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JEAN PAUL

„Keine Volksmenge wurde durch
sich groß und frei oder weise,
sondern stets durch große, freie,
weise Chorführer.

Stellet die Sonne hin,
so gehen die Planeten von selber."

FRIEDE

über ein tagmüdes Land
und hast dein waches Verlangen
stumm in die Tiefen gebannt,

dann deckt er dein Erdenwehe

und streichelt in Ferne und Nähe
Lichter und Laute zur Ruh.

Ach, lasse die bangen Gedanken,
und deine Sehnsucht schläft ein
wie des genesenden Kranken
Lächeln nach sträubendem Nein.

Sprich ja! und beuge den Rücken,
fasse die nahe Hand:

Dein Wandern wird selig Entzücken
über dem tagmüden Land.

Hand aufs Her^

Hand aufs Herz, lieber Leser und freund-
liche Leserin: Kennen Sie Frau Zicken-
draht? Überlegen Sie, bitte, Ihre Antwort

recht genau, es handelt sich nämlich-

aber nein, wir wollen alles hübsch der Reihe
nach erzählen.

Die Sache begann damit, daß ich Frau
Zickendraht auf der Straße begegnete. Ganz
gegen ihre Gewohnheit war sie durchaus
nicht wirsch, vermied den sonst bei ihr üb-
lichen, vertraulichen Ton, grüßte kaum, und
es kostete sie sicht- und fühlbar Überwin-
dung, mich anzusprechen. Dann sagte sie:
„Nein, das hätte ich nie und nimmer von
Ihnen gedacht! Sich über mein Unglück noch
lustig zu machen! Ja, tun Sie nur nicht so!
Haben Sie etwa nicht mein Unglück mit
dem Koffertransport per Straßenbahn mit
sattem Behagen breitgetreten? Na, also!“ —
„Ich verstehe immer Unglück!“, antwortete
ich, „aber Sie wollten die Straßenbahn um
zehn Pfennig bemogeln und sind dabei er-
wischt worden! Das ist kein Unglück, son-
dern die gerechte Strafe!“ — „Wenn Sie
wüßten, Rosi, wie es in meiner Wirtschafts-
kasse aussieht, würden Sie zugeben, daß es
doch ein Unglück war! Ich habe nämlich kei-
nen Pfennig Geld mehr!“ — „Aber Frau
Zickendraht“, wunderte ich mich, „das ist
doch ganz unmöglich! Sie haben Ihr gutes
Einkommen, wohnen, mietefrei, und Ihr
Schwiegersohn unterstützt Sie außerdem
auch noch! Sie müssen doch im Geld gerade-
zu schwimmen!“ — „Lassen Sie sich doch
nicht auslachen!“, erwiderte sie gereizt, „Sie
wissen genau so gut wie ich, woher der Wind
weht. Geld! Mir kichert! Nee, mein Lieber,
dazu ist Hulda Zickendraht nich dämlich ge-
nug! Jlooben Sie etwa, ick jondele zu mei-
nem Vajnüjen mit’n Schrankkoffer durch
die Jeojraphie? Nee, wie ick, und ick stieg
uff de Elektrische, da kam ick jrade vom
Einkäufen!" „Machen Sie keine Witze, Frau
Zickendraht", sagte ich, „um Ihre Fleisch-
ration zu transportieren oder einen Kohlkopf
und ein paar Tomaten brauchen Sie doch
keinen Koffer.“ — Jetzt kam Hulda auf
Touren. „Wer redet denn von Tomaten?“,
schnatterte sie, „Einkäufe hab ick jemacht!
Verstehn Se! Da war mir nämlich unter der
Hand ein prima Rohrplattenkoffer anjeboten
worden, Friedensware und erst seit fuffzehn
Jahre im Jebrauch! Und weil ick doch nu
dies Jahr nich verreisen wollte — in meine
Laube is et ja ville schöner — da hatte ick
doch für den Koffer eigentlich keine Ver-
wendung. Aber nu stand ick mit det leere
Dings da, und weil mir een leerer Koffer
immer ’n bißken nackig vorkommt, da dachte
ick mir, ,Hulda', dachte ick mir, ,du jehst
und koofst, bis der Koffer voll is.' Det hab.
ick denn ooch jemacht! Wissen Se, wenn ick
eine feine Dame wäre, denn spielte ick Britsch
oder Tennis oder so wat ähnliches. Aber weil
ick de olle Zickendrahten bin, da is Einkoofen
mein Sport. Wenn man so durch die Straßen
jeht, denn sieht man so allerleihand, wat
eenem in die Augen sticht. Da jeht man denn
in den Laden und sicht zu, ob man den Pi-
jaukels det Ding sozusagen aus dem Kreuz
leiern kann. Zuerst meckern se denn je-
wöhnlich wat von Dekorationswäre, aber
wenn ick denn hauche: ,Sie, junger Mann
mit’n ollen Kopp, is det hier die Pritzwalker
Straße oder die via attrappia?', denn halten
se mir für klassisch jebildet und lassen evtl,
unter Umständen mit sich reden. Nee, nee

— kieken Se mich man jamich so jlubsch an

— wat Sie vielleicht jedacht haben von wejen
markenfrei und so, det is nich! Da fahr ick
lieber mal zu Onkel Atze und schlag mir uff
den seine Rechnung und Jefahr de Plauze

voll, denn der hat noch — aber ick halte Sie
hier unnütz uff, lassen wir Atze Atze sein
— ick für meine Person koofe Sachwerte.
Da hatte ick zum Bleistift neulich in mein
Koffer drinne eenen Trompeter von Säckin-
gen aus Bronze — die Rumpfmeiern meint
zwar, es wäre Zinkguß, aber det is nischt
weiter wie der ultraviolette Neid — also ick
sage Ihnen, Rosi, eenen Trompeter von
Säckingen, ein wunderbares Kunstwerk.
Den Kopp kann man als Aschenbecher be-
nutzen, im Bauch is een Jeheimfach für ne
Kognakpulle, und wat die Fahne is, da kann
man de Zeitung rinklemmen, damit man
beim Essen oder beim Strümpfestopfen lesen
kann. Und billig hab ick dieStatü jcschossen:
bloß zwohundert Piepen hab ick dafür be-
zahlt, ick meine, da jreift man doch zu, oder
etwa nee ? Na, sehn Se! Denn hatte ick weiter
noch een immerwährendes Joldfischjlas.
Det Jlas is unzerbrechlich, und drinne is een
Joldfisch aus Blech. Wenn man det Ding an
de elektrische Leitung anschließt, denn illu-
miniert es sich, und außerdem tritt eene Art
Föhnluftapparat in Tätigkeit, der pustet den
Fisch in die Höhe. Da schwimmt der denn in
de leere Luft und wedelt mit de Flossen! Is
det een Ding, wa? Det jibt et bloß eenmal!

Durch das bewegte Schweigen...

Am Saum der Erde wandelt still die Naebt
und sät mit weißen Händen Sterne in den Raum.

Der kluge alte Mond hält sinnend seine Wacht.

Ein kleiner Wind raunt flüsternd; - weint ein Kind im
[Traum!

Schwär^ streifen Schatten, ruhelos und bang,
wie heimatlos und arm um fließend blasses Liebt.

In fernsten Fernen schwingt der Ewigkeit Gesang
und wiegt im Schlaf des Lebens müdes Angesicht.

Durch das bewegte Schweigen gebt die Sehnsucht bin
und deckt Dich mit dem Glauben meiner Liebe zu. -
Dann weiß Dein Herz, wie ich Dir ganz ~u eigen bin ; -
und all Dein Kummer lächelt sieb in sanfte Ruh. -

Det is een Modell! Der Erfinder wollte es
patentieren lassen, aber, er konnte de Jebüh-
ren nich bezahlen 1-Da hat er mir's billig ab-
jelassen! In meine Wohnung habe ick zwar
noch keen Elektrisch, aber ick will mir det
Ding ja ooch bloß uff’n Hängeboden packen,
damit man een’ Wertstück hat — später
mal! — Na, ja — und wie ick so ins Kaufen
kam — ick hab noch Stücker zwanzig
andere, ebenso praktische Sachen jekooft —,
da war mein Jcld alle. Det, was ick von de
Sparkasse jeholt hatte, det Kostjeld von
meinen Jötterjatten seinen Cousin, der bei
mir wohnt, und überhaupt der janze Zaster.
Eenen verzagenden Taler hatte ick noch, und
den wollte ick uff de Elektrische nich an-
reißen! Det müssen Se doch verstehen!“ —

Was ich statt einer Antwort tat, hat Schiller
bereits im „Ring des Polykrates“ mit den
Worten geschildert: „Da wendet sich der
Gast mit Grausen“. Ich ergriff die Flucht
vor so viel Dämlichkeit. Ich war erschüttert
bei der Vorstellung, daß eine ehedem ganz
normale Frau, nur um zu kaufen, die übel-
sten Ladenhüter für teures Geld erwirbt, daß
sie sinnlos Waren anschafft, die sie nicht ge-
brauchen kann oder die, wenn sie schon
brauchbar sind, in ihrem Haushalt reichlich
vorhanden sind.

Kenner, denen ich davon berichtete, behaup-
teten, es gäbe mehrere so alberne Menschen.

Ich kann es mir nicht denken.

Hand aufs Herz, schöne Leserin, kennen Sic
Frau Zickendraht? Vielleicht heißt sie bei
Ihnen Müller oder Schulze, oder gar ebenso
wie Sie selbst? Na, wie steht es? Hand
aufs Herz!

Kladderadatsch
 
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