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BRIEF AUS ENGLAND

Lieber Kladderadatsch,
schon häufig habe ich in den letzten Jah-
ren versucht, einen Brief an Dich gelangen
zu lassen, aber leider erfuhr ich stets durch
den Ersten Lord der Admiralität, daß die
Postsäcke, in denen sich auch meine Briefe
an Dich befanden, als verloren angesehen
werden müssen. Ich hatte mich wohl zu tief
in die jeweils aktuellen britischen Probleme
versenkt, und so sind denn meine Schreiben
gleichfalls versenkt worden. Ich könnte ja
nun heute noch einmal alles das wiederho-
len, was ich in meinen — inzwischen aufge-
weichten — Berichten schon gesagt hatte.
Ich würde damit nur dem Beispiel der Chur-
chillschen Politik folgen, die ja immer min-
destens einen Posttag zu spät kommt, aber
ich ziehe es vor, Dir mit funkelnagelneuen
Geschichten zu imponieren.

Nach dem Fall von Singapore sind es natür-
lich ausschließlich militärische Probleme,
die unsere Oeffentlichkeit beschäftigen.
Nicht, daß man sich über die Ursache unse-
rer zahlreichen Niederlagen den Kopf zer-
bräche! Die sind ja ganz klar: Während Ihr
Deutschen, wie Radio London häufig fest-
steilen konnte, viel zu junge Generale habt,
verfügt das Empire über Heerführer älte-
ren Semesters, und die sind eben — wie das
in der Natur der Sache liegt — über ihren
eigenen Bart gestolpert. Überdies hat unser
Winston Churchill die oppositionelle Presse
bereits wieder beruhigt. „England“, so hat
er überzeugend argumentiert, „ist seit Jahr-
hunderten ein Volk von Kaufleuten gewesen.
Das -Ansehen eines Kaufmannes steigt mit
der Höhe seines Umsatzes und der Zahl sei-
ner Niederlagen. Hieraus folgt, daß all das
Gezeter über die Ereignisse von Andalsnes
bis Singapore ganz unsinnig ist. Wir haben
die Zahl unserer Niederlagen vergrößert,
das heißt: wir sind stärker und mächtiger
als je zuvor. Wenn das nach außen nicht so
in Erscheinung tritt, so deshalb, weil man
kriegswichtige Dinge eben geheimhalten

Das ist — wenn schon nicht wörtlich, so
doch dem Sinne nach — der Gedankengang
unseres Premierministers, dem zu folgen
jeder Brite imstande ist, sofern er nur ge-
nügend Whisky im Leibe hat. — Daß sich
trotz Winnies lichtvollen Darlegungen noch
immer viele Engländer mit militärischen
Fragen befassen, ist unter anderem auf
eine bedauerliche Disziplinlosigkeit zurück-
zuführen. Unsere weiblichen Flak-Kanoniere
— du wirst lachen, lieber Kladderadatsch,
so etwas gibt es wirklich — haben nämlich
schweres Geschütz aufgefahren, allerdings
nicht zu militärischen Zwecken! Sie bom-
bardieren vielmehr die Zeitungen mit Pro-
testen dagegen, daß man sie dazu verpflich-
ten will, schwarze Unterwäsche zu tragen!
Nun kenne ich weder die militärischen
Gründe, die dazu geführt haben, die mili-
tanten Damen in schwarze Schlüpfer zu
stecken, noch die psychologischen oder mo-
dischen Gründe, die besagte Proteste ver-
anlaßten. Ich kann^mir darüber nur meine
laienhaften Gedanken machen und stelle
mir vor, daß die höhere Führung unserer
Amazonen in allen Stücken — auch in den
Unterwäsche-Stücken — den militärischen
Charakter der - weiblichen Formationen
schwarz auf weiß haben will. Möglich wäre
es auch, daß man höchsten Ortes von der
Erwägung ausgegangen ist, daß bei strikter
Durchführung der Unterkleiderordnung dem
Feinde schwarz vor den Augen werden soll,
wenn die weiblichen Flak-Kanoniere „volle
Deckung“ nehmen, indem sie den Rock über

den Kopf ziehen. — Die Proteste stützen
sich vielleicht darauf, daß man bei Nicht-
durchführung der Anordnung Farbstoff spa-
ren kann, weil ja bei Nacht ohnehin alle
Katzen grau sind und bei Tage Uniform
getragen wird. Denkbar wäre auch, daß die
weiblichen Flak-Kanoniere befürchten, wenn
sie erst einmal alle „aiigeschwärzt" worden
sind, als schwarze Schilfe für die militäri-
schen Fehler Winstoij Churchills verant-
wortlich gemacht zu - werden. Ausschlag-
gebend dürfte aber doch wohl die Über-
legung gewesen sein, daß eine Uniformie-
rung der weiblichen Reize einer Abrüstung
gleichkäme und die Chancen der weiblichen
Armee im Kampfe mit den Tommies stark
vermindern würde. — Wie dem auch immer
sein mag: fest steht jedenfalls, daß diese
wichtige militärische Frage bis zur Stunde
noch nicht zur allgemeinen Zufriedenheit
gelöst worden ist. Die Öffentlichkeit ist
darüber verständlicherweise lebhaft beun-
ruhigt, weil sie sich sagt: „Wenn man noch
nicht einmal Autorität genug besitzt, die
Farbe der Hemdchen und Höschen weib-
licher Flak-Kanoniere einheitlich zu bestim-
men, wie soll man da Singapore, Australien
oder auch die britische Insel verteidigen
können?!“ — Zur rechten Zeit hat da der
sehr ehrenwerte Lord Croft seine Stimme
erhoben und hat urbi et orbi verkündet, die
beste Waffe der Heimwehren sei die Heu-
gabel. — Unverständig und rechthaberisch,
wie die Opposition nun leider einmal ist,
hat sie dagegen eingewendet, daß man Flie-
gerbomben mit Heugabeln nur unzureichend
bekämpfen -könne, und auch bei der Ab-
wehr von Panzerkampfwagen seien Erfolge
dieser neuartigen Waffe bisher nicht zu er-
zielen gewesen. Diese „Kritiker“ verdrehen
ganz augenscheinlich in böswilliger Weise
den Sinn der weisen Worte unseres wacke-
ren Lord Croft. Denn das muß doch jedes
Kind merken: Vom Kampf der Heimwehren
gegen die Nazis ist in der oben zitierten
Verlautbarung nicht die Rede. Lord Croft
sprach einzig und allein vom Kampf bei den
Verpflegungs-Depots. Und jeder vernünf-
tige Mensch muß ihm recht geben: Für
Rindviecher, die sich einbilden, die Heim-
wehr könne im Ernstfälle auch nur das ge-
ringste ausrichten, ist die beste Waffe beim
Lunch die Heugabel.

Damit Schluß für heute, lieber Kladdera-
datsch! Ein Mitglied der 6. Kolonne hat sich
bereit erklärt, den Inhalt dieses Schreibens
einem Briefpapagei beizubringen, durch den
er sicher zu Deiner Kenntnis gelangen wird.
Nächstens mehr von Deinem Jimmy.

Ein deutscher Soldat steht Wache

Du stehlt, als sei das Angesicht der Welt,
der fremden, drohenden, auf dich gerichtet,
als trügst du auf den Schultern auf geschichtet
die Last des Kriegs wie eines Königs Zelt.

Da nun am Horizont der neue Tag sich lichtet,
wird deine Stirne unterm grauen Helm erhellt,
und wie das Dunkel sich dem Tag vermählt,
wird das dein Wille, dem du dich verpflichtet.

Den Stolz des Glockenruhms vergangner Taten,
im eignen Siege neu und stark und jung,
trägst auf den Schultern du wie kühnen Mantel-
ein Hüter der Paläste und der Katen.

Aus Nebeln leuchtet die Erinnerung:

„Gott segnet nicht den Krieg, doch den

Soldaten!"

Kladderadatsch
 
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