Das öffentliche Leben.
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Art eben so selten vor, als der Mord eines Sclaven, dessen voller
Werth zu ersetzen seyn würde. In einigen Gegenden des Westens
wird der Mord eines Fürsten oder Edelmanns höher bestraft, als
der eines Gemeinen; allein in neuster Zeit sind die Strafen gleich-
gestellt und der letzte gilt gerade so viel, als der erste. (Koch I.
366.) Ehedem kostete der Mord eines Edelmannes dreizehn, der eines
Freien bloß eilf Sclaven. (Voll tr. I. 375. und II. 241.)
Wie nun die Verbrüderung ihren Mitgliedern bei der Zahlung
des Blutpreises behülflich ist, so hat auch die Brüderschaft des Ge-
mordeten Anspruch auf einen Antheil des Blutpreises und sie erhält
meist zwei Drittheile oder drei Viertheile. (Koch I. 367.)
Außer dem wirklichen Mord wird auch Verletzung und Ver-
stümmelung einzelner Gliedmasen bestraft und gesetzlich gesühnt. Ein
zerhauener und unbrauchbar gemachter rechter Arm wird mit fünfzig
Ochsen, ein Säbelhieb in die Brust oder ins Gesicht mit sechs bis
zehn Ochsen, in den Finger der linken Hand mit zwei Ochsen bestraft.
Daß Ehebruch und Verletzung der Gastfreundschaft mit schweren
Strafen belegt werden, sahen wir schon oben.
In früherer Zeit, wo die Tscherkessen noch nicht von dem mäch-
tigen, äußeren Feinde so hart bedrängt waren, mögen Verletzungen
am Eigenthum, an Leib und Leben der Familienglieder, der Brü-
derschaft und Stammgenossen den wesentlichen Inhalt der Rechtspflege ge-
bildet haben. Die fortgesetzten Angriffe der russischen Macht auf die
Selbstständigkeit der Kaukasier haben jedoch ein Nationalgefühl und Selbst-
bewußtseyn hervorgeruftn. Die Volksversammlungen beschäftigen sich
seitdem auch mit den höheren, das Vaterland betreffenden Rechtsfra-
gen. Der Diebstahl, der von Haus aus als eine Uebung der List
und Kühnheit angesehen wurde, wird, weil er die Einigkeit und das
Zusammenhalten der Stämme leicht stört, als ein Verbrechen betrach-
tet und bestraft. Das einseitige Verhandeln und Verkehren mit dem
gemeinsamen Feinde, was früherhin wohl zum großen Schaden der
Gesammtheit Statt gefunden, ist ebenfalls zum Verbrechen erklärt
worden. Es bildete dieses den wesentlichen Inhalt der großen Volks-
versammlung, welcher Stanislaus Bell im Januar 1839 zu Psegahe
beiwohnte. Es reiseten gewisse erwählte Richter im Lande umher,
um zunächst diejenigen zu bestrafen, welche sich in einseitigen Ver-
kehr mit den Russen eingelassen hatten. Unmittelbar nachdem sie in
einem Gau angekommen, suchten sie einen, dem Wetter und Winde
weniger ausgesetzten Ort und riefen die Freien zur Versammlung,
welcher immer mehrere Männer zu Pserde beiwohnten, um die An-
geschuldigten, welche sich nicht freiwillig stellten, mit Gewalt herbei-
zuholen. Nachdem die Schuld des Angeklagten ermittelt, wird sofort
die Strafe ausgesprochen und er wird zur Bezahlung derselben an-
gehalten. Die Richter haben dabei die Verpflichtung, die abgeliefer-
ten Gegenstände zu würdern, ihren Werth zu ermitteln und nach
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Art eben so selten vor, als der Mord eines Sclaven, dessen voller
Werth zu ersetzen seyn würde. In einigen Gegenden des Westens
wird der Mord eines Fürsten oder Edelmanns höher bestraft, als
der eines Gemeinen; allein in neuster Zeit sind die Strafen gleich-
gestellt und der letzte gilt gerade so viel, als der erste. (Koch I.
366.) Ehedem kostete der Mord eines Edelmannes dreizehn, der eines
Freien bloß eilf Sclaven. (Voll tr. I. 375. und II. 241.)
Wie nun die Verbrüderung ihren Mitgliedern bei der Zahlung
des Blutpreises behülflich ist, so hat auch die Brüderschaft des Ge-
mordeten Anspruch auf einen Antheil des Blutpreises und sie erhält
meist zwei Drittheile oder drei Viertheile. (Koch I. 367.)
Außer dem wirklichen Mord wird auch Verletzung und Ver-
stümmelung einzelner Gliedmasen bestraft und gesetzlich gesühnt. Ein
zerhauener und unbrauchbar gemachter rechter Arm wird mit fünfzig
Ochsen, ein Säbelhieb in die Brust oder ins Gesicht mit sechs bis
zehn Ochsen, in den Finger der linken Hand mit zwei Ochsen bestraft.
Daß Ehebruch und Verletzung der Gastfreundschaft mit schweren
Strafen belegt werden, sahen wir schon oben.
In früherer Zeit, wo die Tscherkessen noch nicht von dem mäch-
tigen, äußeren Feinde so hart bedrängt waren, mögen Verletzungen
am Eigenthum, an Leib und Leben der Familienglieder, der Brü-
derschaft und Stammgenossen den wesentlichen Inhalt der Rechtspflege ge-
bildet haben. Die fortgesetzten Angriffe der russischen Macht auf die
Selbstständigkeit der Kaukasier haben jedoch ein Nationalgefühl und Selbst-
bewußtseyn hervorgeruftn. Die Volksversammlungen beschäftigen sich
seitdem auch mit den höheren, das Vaterland betreffenden Rechtsfra-
gen. Der Diebstahl, der von Haus aus als eine Uebung der List
und Kühnheit angesehen wurde, wird, weil er die Einigkeit und das
Zusammenhalten der Stämme leicht stört, als ein Verbrechen betrach-
tet und bestraft. Das einseitige Verhandeln und Verkehren mit dem
gemeinsamen Feinde, was früherhin wohl zum großen Schaden der
Gesammtheit Statt gefunden, ist ebenfalls zum Verbrechen erklärt
worden. Es bildete dieses den wesentlichen Inhalt der großen Volks-
versammlung, welcher Stanislaus Bell im Januar 1839 zu Psegahe
beiwohnte. Es reiseten gewisse erwählte Richter im Lande umher,
um zunächst diejenigen zu bestrafen, welche sich in einseitigen Ver-
kehr mit den Russen eingelassen hatten. Unmittelbar nachdem sie in
einem Gau angekommen, suchten sie einen, dem Wetter und Winde
weniger ausgesetzten Ort und riefen die Freien zur Versammlung,
welcher immer mehrere Männer zu Pserde beiwohnten, um die An-
geschuldigten, welche sich nicht freiwillig stellten, mit Gewalt herbei-
zuholen. Nachdem die Schuld des Angeklagten ermittelt, wird sofort
die Strafe ausgesprochen und er wird zur Bezahlung derselben an-
gehalten. Die Richter haben dabei die Verpflichtung, die abgeliefer-
ten Gegenstände zu würdern, ihren Werth zu ermitteln und nach