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Kladderadatsch — 97.1944

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https://doi.org/10.11588/diglit.2324#0004
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HOUSTON STEWART
CHAMBERLAIN

„Will ma» die qeslliillitlichc Grosie des
Germanen erklären, indem man sic
in ein ein-dqceWort zusammenfaßt,
so »ins! ma» seine Treue nenne»/'

WINTERMORGEN

Wie die Biene in der Wabe
bängt der Tag im Nebel feit.

Sieh, ein Trauernder am Grabe
hebt der Baum sein kahl Geält.
Überm Wald, ein teil tarnZeichen,
glüht der Sonne roter Ring.

Grau die Morgenstunden schleichen
wie die Nacht, die kaum verging.
Nebel saugt in seine Wogen
gierig jeden Tropfen Licht,
schwebt als Wolke vollgesogen
plötzlich hoch und — sahst du’s nicht,
wie, gezaust vom Taubenschwarme,
jäh der Schnee vom Dache stob,
daß der Baum die Schattenarme
freier auf zum Himmel hob!
Sonnenpfeile schon durchschlagen
jetzt das Eis am Fensterbord.

Weiße Taubensdswingen tragen
alles Dunkel mit sich fort.
Winterwunder widerspiegelnd,
strahlt, ein mystischer Kristall,
Menschenwesens Sinn entsiegelnd,
meine Seele aus ins^All.

Kladderadatsch

CHRONIK

Wie Reuter aus Washington meldet, gaben
USA.-Kriegsminister Stimson, General Mar-
shall, der Chef des Stabes des USA.-Heeres,
und andere strategische Sachverständige vor
Mitgliedern des Repräsentantenhauses im
Verlauf einer Geheimsitzung eine Übersicht
über die Kriegslage. Ein Kongreßmitglied
faßte seine Ansicht dahingehend zusam-
men: „General Marshall hat uns den Ein-
druck gegeben, daß wir uns in einem ver-
teufelt schweren Krieg befinden.“

Wirklich ein kluges Kind, dieser Kongreßabge-
ordnete: er merkt alles, und soo schnell!

Als sich in Chikago der Vorhang des Thea-
ters nach dem dritten Akt von Alexander
Dumas „Kameliendame“ gesenkt hatte, die
arme Marguerite also gestorben war, trat
ein gut aussehender Geschäftsmann vor den
Vorhang an die Rampe und versicherte dem
Publikum, das sich gerade dem Ausgang
zuwenden wollte, mit bedeutender Miene,
daß die arme Marguerite natürlich nicht
an der Schwindsucht zugrunde gegangen
wäre, wenn sie den Brusttee von Dr. X.
getrunken hätte.

Das Chikagoer Publikum wird das sehr bedau-
ert haben, denn wenn Marguerite unter Ver-
giftungserscheinungen gestorben wäre, hätte sich
dem Stück des Herrn Dumas ein spannender
Kriminalreißer anfügen lassen. Thema: „Wer

Dieser Tage kam ein USA.-Frachter in
Neapel an. um hier seine Ladung zu löschen.
Fix ließen die smarten Yankees unter der
Bevölkerung das Gerücht verbreiten, der
Dampfer bringe Brotgetreide für die italie-
nische Zivilbevölkerung, um der wachsenden
Hungersnot Einhalt zu gebieten. Der Zu-
fall wollte es jedoch, daß beim Verladen
einer der Getreidesäcke platzte. Wer be-
schreibt das Erstaunen der Landarbeiter,
als nicht etwa Getreidekörner herausroll-
ten, sondern jene weißen Pillen, die der
Keepsmiling-Grimasse so gut zu Gesicht'
stehen. Alsbald stellte sich heraus, daß did
ganze Ladung, abgesehen von Waffen und
militärischen Ausrüstungsstücken, aus Kau-
gummi bestand.

Den Kaugummi hätten sich die Yankees auch
noch sparen können, denn die Badoglioten ha-
ben ohnehin genug an dem zu kauen, was ihnen
ihr Anführer (anführen und betrügen sind ja
identische Begriffe) eingebrockt hat. Und die
wirklichen Italiener würden das Zeug sowieso
nicht kosten wollen, weil ihnen alles Ameri-

Zu der Hochflut der Bigamieprozesse ln
England erklärte der Richter Atkinson laut
„Daily Express“: „Das englische Volk hat
keinen Begriff mehr von der Heiligkeit der
Ehe. Man sieht das Verheiraten jetzt als
eine Zerstreuung an und vergißt, daß der
Staat die Bigamie als ein schweres Ver-
brechen betrachtet, das mit sieben Jahren
Zuchthaus bestraft wird."

Wieder einmal das Musterbeispiel eines welt-
fremden britischen Juristen, der nicht sieht, wie
die bösen Beispiele der Regierung die guten
Sitten der Bevölkerung verderben. Warum soll
sich diese an Eheverträge halten, wenn Ver-
träge aller Art, z. B. die Genfer Konvention,
Herrn Churchill nur ein Fetzen Papier bedeutet,
warum soll dieser das Eheversprechen heilig
sein, wenn das Foreign Office den Wortbruch
zum politischen Prinzip erhoben hati .c>c^

Saure Trauben

Im Unterhaus der Indischen Gesetzgebenden
Körperschaft wurde eine Anfrage an die Re-
gierung gerichtet über die Schaffung einer
indischen Freiheitsarmee. Die Antwort be-
stätigte, daß eine indische Armee außerhalb
der indischen Grenzen organisiert worden
sei, daß es aber unmöglich sei, die Mitglie-
der dieser Armee nach indischem' Kriegs*
recht zu bestrafen, weil sie sich außerhalb
der indischen Grenze befinden.

Die Nürnberger hängen keinen, sie hätten ihn

Farbensprache

Die britische Regierung hat sich entschlos-
sen, ein Weißbuch über den Hunger in In-
dien herauszugeben.

Wenn nur das Weißbuch nicht vor Scham rot
wird! Besser angebracht wäre ohnehin ein

Darauf kommt es an

Ein USA.-Blatt schreibt, der amerikanische

Soldat wisse sich überall zu benehmen.

SOZIALE FRAGE

Absage

Konteradmiral Vickerey erklärte in Wa-
shington: „Mit oder ohne britische Zusam-
menarbeit werden die USA. nach dem Kriege
eine seebeherrschende Nation bleiben.“
Hoffentlich ist das England deutlich genug!
Störend

Ein Leser schreibt dem „Daily Chronicle“:
„Ein unvoreingenommener Besucher unserer
Bergwerke würde überrascht sein, wenn er
bei uns keinerlei Krankenzimmer oder keiner-
lei Kantinen entdecken würde.“

Sowas stört nach britischer Auffassung nur bei

Das heulende Elend

„Manchester Guardian“ schreibt: „Die Ver-
einigten Staaten haben sich überraschend
schnell in die neue Aufgabe hineingefunden,
die Weltgeschäfte zu steuern.“

Auch das ist eine der Überraschungen, mit denen
Großbritannien nicht gerechnet hat! p. d.
 
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