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Cöte d’amour

Engländer und Nordamerikaner haben
unsere Mitteilungen über den Bau eines
Atlantikwalls an derWestküste Europas
zur Kenntnis genommen. Ihre Reaktion
ist überraschend. Sie nehmen uns die
Errichtung dieses Festungswerkes übel.
In aller Form.

Darüber hinaus sind sie bemüht, uns die
ganze Anlage zu verekeln. Sie meinen,
Zement und Beton sei nichts für tapfere
Männer. Wer erst Festungsbauten an-
lege, der könne ja kein Zutrauen mehr
haben zu der Kraft seines Armes. Wer
Unterstände und Kasematten errichte,
der gebe zu, daß er den Krieg im Grunde
genommen bereits verloren habe.

Nun haben wir Deutschen den Vorzug
— vielleicht auch den Nachteil, Argu-
menten sehr leicht zugänglich zu sein.
So wollen wir auch diesmal an unsere
Brust schlagen, in uns gehen und ruhig
zugeben, daß dieser Wall am Atlantik
seine Fehler hat.

Sein erster Hauptfehler ist die Tat-
sache, daß er im Gegensatz zu allen an-
deren Wällen und Festungsanlagen
nicht nur der Verteidigung dient und
der Abwehr eines Angriffs, sondern
auch offensive Zwecke erfüllt. Denn von
ihm aus starten nicht nur die Angriffe
der deutschen U-Boote, die auf allen
Weltmeeren der feindlichen Schiffahrt
zu Leibe gehen, sondern sein Vorhan-
densein gibt der deutschen Führung
auch die Möglichkeit, unabhängig von
irgendeiner gegen diese oder jene Küste
Europas gerichteten Drohung frei über
den Einsatz ihrer Truppen zu verfügen.
Mit der uns angeborenen Gerechtigkeit
müssen wir also zugeben, daß der Bau
des Atlantikwalls kein Beweis unserer
Friedfertigkeit ist.

Als Entschuldigung können wir nur dar-
auf hinweisen, daß wir die lange Kette
der Beweise unseres Friedenswillens
mit der an uns ergangenen Kriegserklä-
rung abgeschlossen haben. Wir sind nun
einmal der Ansicht, daß wir vor dem
Kriege genug für den Frieden getan
haben und daß es jetzt während des
Kampfes auf etwas anderes ankommt.
So tragen wir zerknirscht, aber doch
mit Fassung auch den Vorwurf, daß wir
die französische Atlantikküste kriegeri-
schen Zwecken dienstbar machten, nach-
dem die Ladies und die Gentlemen aus
London gemeinsam mit den Messieurs
und Mesdames aus Paris ihr den klas-
sischen Namen „Cöte d'amour“ gegeben
hatten.

Das ist ein Hinweis auf den nächsten
Fehler, der dem Atlantikwall anhaftet.
Es ist die Stelle, an der er liegt. Es
wäre für Engländer und US-Amerika-
ner natürlich viel bequemer, wenn die-
ser Wall, wenn er nun schon einmal ge-
schaffen werden mußte, irgendwo in
Flandern oder in Ostfrankreich läge,
wo sich die Schützengräben des vorigen
Krieges hinzogen. Noch bis vor kurzem
kündete in einem Hafen der Bretagne
ein stolzes, die ganze Landschaft be-
herrschendes Denkmal von jenen glück-
lichen Jahren vor einem Vierteljahr-
hundert, als amerikanische und eng-
lische Soldaten völlig ungehindert an
dieser Küste landen konnten, um von
hier aus den Marsch an die Front an-
zutreten. Wie gesagt, das Denkmal stand
bis vor kurzem. Dann aber kam eine
amerikanische, ausgerechnet eine ameri-
kanische Fliegerbombe, fiel an den Sok-

35eim britischen Wehmutstraining zu singen

Tbcorctisch war die Sache sein gesponnen,
und wir brauchten weiter nichts als etwas Glück!
Theoretisch haben wir den Krieg gewonnen,
doch wir halten vornehm unö zurück.

Theoretisch sind wir Brite» Herrn der Meere,
theoretisch gibt’ö nicht die Tonnage-Raum-Misere!

Wenn wir könnten, wie wir wollten,
ivic wir glaubten, daß wir sollten,
zitterte vor unS die ganze Welt.

Aber, ach, der Traum war eitel,
und cS floß aus unserm Beutel
hi» zu Rooscoclt unser heißgeliebtes Geld!

Tbcorctisch lassen tanze» wir die Puppen,
ziehn an Drähten, und ivir sind ganz furchtbar schlau,
aber praktisch tat Herr Stalin »ne beschuppen
und er zieht unS kräftig durch den MoSlaka»!

Theoretisch kämpft er ja für unsre Sache,
und wir spare» unser teures Gut und Blut,
aber praktisch sitzen wir schon auf dem Dache,
und doch stieg uns bis zum Hals die rote Flut.

Wenn wir könnten, wie wir wollten,
wie wir glaubten, daß wir sollten,
schauten wir den Schlachten scelencuhig zu.

Aber ach, der Traum war eitel!

Drohend hängt ob unserm Scheitel
schon daS Henkerbeil der böse» GPU.!

Theoretisch schützen wir die kleinen Staaten,
achten ängstlich braus, daß keiner sic verletzt,
aber praktisch habe» Roofeoelte Soldaten,
waS die Achse unS noch ließ, bereits besetzt.

Theoretisch kann uns keiner imponieren,
aber praktisch wissen wir cS ganz genau,
daß wir schließlich eineS bösen TagS erfrieren,
an dem alten, an dem kalten Mergenthau.

Wen» wir könnten, wie wir wollten,
wie wir glaubten, daß wir sollten,
würden wir dcS Erdballs Gouvernante sein.

Doch nun ist'S unS fchlgccatcn,

statt zu gängeln „kleine Staaten",

sind wir, wie der Krieg auch endet, selber klein!

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kel dieses amerikanischen Denkmalä
und legte damit in mehr als einem Sinne
schöne Erinnerungen und Hoffnungen
in Trümmer. Die Deutschen waren un-
tröstlich, als das Denkmal zerbarst, aber
sie können zur Zeit nichts anderes ma-
chen als seine Trümmer beweinen.
Wir geben also zu, daß die Lage des
Atlantikwalls am Rande des europä-
ischen Vorfelds als Fehler betrachtet
werden kann.

Aber wir sind der Ansicht, daß dies ein
Fehler nur in den Augen derer ist, die
ihn von draußen betrachten. In unseren
Augen ist das sein größter Vorteil.

Und so wollen wir bei all unserer Ge-
rechtigkeit einen Vorschlag machen:
Nehmt uns, ihr Herrschaften von drü-
ben, den Bau des Atlantikwalls bitte
nicht übel. Wir haben Verständnis da-
für, daß ihr untröstlich seid, weil ihr
den Augenblick verpaßtet, wo ihr seinen
Bau noch hättet verhindern können.

Wir wollen euch zum Ausgleich ver-
sprechen, es nicht übelzunehmen, wenn
ihr drüben am anderen Ufer des Atlan-
tik den amerikanischen Ostwall baut.
Wir würden seine Erstellung mit Hemi-
sphärenmusik begleiten, und wir freuen
uns auf den Augenblick, wo die Herr-
schaften auf der britischen Insel dann
wie Burridans Esel zwischen der lieb-
losen Cöte d’amour und der goldstrot-
zenden Cöte de Dollar zu wählen haben
werden.

Ungeahnte Perspektiven eröffnen sich.
Wir ahnen eine neue in England er-
wachsende Philosophie der Beziehung
oder des Gegensatzes zwischen Gold und
Liebe. Aber wir wollen der Geschichte
nicht vorgreifen und nur sagen: Wir
sind verderbt genug, uns der Wandlung
zu freuen, die sich an der Küste vollzog,
an der England nichts anderes zu sehen
wünschte als offene Türen, Herzen und
Arme. Hanlan

Kladderadatsch
 
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