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DEMOKRATISCHES ALLERLEI

Das Leitmotiv der angelsächsisch-plutokra-
tischen Agitation scheint ein alter Couplet-
Kehrreim von Otto Reutter zu sein: „Man
wird ja soo bescheiden!“ — Wo man vor ein
paar Jahren noch dicke Töne redete über die
Blockade, durch die man den bösen Nazis
den entscheidenden K. o. verpassen würde,-
da bricht man schon in Jubelgeschrei aus,
wenn man, schwer angeschlagen, gerade so
eben noch über die Runde gekommen ist.
Aber man weiß auch, daß es Treffer gibt,
die sich im Laufe des Kampfes immer stär-
ker auswirken. Das sind zum Beispiel die
ständig wachsenden Tonnageverluste. Wenn
man vielleicht auch im Augenblick durch
den Einsatz alles dessen, was man an Seelen-
verkäufern und schwimmenden Särgen in der
Alten und der Neuen Welt aufgabeln konnte;
die akute Todesgefahr für die nächsten Se-
kunden abzuwenden vermochte, so fühlt man
da drüben doch ganz genau, wie schwach
man auf den Beinen ist. Deshalb lebt man
in ständiger Angst vor dem endgültigen
Niederschlag. •

Weil das so ist, erscheint ein Histörchen,
das uns aus Südafrika berichtet wird, ge-
radezu als Symbol. Dort hat nämlich der
feine Herr Smuts dem Boxer Robby Leib-
nand den Prozeß machen lassen, weil be-
sagter Faustkämpfer angeblich ein Staats-
feind ist. Tatsächlich jedoch hat der starke
Robby lediglich laut und lebhaft Herrn
Smuts kritisiert. Wenn nun auch so ein alter
Herr trotz aller seiner Charakterdefekte ge-
wiß kein Objekt für den Tatendrang eines
Boxers ist, so scheint Herr Smuts doch zu
fürchten, Leibnand könne von der Kritik zur
Brachialgewalt übergehen. Aber ist er des-
halb ein Staatsfeind? — Wenn die südafri-
kanischen Gerichte ihn für einen solchen er-
klären sollten, dann bedeutete das nicht mehr
und nicht weniger, als daß ein einziger
Kinnhaken das ganze schmutzige System
über den Haufen zu werfen imstande ist.
Herr Smuts ist in mehr als einer Beziehung
repräsentativ für den geistigen und morali-
schen Zustand des Empire. Aber mit dieser
Angst vor dem Knockout hat eh sich doch
selbst übertroffen.

Man sollte es nicht für möglich halten, und
wenn es nicht die alte Tratsch-Tante „News
Chronicle“ persönlich wäre, die uns das be-
richtet, so würden wir biederen Kladdera-
datscher uns ganz einfach weigern, die Nach-
richt für bare Münze zu nehmen, daß in
Gottes eigenem Land die Kritik an Eleanor
Roosevelt von Tag zu Tag wächst. Völlig
unverständlich erscheint uns vor allem die
Frage, die — nach Meldung des genannten
Blattes — viele US.-Amerikaner neuerdings
stellen: „Ist die großmäulige und -zähnige
Frau Eleanor vielleicht der eigentliche Prä-
sident der Staaten?“ Das heißt: Es ist nicht
der Inhalt dieser Frage, was uns verblüfft,
sondern mehr die Tatsache, daß sie über-
haupt gestellt wird. Denn einer so krausen
„Logik“, wie sie die sogenannten Gedanken-
gänge Franklin Delanos- charakterisiert,
ist selbst ein männlicher Kretin kaum fähig.
So etwas kann nur eine „lady“ aushecken,
jene anglo-amerikanische Degeneration des
Weibes, deren geradezu imponierende Reiz-
losigkeit von fanatischen Puritanern erfun-
den zu sein scheint, mit dem ausgesproche-
nen Zweck, die sündhafte Fortpflanzung des
Menschengeschlechts zu verhindern. Zwar
hat einer der Kriegsproduktionshäuptlinge
des Gangsters Roosevelt kürzlich dem ame-
rikanischen Volk mitgeteilt, es müsse seine

Zivilisation um mehrere Jahrzehnte zurück-
schrauben, aber es ist zu befürchten, daß
es sich da um leere Versprechungen handelt,
und daß man bei jener „Hirntrust-Kultur"
bleiben wird, die aus Weibern Politiker und
aus Politiker alte Weiber gemacht hat. Den
tieferen Grund für jene Versprechungen des
stellvertretenden Leiters des USA.-Kriegs-
produktionsamtes verrät übrigens gleich-
falls jene Veröffentlichung von „News Chro-
nicle“. Da heißt es nämlich, Eleanor falle
ihren „Untertanen“ von Tag zu Tag mehr
auf die Nerven, und es liegt auf der Hand,
daß man den durch Zeitungsartikel und
Rundfunkvorträge der Raffzähnigen schwer
mißhandelten Yankeenerven mit dem Ver-
sprechen, diese Art von Zivilisation abzu-
bauen, ein Beruhigungspulver verabreichen
wollte. Denn Eleanor und die * Wahrheit
über Pearl Harbour — das ist selbst für
einen „Kulturträger“ zuviel, dessen Freizeit-
gestaltung im Verüben von Lynchmorden
an den „schwarzen Brüdern“ der ersten
Lady des Landes besteht. — Nur eine läßt
sich durch dergleichen Bagatellen wie die
öffentliche Meinung in ihrer demokratischen
Würde nicht erschüttern, Eleanor selbst.
Vermutlich meint sie, wenn ihr schon jede
Menschenähnlichkeit abgehe, dann sei sie
eben gottähnlich. Und vom Standpunkt ihrer
eingebildeten Gottähnlichkeit aus kritisiert
sie denn auch sarkastisch die neuen Habe-

WUNDER

Daß Bäume blühen und Himmel sich spannt,
daß Vögel singen und Menschen werden,
täglich und stündlich geschieht es auf Erden, —
ihr aber hastet nach „Wundern“ durchs Land.
Ein Elefant, der Hühner gebiert,
ein Sperling, der wie ein Löwe schreit —
das ist's, wonach ihr so emsig giert!
denn Wunder ist euch — Gesetzlosigkeit.

nichtse auf der britischen Insel. Sie verbrei-
tet durch Wort und Schrift, daß sie diö
„Kriegsdiät" der Engländer fade findet. —
Der „Kladderadatsch“ ist gewiß über den
Verdacht erhaben, den Piraten jenseits des
Kanals irgendwelche Sympathie entgegen zu
bringen, aber wenn sie sich jetzt verspotten
lassen müssen, weil sie infolge eines Krie-
ges, den sie auf Grund trügerischer Ver-
sprechungen des Weißhäuslers begannen,
nicht mehr satt zu essen haben, ist das doch
ein starkes Stück!

Attlee und das Plagiat
Herr Attlee, zur Zeit britischer Minister für
etwas, das es nicht mehr gibt, nämlich Ko-
lonien, ist neulich wieder einmal durch par-
lamentarische Interpellanten in Verlegenheit
gebracht worden. Man wollte wissen, war-
um denn nicht endlich ein Empirekriegsrat
ins Leben gerufen werde, der dem direk-
tionslosen Fortwursteln ein Ende mache.
Attlee erwiderte, ein solcher Kriegsrat sei
ein Ding der Unmöglichkeit, weil nämlich
eine Massenversammlung nicht imstande
sei, einen Krieg zu leiten.

Herr Attlee hat recht — schade nur, daß
sein lichtvolles Argument ohne Quellenan-
gabe von dem berühmten Antidemokraten
G. K. Chesterton entlehnt ist: „Wenn ein
Haus brennt, muß einer die Feuerwehr an-
rufen; eine Massenversammlung kann nicht
telephonieren.“ — Die Tempelhüter der De-
mokratie erwehren sich des Parlaments mit
Plagiaten an ihren Feinden! — „Weit ge-
bracht!“ möchte man da sagen. -icv.-

Kladdcradatsch
 
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