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II. DIE GOTISCHEN HANDSCHRIFTEN
BIS 1351
A. ÜBERGANGSSTIL
1267, das Jahr der Kanonisierung der hl. Hedwig, scheint für die schlesische Kunst einen
Wendepunkt zu bezeichnen. Unmittelbar darauf entsteht die Hedwigskapelle der Trebnitzer
Stiftskirche43, die erste reine Verwirklichung gotischer Baugedanken, die seit Beginn des
Thomaschors am Breslauer Dom (1244) sich in mannigfachen Spielarten vorbereitet hatte.
Es handelt sich grundsätzlich um die gleiche Lösung des Architekturproblems, die ein halbes
Jahrhundert früher in der Folge der französischen Kathedralen von Chartres, Laon, Reims,
Amiens eine so vollendete Gestalt gewonnen hatte. Vierteilige Kreuzrippen gleiten schlanken
Dienstbündeln entgegen, von denen sie nur der Blätterkranz der Kapitelle trennt, nach außen
wird der Druck durch hohe Strebepfeiler abgeleitet, und wenn den Mauern ohnehin nur
noch eine füllende Bedeutung bleibt, so werden sie durch die hohen Maßwerkfenster noch
einmal entwertet. Die Spannung zwischen dem Druck der Gewölbe und dem Widerstand
der Hochwände, die sich früher im Ganzen eines Baus ausgewirkt hatte, sammelt sich also
in einzelnen Kräftestrahlen, und aus der amorphen Mauermasse tritt ein Gerüst feinteiliger
Glieder hervor, deren spezifische Leichtigkeit den Eindruck übersinnlichen Höhendrangs
erweckt. Dieses Grundprinzip des gotischen Formwillens, das Herausholen eines funktionel-
len Kerns aus der ungestalten Masse, die Gliederung schlechthin, tritt zwar in der Bau-
kunst am sinnfälligsten in Erscheinung. Aber erst die übrigen Kunstgattungen, die es ja
mit dem Menschen, seinen Affekten, seiner Umwelt zu tun haben, entwickeln es zu einem
das ganze Leben gestaltenden Stilgesetz. Hier steht die französische Buchmalerei an erster
Stelle, die bald nach 1200, spätestens vom Psalter der Blanche von Kastilien (vor 1223) bis
zur Vie de St. Denis (1317) eine Entwicklung von solcher Stetigkeit und solchem Glanz er-
lebte, daß sich kaum ein anderes Land ihrer Einwirkung entziehen konnte44.
Während sich nun in West-, Mittel- und Süddeutschland an wesentlichen Beispielen ab-
lesen läßt, wie die deutsche Kunst diesem Vorgang in einigem Abstand, aber mit höchst
eigenwilligem Umriß folgte, ist es um die Erhaltung der frühgotischen Denkmäler in Schle-
43 H. Lutsch, Kunstdenkmäler d. Prov. Schlesien, II, S. 577ff. A. Zinkler in: Die Klosterkirche in Trebnitz, Bresl. 1940,
S. iff.
44 A. Michel, Histoire de l’art, II, 1 (A. Haseloff).

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