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Kfaddtradafub

LIL DAGOVER

Der „Kladderadatsch“ hat keinen Sinn
für Pedanterie. Er beschränkt sich
nicht darauf, Humoristen im eigent-
lichen Sinne hier in Bild und Wort
zu porträtieren, sondern seine Liebe
und Verehrung gehört allen Künst-
lern, die Freude bringen, und was
gibt cs wohl Erfreulicheres als eine
schöne Frau!

Deshalb grüßen wir hier zunächst in
Lil Dagovcr die Grazie, die Anmut,
den Charme, kurz alles das, was im
harmonischen Zusammenwirken das
bezaubernde „Ensemble“ ausmacht,
das unter ihrem Namen mit dem Be-
griff des künstlerischen Films seit je
verbunden ist und immer verbunden
bleiben wird.

Wir sahen sie auch außerhalb des
Films: sie erschien auf dem Podium
des Wehrmachtwunschkonzertes, zier-
lich wie ein TanagrnligUrchcn und
schön wie eine Märchenprinzessin.
Sio spielte an Eugen Klopfers „Volks-
bühne“ die Hauptrolle in Imrc Ma-
daächs „Tragödie des Menschen“ und
bewies damit denen, die cs noch nicht
gewußt hatten, daß sie nicht nur
schön sein, sondern auch gestalten
kann, daß sie Dichterworten Leben ge-
ben kann und Form und leibhaftiges
Dasein.

Aber wenn wir an sic denken, dann
sehen wir sie durch zahllose Filme
schreiten: eine Fee des guten Ge-
schmacks, eine Dame mit Haltung und
eigenem Gesicht, eine kluge Könne-
rin, eine immer ungemein sympa-
thische Erscheinung. Man sagt nicht
zuviel mit der Behauptung, daß Lil
Dagovcr die deutsche Filmschau-
spielerin schlechthin ist, die Uber Stil-
richtungen und Geschmacksmoden
hinaus einen gültigen, überall ver-
ständlichen Typ geschaffen hat, und
die über dem Gefälligen nie- das Cha-
rakteristische vergaß, über dem Cha-
rakteristischen aber niemals das

Im Rampenlicht. ..

KLEINE SCHWÄCHEN, KLEINE SPÄSSE

Große Leute haben oft ihre kleinen Schwä-
chen. Die Mimen machen da keine Aus-
nahme. Im Gegenteil: sie, die auf den welt-
bedeutenden Brettern in Glanz und Würde
einherschreiten, möchten das Gefühl des
Bewundertwerdens auch ins Privatleben hin-
übernehmen, und deshalb ist ihre höchst-
entwickelte Schwäche die Eitelkeit. Lud-
wig Devrient freilich war noch ganz in sei-
ner Rolle, als er, nach einem Auftreten als
Richard III., bei Lutter und Wegner das
Abendessen mit den Worten-zurückschickte:
„Ist das ein Essen für einen König?“; aber
bei anderen war ihr würdevolles Gehaben
doch oft nur Pose. Deshalb lächelt man
über Possart, der einer Anfängerin sagte:
„Und was die Anrede betrifft, liebes Kind,
so liebe ich die Umständlichkeiten nicht.
Immer nur ganz schlicht, vom Menschen
zum Menschen! Deshalb nennen Sie mich
bitte ganz einfach: Herr Generalintendant,
Professor, Ritter von Possart.“ Bei Possart
fiel allerdings der Umstand ins Gewicht,
daß er klein von Gestalt und nicht eben
eine Schönheit war. Friedrich Haase hatte
ihm das einmal ziemlich deutlich zu Gemüt
geführt. Er kannte den jungen Possart nur
aus der Illustrierten Zeitung, und als er
ihm zürn ersten Male begegnete, sprach er
die denkwürdigen Worte: „Merkwürdig, in
den illustrierten Zeitungen sehen die jun-
gen Mimen immer wie Adonisse aus, und
wenn sie dann vor einem, stehen, sind sie
Kretins.“ Haase selbst jedoch war der
Eitelsten einer. Wenn man sich während sei-
ner Leipziger Direktionszeit im Büro nach
ihm erkundigte, erhielt man immer die Ant-
wort: „Herr Direktor ist nicht da. Er läßt
sich photographieren.“ Vor allem liebte er
Orden und Ehrenzeichen über' die Maßen.
Manchmal lächelte er selbst darüber, und
bei einer solchen Gelegenheit schenkte er
dem Kollegen Max Staegemann, der die
gleiche Ordensleidenschaft besaß, sein Bild
mit der Widmung: Der Fatzke dem Fatz-
ken! — Staegemann machte sich daraufhin
den Scherz, ihn zu Tisch zu laden, und auf
Haases Frage, ob es sich um eine offizielle
Angelegenheit handele, bei der man das
„ganze Geläute“ anlegen müsse, antwortete
er: „Große Sache! Flaggen Sie mit allem,
was Sie besitzen.“ Als Haase dann im orden-
geschmückten Frack eintraf, fand er seinen
Freund mutterseelenallein im Hausanzug
vor. Aber er rächte sich. Er brachte das Ge-
spräch auf Staegemanns neues Don-Juan-
Kostüm und bezweifelte dessen Schönheit
so lange, bis Staegemann es mitten in der
Nacht aus dem Theater holen ließ. Das ge-
nügte Haase noch nicht. Er behauptete, man
könne ein Kostüm nur beurteilen, wenn es
getragen werde, und veranlaßte durch aller-
lei Sticheleien Staegemann, sich von Kopf
bis Fuß umzuziehen und als Don Juan
Maske zu machen. Nachdem dies geschehen
war, würdigte er ihn keines Blickes, sondern
sagte nur: „Ihre Kledage interessiert mich
nicht. Ich wollte mich nur dafür revanchie-
ren, daß ich — ebenfalls ganz zwecklos —
Frack und Orden angelegt habe.“ Staege-
mann trug den Reinfall mit Humor, wie
denn überhaupt Mimenfeierlichkeit und Lust
an- kleinen Späßen immer Hand in Hand ge-
gangen sind. So,wird von Possart erzählt,
daß er sich auf der-Zimmersuche in Bres-
lau folgenden Scherz geleistet habe: Er
wanderte als junger Anfänger mit einem
Kollegen ■ durch die Straßen, um eine pas-

sende Wohnung zu finden. Das war schließ-
lich auch nach vieler Mühe gelungen. Man
war sich über alles einig geworden, da
erkundigte sich die Vermieterin nach dem
Beruf ihrer zukünftigen Hausgenossen und
erklärte dann, an Schauspieler vermiete sie
nicht. Possarts Kollege, der die Verhand-
lungen geführt hatte, wurde so wütend, daß
er Goetz von Bcrlichingen zitierte. Possart
stutzte einen Augenblick, dann sagte er im
Tragödenton: „Um das nämliche, gute

Frau, möchte auch ich gebeten haben!“
Aber nicht nur im Kreise des munteren
Nachwuchses liebte man die kleinen Späße,
auch im würdigen Hause Wahnfried konnte
man recht ausgelassen vergnügt sein. Lilli
Lehmann erzählt davon in ihrem Buch
„Mein Weg“: Eines Abends führten wir so-
gar Schillers „Handschuh“ auf. Gura las
das Gedicht. Scaria war König Franz. Er
hatte fleischfarbene Trikots, kurze weiße
Tarlatanröckchen an und war dekolletiert;
wie eine Ballett-Tänzerin sah er aus, und
eine schwarze Papierkrone, mit Gold und
gelben Rüben besteckt, zierte den Kopf.
Fräulein Kunigunde war ein junger, langer
Tenor, dem Mama aus einem Kaffeesack ein
ganz enges Schleppkleid genäht hatte. „Das
doppelt geöffnete Tor“ spie zwar keine Leo-
parden hervor, sondern der Ballettmeister
Fricke setzte ganz behutsam zwei kleine,
sechs Wochen alte Miezekatzen auf „die
Bühne“, und in großen Lettern stand an der
„Rampe" angeschrieben: „Die Tiere dürfen
nicht gefüttert werden!“

Für König Franz war ein winziges Kinder-
leibstühlchen entlehnt worden, in das der
dicke Scaria absolut nicht hineinkommen
konnte. Wir drei Rheintöchter, „die Damen
im schönsten Kranz“, waren so häßlich wie

möglich zurechtgemacht.-

Wagner war natürlich auch „geladen“ und
so vergnügt, so übermütig, daß er trotz
Frau Cosimas Anwesenheit direkt auf dem
Kopf stand. —

Budenzauber beim .Komponisten des „Feuer-
zauber“ — man sieht: auch die Großen der
Bühne lieben die kleinen Späße, also dürfen
die andern das erst, recht. r. s.

In der Garderobe

„Ihr Stück und mein Kleid -jedes m seiner Zeit!“

Kladderadatsch
 
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