entfei-nte
aus der Nähe seiner Nackenwirbel den
Knopf des Kopfkissenbezuges, der ihn
so gedrückt und erschreckt hatte, und
schickte dann zum pensionierten Erz-
bischof von Canterbury.
Der hochwürdige Herr, der sich nach
Aufgabe seines Hetzredengeschäfts
ohnehin langweilte, kam natürlich so-
fort, obwohl von einer Seele, für die zu
sorgen wäre, bei Cripps als echtem Bri-
ten nicht die Rede sein konnte.
Der Erzählung des Angsttraumes lausch-
te er mit einem fröhlichen Grinsen, dann
schlug er das große, plutokratische
Traumbuch auf und begann daraus vor-
zulesen. „Sichel und Hammer", las er,
„sind für jeden Plutokraten ein günsti-
ges Vorzeichen. Sie stellen ein Ana-
gramm dar, dessen Auflösung nach
sinngemäßer Versetzung der Buchsta-
ben lautet: .Sicher und Hammel'. Daß'
wir auf unserer Insel sicher sind, haben
Jahrhunderte bewiesen, daß wir zu den
Hammeln zählen, braucht nicht bewie-
sen zu werden, denn der Mensch ist,
was er ißt. Somit kann die Traum-
vision von .Hammer und Sichel' über
England nur bedeuten, daß wir Ham-
mel sicher sind.“
Der abgetakelte Heuchelgreis las noch
viel und lange, und als er geendet hatte,
war es für Cripps gerade Zeit, eine
neue Rede zu halten. Darin hieß es u. a.:
„Im Sowjetland kämpfen unsere Alliier-
ten bei Schnee und Wind und bei
42 Grad. Nur Tanz und Theater hat man
ihnen gelassen. Daß wir all das Schreck-
liche nicht durchleben, verdanken wir
erstens den herrlichen Rückzugsgefech-
ten unserer Armee in Dünkirchen und
Kreta, zweitens dem Krieg der Nazis
gegen Stalin. Wir alle sehnen uns nach
einer neuen Welt nach dem Kriege,
einer Welt der Freiheit und der christ-
lichen Zivilisation. Nach dem Siege über
die Nazis wird es ein bolschewistisches
Europa geben, dessen Hauptstadt Ber-
lin sein wird. Es ist fast so, als ob wir
Zuschauer, nicht Mitspieler wären. Ich
möchte dies mit dem Unterschied ver-
gleichen, der zwischen einer Schar be-
geisterter Zuschauer bei einem Fußball-
spiel und einem Mann der Mannschaft
besteht.“ —
Die Wirkung der Rede war ungeheuer.
Aus allen Teilen des Landes kamen tele-
phonische Anfragen. So erkundigte sich
ein Mitglied des Oberhauses, ob die
Orte „Schnee“, „Wind“ und „42 Grad“,
die auf den Landkarten nicht verzeich-
net seien, von den Bolschewiki neuer-
dings gebaut wurden; die Vorstände
der Schauspielerorganisation fragten
an, ob mit dem nichterlebten Schreck-
lichen die russischen Theatervorstel-
lungen gemeint seien; der neue Erz-
bischof von Canterbury wollte wissen,
wie hoch sein Gehalt steigen würde,
wenn die bolschewistische Welt der
christlichen Freiheit Tatsache gewor-
den sei; und aus den Kreisen der Sport-
freunde schließlich wurden — unter
Hinweis auf die Tatsache, daß auch
schon .Zuschauern beim Fußballspiel
de/- Ball ins Auge gegangen sei —
Schutzmaßnahmen gegen solche Zwi-
schenfälle angeregt.
Der Vorstand der Labour party berief
sofort eine Sondersitzung ein. In dieser
wurde dem ehrenwerten Mitglied Cripps
zwar die allgemeine Bewunderung aus-
gesprochen, doch wurde gleichzeitig
auch angeregt, ihn möglichst weit weg
zu schicken, am besten nach Indien, da-
mit man Gelegenheit habe, ihn aus der
Ferne zu bewundern.
Sir Stafford Cripps jedoch saß in einem
Zimmer des Funkhauses und sah aus,
als habe er sich an einer Sichel ge-
schnitten, und als habe er mit dem
Hammer eins auf den Kopf bekommen.
Vor ihm lag nämlich das Ergebnis einer
Rundfrage des Gallup-Instituts, aus dem
hervorging, daß sich eine Mehrheit von
sechs Siebentel aller befragten Englän-
der für Stalin und den Bolschewismus
erklärt haben.
Ganz' deutlich erinnerte er sich sei-
nes Alpdrucktraumes der vergangenen
Nacht, und zum ersten Male in seinem
Leben kam ihm ein Gedanke; der Ge-
danke nämlich, daß das plutokratische
Traumbuch ganz augenscheinlich doch
nicht so ganz zuverlässig sei und der
Tag vielleicht nicht fern, wo auf John
Bulls Insel das Sowjet-Fußballspiel mit
den Köpfen der plutokratischen Ham-
mel ausgetragen werden würde, die
ihren Hals freiwillig der Sichel darge-
boten hatten. Bei diesem Gedanken
wurde er weich: aus dem C wurde ein
G, aus Cripps Cripps, und der Cripps
sah ohne weiteres ein, daß Berlin dann
noch immer — oder erst recht — die
Hauptstadt Europas sein wird, das Bol-
schewismus und Plutokratie von seinen
Grenzen fernhält. »«u
Kladderadatsch