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SCHOPENHAUER

„Wer für fein Vaterland in den Tod geht,
ist von der Tänfchnng frei geworden,
welche das Dasein auf die eigene Person
beschränkt: ec dehnt sein eigenes Wesen
auf seine Landsleute aus, in denen ersort-
Icbl, ja auf die kommenden Geschlech-
ter derselben, für welche er wirkt, wobei
er den Tod betrachtet wie das Winken
der Augen, welches das Sehen nicht
unterbricht."

ACH,

IN REIFEN WIESEN
LIEGEN . . .

Ach, in reifen Wiesen liegen
und in Julihimmel sehen/

Schöner noch, an Koppeln stehen,
die sich eng an Huchen schmiegenI
Hahnenfuß und Ehrenpreis,
Sauerampfer, rot wie Rost,

— bunten Faltern süßer Most —
und des Schaumkrauts stumpfes Weiß
leuchten teppichbunt an Rainen.
Gläserne Libellen surren,
und in alten Bäumen gurren
Tauben ein verhalt’nes Weinen.

Doch das Wiehern junger Pferde,
die mit glatten Kühen grasen,
wirft mich froher auf den Rasen.

Und ich greife warme Erde.

Und ich bin im Vogelruf,
in des blauen Mittags Stille,
bin im Feilen jeder Grille
und in dem, der alles schuf.

Noch etwas von Quidam

\

Es gibt Menschen, von denen man behaup-
tet, alles, was sie anfassen, werde Geld.
Ganz ähnlich verhält sich die Sache mit
dem Zeitgenossen Quidam: was er auch
immer anfaßt, unternimmt oder versucht —
es steckt immer der Teufel des Eigennutzes
und der Selbstsucht irgendwo Krallen und
Pferdefuß dabei heraus.

Aber der Krug geht so lange zu Wasser,
bis er bricht, und kein Quidam ist gerissen
genug, niemals einen Fehler zu machen.
So kommt es denn, daß der traurige Held
so vieler „Kladderadatsch“-Geschichten

plötzlich und unerwartet-

Aber nein: erzählen wir der Reihe nach.
Gestern morgen läutete es bei mir Sturm.
Ich verschluckte vor Schreck beinahe die
Zahnbürste. Nachdem die Wiederbelebungs-
versuche meiner treusorgenden Familie
Erfolg gehabt hatten, öffnete ich höchst-
persönlich die Korridortür. Draußen stand
Quidam, das heißt: er lehnte wie ein Häuf-
chen Unglück an der Wand. „Sie müssen
mir helfen, Rosi“, hauchte er zart wie ein
Cello, „Sie haben so oft gesagt: ,ich werde
Ihnen helfen, Quidam!', daß Sie nun end-
lich mal Ihr Wort wahrmachen müssen!“ —
Da es mich belustigte, daß Quidam sogar
im Augenblick der allergrößten Verzweif-
lung es sich nicht verkneifen konnte, die
bekannte, mit erhobenem Zeigefinger zu
sprechende Drohung: „Ich werde dir hel-
fen!“ in ein Hilfsversprechen umzufälschen,
lud ich ihn ein, in meinem Arbeitszimmer
Platz zu nehmen und mir seinen Fall in
gehöriger Ordnung vorzutragen.

Quidam ließ sich nicht lange bitten. „Det
hat man nu von seine vaterländische Be-
jeisterung!“, begann er, „det is nu der
Dank dafür, det ick, wennjleich und ob-
zwarst ick det jamich nötich hätte, denn
schließlich is et bei mir nich wie bei arme
Leute, und mein’n Vater sein Joldsohn hat
allerleihand uff de hohe Kante jelegt
Aber, det soll mir eine Warnung sind, soll
• det. Wenn ick die Schose überlebe,
denn is bei mir der Bart für alle Zeiten ab.
Den Tod können die Leute sich denn bei
mir holen, und den ooch noch jejen Vor-
auszahlung der Beerdigungskosten. Finden
Se nich ooch?“

„Lieber Quidam“, antwortete ich so ernst
wie möglich, „wenn Sie unzusammenhän-
gendes Zeug erzählen, kann ich mir kein
Bild von der Sache machen, und dann ist
es überhaupt zwecklos, mich mit Ihrer Ge-
schichte zu befassen."

„Nur det nich!“ schrie Q'uidäm, „Sie sind
meine letzte Rettung! Wenn Sie mir nich
hilfreich in de Seite treten, is et bei mir
Zappen duster. Also, passen Sie mal uff!
Im Jrunde jenommen sind nämlich Sie an
der janzen Jeschichte schuld. Sie haben mir
in Ihren .Kladderadatsch* schon so oft mar-
kenfrei durch den Kakao jezogen, det keen
Hund in meine Jejend mehr een Sticke Brot
von mir nimmt, und ick sah ein, det et so
nich mehr weiter jing. Et mußte irjendwas
passiern. Und zwar schnell. Nu kennen Sie
mir ja: ick halte mir niemals lange mit de
Vorrede uff. Ick jehe ran wie Hektar an
de Bouletten. Ick kenne keene Müdigkeit,
ick bin een eiserner Hund! Nu hatte ick
zufällig jehört, det bei eene Dienststelle
im Osten — Wirtschaftsaufbau, verstehn
Se! — noch knorke Jungens jesucht wür-
den, die in puncto Jeschäftsführung, Kas-
senwesen, Organisation und so wat uff’n
Kasten hätten. Nu bin ick ja nich jrade
mehr ein lockerer Jüngling mit Haar, und
der Zahn der Zeit, der schon so manche

Lücke jerissen hat, warf ooch uff meine
Maienblüte schon eene scharfe Pupille, aber
immerhin fühle ick mir noch beinahe \
neu, und außerdem dachte ick mir,
könnte eventuell da draußen ooch noch
privat een bißken — Sie verstehn schon!
Andererseits sagte ick mir: .Quidam“, sagte
ick mir, .wenn du schon det vaterländische
Opfer bringst und jehst da raus in diese
Hundewalachei, wo sich die Füchse Jute
Nacht sagen, dann mußte ooch wissen,
wieso, warum und wofür. Is doch logisch,
nich wahr? Denn schließlich und endlich
lebt der Mensch ja vom Verdienen, denn
von Idealismus hat noch keener Marmelade
uff de Stulle jekriegt, jeschweige denn

Der langen Rede kurzer Sinn — ick setzte
mir uff meine vier Buchstaben und schrieb
an den zuständigen Mann, ick wäre der
und der, könnte det und noch verschiedenet
andere und würde jerne zu ihm kommen.
Er sollte mir bloß zwo Mille monatlich
steuerfrei, eene Dienstwohnung, Personen-

Mondnacbt in den Bergen'

Der Mond stieg auf in voller Pracht,
längst flog der Falk zu Horste.

Verzaubert ist die Sommernacht,
kein Wild schreckt mehr im Forste.

Die Bäume stehn wie im Gebet
in feierlichem Schweigen,
der Himmel, sternenübersät,
scheint tiefer sich zu neigen.

Mir ist — als hört im stillen Land
ich Gottes Füße gehen,
als fühlt ich seine Vaterhand
und seines Odems Wehen.

Er sieht auf mich im Sternenlicht,
ich spür's voll süßem Grauen:
was nie ich sah, sein Angesicht,
ich darf es heute schauen. —

Er ist der Wald, ist Baum und Tier,
der Quell am Bergessaume,

ich steh in tiefem Traume-

auto und jede Woche von Sonnabend bis
Dienstag Erholungsurlaub in Warschau
jarantieren. Und wat denken Se wo», wat
passiert is?“ —

„Sie haben vermutlich die Stellung nicht
bekommen?“ —

„Det is et ja! Im Jejenteil: ick habe se
jekriegt. Aber fragen Se nich, wie! Ick bin
dienstverpflichtet worden! Wat kann ick
dajejen tun?“ — Ich verbiß mir das
Lachen. „Nichts, mein Lieber!“, sagte ich.
Aber Quidam gab keine Ruhe. „Aber wenn
ick nu für den Posten nich jeeignet bin?
Wenn ick nu jar keene Ahnung von der
janzen Sache habe! Wenn ick nu in meinem
Bewerbungsschreiben bloß jeprahlt habe,
um mehr Jeld rauszuschinden? Det könnte
ick doch jeltend machen?!“

„Das könnten Sie wohl“, antwortete ich,
„aber ich würde es Ihnen nicht empfehlen!
Denn damit würden Sie sich ja selbst der
Hochstapelei und des versuchten Betruges
bezichtigen! Ich glaube, Sie tun am besten,
wenn Sie sich so schnell wie möglich dort
einarbeiten und immer brav Ihre Pflicht

Quidam würdigte mich keiner Antwort
und keines Blickes. Er wankte hinaus. Wer
weiß, wann und wo ich ihn wiedersehe!

Kladderadatsch
 
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