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Plutokraten träumen ...

In USA. haben die englischsprechenden
Frauen sich verständigt, wie sie uns
entwaffnen, wie sie eine Weltregierung
mit Polizeigewalt errichten und wie sie
den Völkern jene vielbesprochene „Frei-
heit von der Not“ sichern können. Das
ist für einige Damen aus USA. und
England ziemlich viel, aber es handelte
sich um einen „Internationalen Tag",
und da mußte schon etwas geboten wer-
den. Entwaffnend wirken solche eng-
lischsprechenden Damen ja bereits
durch ihr Auftreten. Damit wäre also
bereits viel erreicht. Dann aber käme
die Weltregierung. Da würde der Fall
schon schwieriger. Denn auf den einsti-
gen englischsprechenden Gouvernanten-
ton reagiert die Welt heute sauer. Es
müßte also ein neuer Dreh gefunden
werden. Das ist nun die berühmte Ver-
sicherung der „Freiheit von der Not“.
Auch damit hapert es noch, denn gegen-
wärtig brechen dort, wo die Anglo-
amerikaner einbrechen, erst einmal Hun-
gersnöte aus, die dann mit Maschinen-
gewehrsalven unzweckmäßig befriedigt
werden. Wie die englische Zeitschrift
„Fortnightly“ zu dem Thema „Armut
und Beveridgeplan“ mitteilt, kann man
den Maßstab — nicht der „Freiheit“ von
der Not“, sondern der Not selber, und
zwar nicht irgendwo in der Welt, son-
dern daheim in England — in der ge-
segneten (für die Plutokraten gesegne-
ten) Landschaft York genau finden.
Dort hat man genau ausgerechnet, daß
31,1% aller dortigen Arbeiter und 43%
aller Kinder unter vierzehn Jahren ein
Leben führen, das „noch unterhalb der
normalen Armutsgrenze liege". Was ein
britischer Plutokrat unter „normaler
Armutsgrenze“ versteht, haben die klu-
gen Damen auf ihrem „Internationalen
Tag“ vorsichtigerweise nicht mitgeteilt,
weil das sonst zu leicht einen Maßstab
für die künftige polizeilich gesicherte
Weltordnung abgeben könnte.

Nun hat uns aber Mr. Sumner Weites
ziemlich eindeutig mitgeteilt, wie er und
sein Chef, Mr. Roosevelt, die Sache
sehen. Wenn Mr. Sumner Weites auch
noch etwas von der peinlichen Atlantik-
Charta sagt, so gewinnen die Perspek-
tiven dieses stellvertretenden Weltbe-
glückers doch schon ein ganz anderes
Gesicht, indem es nämlich in diesem
Zusammenhang bei ihm heißt: es werde
allgemein angenommen, daß die Pro-
sperität jeder Nation mit derjenigen
der anderen verknüpft ist. Und eine der
dringendsten Aufgaben bestehe darin,
Mittel zur Verhinderung der katastro-
phalen Preisschwankungen bei Lebens-
mitteln und Rohstoffen zu finden und
Maßnahmen zur Sicherung von festen
Märkten und einträglichen Preisen für
die Hauptproduzenten zu treffen. Das
klärt die Sache für die unter der „nor-
malen Armutsgrenze" in York lebenden
Arbeiter außerordentlich. Deshalb hat
auch die Londoner „Times“ bereits de-
vot ihren Beifall für den großen Freund
jenseits des leider immer noch sehr un-
ruhigen Atlantik geäußert. Es ist nun
klar, daß sich das original-us.-ameri-
kanische Prinzip der Marktsicherung
und der gleichzeitigen Preisdiktatur
durch Mammut-Trusts zum Prinzip der
neuen USA.-Weltpolizei-Ordnung erhebt.
Damit wären nun allerdings die engli-
schen Plutokraten als „Junior-Partner“
an dem Welttrustgeschäft „frei von Not".

Kladderadatsch

Britisches Märchen

Chidher, der ewig junge, sprach-
,^ch fuhr an einer Stadt vorbei.

Da forschte emsig Herr Bcveridge nach,
warum wohl so mancher arbeitslos sei.

Diele Bücher wälzte er, Band um Band,
in denen von Slums nicht ein Wörtchen drin stand! -
Aber nach reichlich sünshundert Zähren
kam ich dessclbigcn Weges gefahren.

Da prüfte man grade mit amtlicher Miene

eine verwanzte Wohnungsruine

und sagte- „Warum denn die Leute nur schrei»?

Sic wohnen hier zwar nicht feudal, aber fein!" -
Und nach abermals fünfhundert Zähren
kam ich dcssclbigen Weges gefahren.

Da tagte gerade das Unterhaus,

bas pfiff einen Redner ganz jämmerlich aus.

Der sagte <wic peinlich - gerade vorm Lunch!) -
auch der Arbeiter sei sozusagen ein Mensch! -
Und nach abermals fünfhundert Zähren
kam ich dcssclbigen Weges gefahren.

Da saß im Zrrcnhausc ein Mann,

der sagte- „Oh, yes! Mau tut was man kann!

Ich wollte - Sic brauchen gar nicht zu kichern -
den schassenden Menschen sozialversichern.

Da brachten die Lords mich für alle Fälle
aus Lebenszeit in die Gummizelle!" -
Und nach abermals sünshundert Zähren
kam ich dcsselbigcn Weges gefahren.

Da fraß in Whitechapel ei» ganzes Heer
rachitischer Kinder die Müllkästen leer.

Ein Bobby machte grade die Runde

und schimpfte- ,^Zhr Pack, ihr bestehlt meine Hunde!" -

Die Kinder wurden dann ganz korrekt

wegen Diebstahls in das Gefängnis gefleckt. -

Und nach abermals sünshundert Zähren

kam ich dcssclbigen Weges gefahren.

Da attackiert man grade zum Spaß
die Arbeitslosen mit Tränengas.

Man schoß in die Menge, und wen» einer schrie,
sprach der ^oliceman- ,^Tja, das ist Demokratie!" -
Und nach abermals sünshundert Zähren
will ich dcsselbigcn Weges fahren!

(Frei nach Friedrich Rückert)

Die „Times" überschreibt ihren diesbe-
züglichen Artikel: „Ein Fortschritt".
Und wer wollte leugnen, daß es einen
Fortschritt für die Plutokraten bedeu-
ten würde, wenn endlich das dumme Ge-
rede von Sozialismus und Beveridge-
Ideen aufhörte und man mit den Ge-
schäftsfreunden in USA. zu einem Pro-
speritätsplan käme, der zwar noch ein
gutes Stück des Britischen Empire
kosten dürfte, vielleicht auch das ganze
Empire, der aber doch schon in seinen
Umrißlinien so ein vertrauenerwecken-
des Gesicht zeigt, das zwar nichts mit
altem englischen Staatsgedenken zu tun
hat, aber dafür sehr viel mit den fast
schon vergessenen fetten Gewinnen und
sauberen Bilanzen, die ja doch im Grun-
de die wirklichen Ideale eines jeden

echten Sohnes John Biills sind. „Ein
Fortschritt . . .“

Nun wäre da freilich noch immer dieses
Bündnis mit den Bolschewisten. Da wäre
die Begeisterung für die Rote Armee.
Ja, da müßte man eben sehen, wie man
darum herumkäme. Der Erzbischof/von
Canterbury hat erst einmal eine Sym-
pathiekundgebung an den Weltjuden-
kongreß nach New York gerichtet. Das
beruhigt. Ja — und dann schreibt die
„Times“ so ganz nebenbei: „Der Krieg
ist noch nicht gewonnen ..." — Rich-
tig: — der Krieg. Fast hätten ihn John
Bulls Söhne vergessen! Der müßte na-
türlich erst noch . . . Hm . . . Aber wie?
— Am Ende ist das Empire futsch bis

dahin? - Thürink
 
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