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Das alte Kriegsroß

Als sich die britisch» Öffentlichkeit
einigermaßen enttäuscht zeigte über die
karge Dürftigkeit des Rechenschaftsbe-
richtes von Winston Churchills Moskau-
Reise, suchte man in der Londoner Agi-
tationszentrale nach einem Mittel,’ die
allgemeine Aufmerksamkeit von der
Tatsache abzulenken, daß der kümmer-
liche Ausdruck einer ebensolchen Hoff-
nung, nämlich der Hoffnung darauf, daß
die persönliche Fühlungnahme der bei-
den Gangster „von einigem Nutzen sein
werde", sich so auffallend unterschied
von der stilblütenumranktenWeitschwei-
figkeit sonstiger Verlautbarungen des
amtlichen London. So teilte man denn
voller Stolz und nicht ohne eine gewisse
Rührung mit, Stalin habe noch vor Win-
stons Ankunft seine Freude darüber aus-
gedrückt, daß er „das fabelhafte, alte
Kriegsroß Churchill“ persönlich ken-
nenlerne.

Man sieht: W. C. hat auch hier ein paar
Pflöcke zurückstecken müssen. Bis dato
legte er doch immer noch Wert darauf,
als eine Art Kriegsgott oder doch we-
nigstens als ein großer Stratege zu gel-
ten, jetzt gibt er sich schon mit dem
Range eines Rosses zufrieden, das sei-
nes Alters wegen allenfalls noch zum
Troß, d. h. zur Bagage gehören kann.
Soweit man von W.C. im Zusammenhang
mit „Bagage“ spricht, ist zwar alles in
Ordnung, aber Stalins „Sympathie“ für
das „alte Kriegsroß“ hat wohl andere,
psychologische Wurzeln: sie ist das be-
rufliche Interesse des Schinders für
einen alten Gaul, und es ist bezeichnend
für den politischen Weitblick des briti-
schen Premierministers, daß er, die nach
Stalins Ansicht schlachtreife Mähre, den
Schinder für seinen Retter hält. Ande-
rerseits möchte der Sowjet-Häuptling —
wie gesagt — sein Leben auf Kostendes
„alten Kriegsrosses“ verlängern. Das
Ganze nennt man „herzliche Überein-
stimmung". Im übrigen scheint bei der
Übermittlung derStalinschen Äußerung
ein Fehler unterlaufen zu sein, denn
zweifellos hat der Kremlmann nicht „fa-
belhaft“, sondern „fabelnd“ gesagt: ein
fabelndes, altes Kriegsroß. Es fabelt von
„ermutigenden“ Niederlagen, es fabelt
vom sicheren Sieg der Plutokraten und
es fabelt von der zweiten Front. Und
da liegt nun der Hase im Pfeffer. Als
Churchill auf dem Moskauer Flugplatz
seiner Maschine entstieg, machte er
den zu seinem Empfang befohlenen So-
wjetbonzen/ zweiter Garnitur mit ge-
spreiztem Mittel- und Zeigefinger ein
Zeichen.

Die Männer des „Staates", der sich in
USA. durch einen Bankräuber vertreten
läßt, kannten das Zeichen wohl: es war
ein Gaunerzinken und bedeutete: er ist
verhaftet worden. Unwillkürlich grif-
fen sich die Sowjetvertreter an das Ge-
fiick, und als sie dort keinen GPU.-Re-
volver bemerkten, begannen sie, an Chur-
chills Gaunerzeichen herumzurätseln,
bis der Ankömmling schließlich erklär-
te, er habe die „Zweite Front“ symboli-
sieren wollen. Man braucht nicht aber-
gläubisch zu sein, wenn man die Tat-

Kladdcrabatsch

Sh

»lock 1942

,^ch stche hier auf meinem Schein!''
so mauschelt Shylock vor den Briten.
„Spart euch nur eure faulen Bitten,
so legt ihr keine» Zud' herein.

Mein Recht ist klar und unbestritten:
die zweite Front steht aus dem Schein!

Was jammert ihr mir von Dieppe?

Und von versenkten Landungsbooten
und von Ertrunkenen und Toten?

Das sind Schmonzettcn, blöder Nepp!
Die zweite Front schwurt ihr den Roten
und keinen Dalles bei Dieppe!

Ich stehe hier auf meinem Schein!

Er ist von Ehucchill unterschriebe»
und wird buchstäblich eingetriebcn,
geht auch das Weltreich dabei ein.

Za, bis ihr völlig aufgerieben,
solang steh ich aus meinem Schein!"

tttttt:rrrrr::::r:rrrr::::rrrrrrrrrrrr:rrru:n:rrr::nru!

Sache, daß Churchill zur Versinnbildli- :
chung der „Zweiten Front“ den Gauner-
zinken für „verschütt gegangen" wähl-
te, für ein den Briten und Sowjets un-
günstiges Vorzeichen hält. Denn die Er-
eignisse haben es ja immerhin bestä-
tigt; in einer Weise bestätigt, daß es
nur recht und billig wäre, wenn man
„das fabelnde alte Kriegsroß“ mit dem
schmückenden Beinamen „Der Depp von
Dieppe" belegte. Denn das anglo-ameri-
kanisch-kanadisch-gaullistische„Invasi-
ons"-Manöver beruhte zweifellos auf
einer falschen Lesart von Schillers
„Jungfrau von Orleans“. Die vereinig-
ten Kriegsverbrecher gründeten ihre Sie-
geshoffnungen auf der Behauptung „ge-
gen Dummheit kämpfen Götter selbst
vergebens" und errechneten sich so eine
Chance ihrer konzentrierten Idiotie ge-
gen die deutsche Wehrmacht. In Wahr-
heit sagt Schiller jedoch: im Bunde „mit
der Dummheit kämpfen Götter selbst
vergebens“, und das hätte sowohl für
Stalin eine Warnung sein müssen, sich
mit dem „Meister-Strategen“ Churchill

zu assoziieren, wie umgekehrt fürW. C.,
das Schicksal des Empire den Timo-
schenko und Konsorten anzuvertrauen.
Andererseits erlebt die Welt hier eine
Neufassung der alten Geschichte vom
betrogenen Betrüger, denn mitten in das
Gekrächze der stotternden Londonerin-
formationspapageien hinein, die erst die
gelungene Invasion feiern und nach der
Niederlage jeden Meineid schwören, sie
hätte gar keine sein sollen, tappst wie
der Elefant in den Porzellanladen der
Geistesriese King Hall mit der Fest-
stellung, „die hervorragenden Erfolge
riefen bei allen Engländern ein Lächeln
der Zufriedenheit hervor". Mit andern
Worten: Churchill hofft, der Mißerfolg
seines Invasionsversuches werde den
Erfolg haben, daß Stalin aufhört, eine
„Zweite Front“ zu fordern. — Auch die-
se Hoffnung enthüllt die Hirnrissigkeit
des alten Säufers, denn ob er und seine
Komplizen an zwei Fronten gleichzei-
tig geschlagen werden oder erst da und
dann dort, dürfte im Endergebnis glei-
chermaßen katastrophal sein! roif«.
 
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