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^ritannia fingt:

Weißt du, Winston, was mir träumt hat?
Ich Hab zum Himmel rauf gesehn:
da gab es keine Nazi-Flieger,
drum könnt' in Bath man baden gehn.
Alles klappte wie am Schnlirchen,
die Welt war Englands Kolonie,
und meine Hauptstadt war Dünkirchen,
ich stand nicht machtlos vte-ä-vte.

Weißt du, Winston, was mir träumt hat?
Ostasien, das war ei» Idyll.

Ich träumt', daß Japan cs geräumt hat,
damit ich mir die Taschen filU’.

Hunderte Millionen Inder,
die zogen für den King ins Feld.

Sic waren stolz draus wie die Kinder,
und ich verdiente dabei Geld.

Weißt du, Winston, was mir träumt hat?
Mein war das Meer von Pol zu Pol,
dieweil der Feind den Bus versäumt hat;
ich fühlte mich ubootlos wohl.

Meine Sorgen hatten Ferien,
kein einzger Stützpunkt'ging perdu.

's gab Köpfe in de» Ministerien,
selbst du sogar warst ein Genie.

Weißt du, Winston, was mir träumt hat?
Mein Reuter log nicht wie gedruckt.

Wir haben in die Sieges-Sonne
und nicht mehr in den Mond geguckt.
Zoses Stalins wackre Scharen,
sic nahmen nach Berlin den Lauf,
doch eh' sie angekommen waren,
da wacht' ich leider unsanft auf!

Neue Strategie?

Es gibt Augenblicke, in denen einem
durch ein bedeutendes Wort plötzlich
sowohl das Zeitgeschehen als auch die
Weltgeschichte in einem neuen, helle-
ren Lichte erscheinen. So ging es un-
serem Vertreter in London, als er in
einer der letzten Unterhaussitzungen
aus Mr. Cripps’ Munde den Satz ver-
nahm; „Rückschläge auf dem Schlacht-
feld sind nicht immer das Ergebnis von
Nachlässigkeit und Dummheit, sondern
sie können auch davon herrühren, daß
der Feind an gewissen Stellen stärker

Unser Korrespondent vermittelte uns
nach einer schlaflosen Nacht folgen-
den Bericht, in dem er die Äußerung
Mr. Cripps’ nach allen nur denkbaren
Seiten hin ausdeutet. Wir geben ihm im
Folgenden das Wort:

„Die Äußerung Sir Stafford Cripps’
wirft alle bisherigen Meinungen über
den Kriegsverlauf im allgemeinen und
die britische Strategie im besonderen
über den Haufen. Wir haben uns in
Jahrhunderten daran gewöhnt — man
muß schon sagen: in einer gewissen
Denkfaulheit! —, anzunehmen, daß in
einer bewaffneten Auseinandersetzung
derjenige der beiden Kombattanten die
größte Chance habe, der mit Mut, Klug-
heit und Umsicht ausgestattet ist. Wir
sahen Sieger, die auf Grund eines ge-
nialen Schlachtplanes zeigten, wie man
den Gegner zu Boden wirft und ver-
nichtet. Wie aber nun, wenn wir darin
grundsätzlich irrten? Wenn es gar
nicht darauf ankäme, den Feind zu wer-
fen, sondern sich ruhig von ihm wer-
fen zu lassen — ja, es mit tief durch-
dachter Absicht dahin zu bringen, daß
er einen in die Flucht schlägt? —

Der veraltete Begriff .Rückschläge“ ge-
winnt damit einen ganz neuen und über-
raschenden Sinn. Es ist dann klar,
daß nicht Nachlässigkeit und Dumm-
heit allein die Ursache solcher Rück-
schläge sein können, sondern, daß es
der geniale Spürsinn des echten Feld-
herrn ist, der den Feind dort aufsucht,
wo dieser stärker ist, um dann um so
sicherer von ihm geworfen zu werden;
um also jenes untrügliche Merkmal des
wahren Erfolges feststellen zu können:
den Rückschlag, den siegreichen Rück-
schlag, möchte man sprechen. Natür-
lich hat Mr. Cripps dies nicht ausdrück-
lich ausgesprochen — wie wird er denn
das Geheimnis des britischen Erfolges
preisgeben! Aber-seine leise Andeu-
tung, Rückschläge — die ersehnten und
so wirkungsvollen Rückschläge! —
.können auch davon herrühren, daß der
Feind usw.“ — diese kluge und von
wahrer politischer Größe zeugende
Formulierung läßt eben nur durch-
blicken, daß es sich um das eigentliche
Prinzip und die innere Größe der bri-
tischen Strategie handelt. Natürlich
erscheint es dem Uneingeweihten oft
so, als ob Nachlässigkeit und Dumm-
heit die Veranlassung der Rückschläge
wären. Wer aber tiefer blickt, der sieht,
wie hier bis ins letzte durchorganisiert
ein Plan abläuft, dem sowohl das täg-
liche Rasieren der britischen Kämpfer
wie ihre regelmäßigen drei Mahlzeiten
dienen — und nicht zuletzt das
.Flucht'-Markieren und das Wegwerfen
und Zurücklassen der Waffen. Wie
sonnenklar leuchtet es einem jetzt ein:
— der Verfolger beschwert sich mit den

Kladderadatsch

abgelegten Waffen, ja, er verbeißt und
verkrampft sich in diese materiellen
Dinge und ihre Last, während der
Brite leicht und sieghaft davongeht,
voll Verachtung für diese armselige
Sucht nach materiellem Schlachten-
erfolg.. Ein kluger — offenbar durch
Mr. Cripps eingeweihter — Bericht-
erstatter sprach ja denn auch von dem
letzten Rückschlag in Burma, von der
angeblichen .Flucht“ der britischen
Truppen unter General Alexander, von
einer Bewegung, die nur dem Auszug
aus Ägypten unter der Führung Moses'
vergleichbar gewesen sei. Damals hätte
man schon hellhörig werden müssen!
Noch schlagender aber wird diese neue
Auffassung von der britischen Stra-
tegie belegt durch eine andere, schein-
bar nebensächliche Bemerkung Mr.
Cripps’ in derselben Rede: daß näm-
li.ch eine Untersuchung des Falles von
Singapur und seiner wahren Ursachen
.nicht im Sinne der Weiterführung des
Krieges“ liege. Kann es denn deutlicher
gesagt werden? — Wie kann denn der
Krieg von britischer Seite so erfolg-
reich weitergeführt werden, wenn alle
jene klugen und zielbewußten Me-
thoden dem Feinde preisgegeben wer-
den, mit denen es möglich war, so
schnell und so einwandfrei einen Rück-
schlag an dem wichtigsten Nerven-
zentrum des britischen Weltreiches
herbeizuführen? — Nein, wir haben
das alles bis jetzt falsch gesehen und

gedeutet! Hier liegt eine große neue
strategische Idee vor, hier hat sich der
Weltgeist ganz groß und ganz einmalig
in einem Manne inkarniert, der jetzt
bescheiden hinter seinem Werke zu-
rücktritt und es verschmäht, vor sein
Parlament hinzutreten und seine Er-
folge darzulegen und den Dank dafür
einzuheimsen. Mr. Churchill ist es. Er
läßt seine staunenden Mitglieder des
Parlaments allein, er geht in die schot-
tischen Berge, er angelt oder macht Be-
suche, während sein treuer Cripps zart,
feinfühlend und klug, ein geborener
Jünger dieses größten Engländers, an-
deutet, wo die Richtung der künftigen
entscheidenden Erfolge seines Meisters
zu suchen ist. Die unklugen Parlamen-
tarier tadeln den großen Mann und
seine Abwesenheit. Natürlich, weil sie
alle nicht begreifen, was ihnen Mr.
Cripps, der treue Cripps, da andeutet.
Aber Churchill hält sein eigenes heißes
Herz fest, er geht nicht ins Parlament,
nein, er bezwingt sich und bleibt fern.
Während er seinen .Scotch Black and
White“ Schlückchen für Schlückchen
durch die Kehle rinnen läßt, lächelt er
fein und sagt sich: Laß’ sie brummen
— 's wird schon kommen! —

Dies als meine feste Überzeugung
Ihren Lesern zu vermitteln, war mir
Herzensbedürfnis.“

Wir haben in dankbarer Anerkennung der
Arbeit unseres geheimen Unterhaus-
berichters dem nichts hinzuzufügen.
 
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