Kladderadatsch (97.1944)

JUSTUS MOSER

„Große Empfindungen aber kön-
nen allein von großen Begeben-
heiten entstehen, die Gefahr macht
Helden und der Ozean hat tau-
send Waghälse, che das feste
Land einen hat. 66 mUssen große
Schwierigkeiten zu überwinden
sein, wo große Empfindungen
und Unternehmungen aus un-
serer Seele empocschicßcn sollen."

AM BAHNFENSTER

Wenn im Flug die Flurer.

haften ihre Spuren
im Vorüherdrchn:

Häuser, Straßenzeilen,
Wald und Ackerland,
weilendes Enteilen,
ewiger Bestand.

Ob dir auch von hinnen
die Kontur entflohn,
tief in deinen Sinnen
wirkt Erscheinung schon.
Und vielleicht nach Zeiten
fällt es wohl dir zu,
wie wenn Räder gleiten
unter deinem Schuh.

Deinem Traumgesichte
deutlich offenbart
sich im Geisteslichte
die verschollne Fahrt:
Häuser, Straßenzeilen,
Wald und Ackerland,
eilendes Verweilen,
ewiger Bestand.

CHRONIK

Die Polizei- und Stadtverwaltungen Eng-
lands haben, wie „Daily Herald“ feststellt,
zunehmende Sorge um die ungeheure Trunk-
sucht, die sich immer mehr unter der weib-
lichen Jugend Großbritanniens ausbreitet.
Bei einer Beratung über die Erteilung von
Schanklizenzen in einer britischen Stadt
habe der Vorsitzende des Stadtrats erklärt,
daß sogar junge Mädchen von 14 bis 15 Jah-
ren sich durch das reichliche Geld, das aus
den Taschen der amerikanischen Soldaten
fließt, verführen ließen, gewohnheitsmäßig
Whisky und andere stark alkoholische Ge-
tränke in großen Mengen zu sich zu nehmen.
Anscheinend handelt es sich da um eine neue
Abart der Suffragetten: sie wollen alle britischer
Ministerpräsident werden und trainieren' eifrig.
Und auch bei ihnen spielt amerikanisches Geld
die entscheidende Rolle.

Vor dem Polizeigericht der englischen Stadt
Salford wurde der jüdische Arzt Isaac David
Olein zu drei Monaten Gefängnis verurteilt,
weil er seit langer Zeit gewerbsmäßig sol-
chen Arbeitern der Rüstungsindustrie, die
sich vor der Arbeit drücken wollten, gegen
hohe Bezahlung Krankheitszeugnisse aus-
stellte. Bei der Verhandlung wurde fest-
gestellt, daß ein Telephonanruf bei dem Arzt
genügte, um sofort ohne jede Untersuchung
einen Krankenschein für jede gewünschte
Zeit zu erhalten.

Die Rüstungslords werden daraus einen Zwang
zur Herabsetzung der Löhne ableiten. Denn wenn
die Arbeiter nichts mehr zu essen haben, kön-
nen sie die hohen Preise Cleins nicht bezahlen
und sich nicht einmal mehr gegen normale Ge-
bühr von einem richtigen Arzt ihre Unterernäh-
rung bescheinigen lassen.

Dem Yankee-General E'isenhower ist von
seiten der Sowjets eine besondere Ehrung
widerfahren: er wurde mit dem .Suworow-
Orden I. Klasse ausgezeichnet.

Eigentlich hätte .ja dem Heerführer, der bei der
Landung in Italien bekanntlich die Beinkleider
verlor, der Hosenbandorden bessere Dienste er-

Gegen die „Verdummung des englischen
Volkes durch die eigene Regierung“ wendet
sich die Londoner Zeitung „People". Heute
klage die Regierung über die Verbreitung
eines übertriebenen Optimismus. Habe aber
nicht Churchill im vergangenen Jahr von
großen Dingen gesprochen — und ein jeder
habe darunter eine Zweite Front verstan-
den —, die sich ereignen sollten, „bevor die
Herbstblätter von den Bäumen fallen“ ? Im
Gegensatz dazu habe sich der italienische
Feldzug, ganz besonders aber das Nettuno-
Abenteuer, als tiefe Enttäuschung erwiesen.
Churchill verdummt das Volkl Das hätte man
höflicher so ausgedrückt: er versucht, die breite
Masse auf sein eigenes geistiges Niveau zu

Ein Franzose namens Albert Denis, der sich
zunächst aus Frankreich nach Afrika ge-
schmuggelt hatte und dann tief enttäuscht
nach Spanien floh, gab der Vertreterin des
„Paris Soir“ in Madrid eine Schilderung
seiner Erlebnisse. Er sei, so erklärte er, im
gelobten Nordafrika gründlich kuriert wor-
den. Er sei hinübergegangen, um von Afrika
aus gegen die Deutschen zu kämpfen. „Aber
welch ein Hirngespinst! Die deutsche Be-
satzung ist ein Glück im Vergleich zur ame-

rikanischen Besatzung, zu den betrunkenen
und Streitsüchtigen Yankees, die alle Rechte
haben und alle Freiheiten mißbrauchen.“
Und dabei hat der Mann die Sowjets gar nicht
erst abgewartet! evr

Ein Konzert in England
Die englische Zeitung „Daily Telegraph“
veröffentlichte Anfang Februar das Pro-
gramm eines Konzerts, das im größten Saal
Londons, der Albert-Hall, stattfand: 1. Flie-
gender Holländer von Richard Wagner;
2. Drittes Brandenburgisches Konzert von
Bach; 3. Don Juan von Richard Strauß;
4. Scherzo und Finale der Fünften Sinfonie
von Beethoven; 6. Walkürenritt von Richard
Wagner.

Fehlt nur noch: 6. Deutschland, Deutschland
über alles von Joseph Haydn.

DIE „AMERIKANISCHE KRAWATTE“

Mister Eden: „Goddani! Lu/t.'.' — Ich — habe

sie — mir zu eng — geknüpft-und de>—

verd-Knoten — geht nicht — mehr auf!"

Du ahnungsvoller Engel du!

Der amerikanische General Eisenhower hat
bei einer Parade zu den Soldaten u. a. ge-
sagt: „Ich hoffe, euch östlich des Rheines
wiederzusehen.“

Sieh an! Er rechnet also mit seiner Gcfangcn-
Umtaufe

Victor Emanuel sollte seinen Namen ändern,
weil der in seiner jetzigen Form doch zu
grotesk wirkt.

Der „Kladderadatsch" schlägt statt Victor Vic-
tus (Der Geschlagene) vor. Emanuel kann aber
bleiben, denn das ist hebräisch und für den
Judenknecht daher durchaus angemessen. 4t,.

Finsternis

Infolge Ausbleibens nordamerikanischer
Sendungen ist in Venezuela völliger Mangel
an Streichhölzern eingetreten.

Was bei der dort durch die Roosevelt-Agenten
verbreiteten Dunkelheit von katastrophaler
Wirkung ist. l.,.

Kladderadatsch