Michelangelo.
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Hauses Buonarroti befindet, wurde am 26.
August 1498 geschlossen; Galli, der den-
selben für Michelangelo unterzeichnet Hat,
verspricht darin, daß das Werk so werden
solle, wie kein zur Zeit lebender Meister es
besser machen könnte. Dieses Versprechen
hat Michelangelo voll eingelöst. Er schnf
die weltberühmte Gruppe, welche sich, nach-
dem die Kapelle der französischen Könige
durch den Neubau der Peterskirche zerstört
worden, in der nach ihr benannten Capella
della Pieta dieser Kirche befindet. Ältere
Künstler Hatten in der Darstellung dieses
unzähligemal behandelten Gegenstandes durch
eine möglichst herbe Schilderung von Tod
und Mutterschmerz ergreifend zum Beschauer
zu, sprechen versucht. Michelangelo streifte
alle Fesseln der Überliefernng ab. Er ließ
die Mutter in all ihrem Schmerz die ruhige
Schönheit des Antlitzes bewahren. Den
Christuskörper bildete er als einen Leichnam,
an dessen Totsein niemand zweifeln kann;
er benutzte dazu eine Studie, die er nach
einer wirklichen Leiche zeichnete (Abb. 12);
aber er verklärte den Leichnam mit idealer
Schönheit, er schuf eine Gestalt, welcher der
Tod seine Merkmale ohne alle entstellenden
Züge aufgedrückt hat, die Gestalt eines gött-
lichen Toten, der gestorben ist, um wieder
aufzuerstehen. Durch eiu Mittel künstleri-
schen Gegensatzes hat der Meister es ver-
standen, die ruhige Schönheit des Leichnams
in erhöhtem Maße zur Geltung zu bringen,
indem er die Gewänder Marias in tiefen,
durch malerischen Wechsel von Licht und Schat-
ten belebten Falten ausarbeitete (Abb. 13).
Von den Zeitgenossen nahmen einige, an
die realistische Auffassung früherer Meister
gewöhnt, an der jugendlichen Schönheit des
Madonnengesichts Anstoß; Michelangelo
rechtfertigte es mit theologischer Gelehrsam-
keit, daß die jungfräuliche Mutter in unver-
gänglicher Jugend darzustellen sei. In der
Pieta der Peterskirche zeigt Michelangelo
sich nicht nur frei von dem Herkommen der
früheren florentinischen Kunst, sondern er
erscheint auch unabhängig von der unmittel-
baren Einwirkung der Antike; hier steht er
zum erstenmal ganz in seiner selbständigen
Künstlerpersönlichkeit da. Gleich als ob
ihm selbst dieses zum Bewußtsein gekommen
wäre, hat er dieses Werk allein unter seinen
sämtlichen Schöpfungen mit seinem Namen
bezeichnet. Vasari weiß über diese Namens-
Abb. 11. Bewegungsstudie. Federzeichnung
in der Sammlung des Louvre zu Paris.
inschrift ein Geschichtchen zu erzählen:
Michelangelo hätte eines Tages gehört, wie
in einer Gesellschaft von Fremden, welche
das Werk bewanderten, ein Mailänder Bild-
hauer als der Schöpfer desselben genannt
worden sei; daraufhin sei er in der Nacht
mit einem Lichte hingegangen und habe seinen
Namen in das Schulterband der Maria
gemeißelt. In der Folgezeit durfte er mit
gerechtem Stolz die Überzeugung hegen, daß
niemand mehr seine Schöpfungen einem
anderen Urheber zuschreiben würde.
Während Michelangelo in Roni un-
sterbliche Werke schuf, führte sein Vater in
Florenz ein kümmerliches Leben; derselbe
Hatte sein Amt durch die Vertreibung der
Mediceer verloren, und die schlimmen Zu-
stände der Stadt, in welcher infolge der
endlosen Unruhen im Innern und der krie-
gerischen Verwickelungen nach außen Hunger
und Teuerung herrschten, brachten ihn in
arge Bedrängnis. Sehnsüchtig harrte er
auf die Heimkehr seines Sohnes, der ihn
von Rom aus nach Kräften unterstützte.
„Ihr mögt mir glauben," schrieb Michel-
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Hauses Buonarroti befindet, wurde am 26.
August 1498 geschlossen; Galli, der den-
selben für Michelangelo unterzeichnet Hat,
verspricht darin, daß das Werk so werden
solle, wie kein zur Zeit lebender Meister es
besser machen könnte. Dieses Versprechen
hat Michelangelo voll eingelöst. Er schnf
die weltberühmte Gruppe, welche sich, nach-
dem die Kapelle der französischen Könige
durch den Neubau der Peterskirche zerstört
worden, in der nach ihr benannten Capella
della Pieta dieser Kirche befindet. Ältere
Künstler Hatten in der Darstellung dieses
unzähligemal behandelten Gegenstandes durch
eine möglichst herbe Schilderung von Tod
und Mutterschmerz ergreifend zum Beschauer
zu, sprechen versucht. Michelangelo streifte
alle Fesseln der Überliefernng ab. Er ließ
die Mutter in all ihrem Schmerz die ruhige
Schönheit des Antlitzes bewahren. Den
Christuskörper bildete er als einen Leichnam,
an dessen Totsein niemand zweifeln kann;
er benutzte dazu eine Studie, die er nach
einer wirklichen Leiche zeichnete (Abb. 12);
aber er verklärte den Leichnam mit idealer
Schönheit, er schuf eine Gestalt, welcher der
Tod seine Merkmale ohne alle entstellenden
Züge aufgedrückt hat, die Gestalt eines gött-
lichen Toten, der gestorben ist, um wieder
aufzuerstehen. Durch eiu Mittel künstleri-
schen Gegensatzes hat der Meister es ver-
standen, die ruhige Schönheit des Leichnams
in erhöhtem Maße zur Geltung zu bringen,
indem er die Gewänder Marias in tiefen,
durch malerischen Wechsel von Licht und Schat-
ten belebten Falten ausarbeitete (Abb. 13).
Von den Zeitgenossen nahmen einige, an
die realistische Auffassung früherer Meister
gewöhnt, an der jugendlichen Schönheit des
Madonnengesichts Anstoß; Michelangelo
rechtfertigte es mit theologischer Gelehrsam-
keit, daß die jungfräuliche Mutter in unver-
gänglicher Jugend darzustellen sei. In der
Pieta der Peterskirche zeigt Michelangelo
sich nicht nur frei von dem Herkommen der
früheren florentinischen Kunst, sondern er
erscheint auch unabhängig von der unmittel-
baren Einwirkung der Antike; hier steht er
zum erstenmal ganz in seiner selbständigen
Künstlerpersönlichkeit da. Gleich als ob
ihm selbst dieses zum Bewußtsein gekommen
wäre, hat er dieses Werk allein unter seinen
sämtlichen Schöpfungen mit seinem Namen
bezeichnet. Vasari weiß über diese Namens-
Abb. 11. Bewegungsstudie. Federzeichnung
in der Sammlung des Louvre zu Paris.
inschrift ein Geschichtchen zu erzählen:
Michelangelo hätte eines Tages gehört, wie
in einer Gesellschaft von Fremden, welche
das Werk bewanderten, ein Mailänder Bild-
hauer als der Schöpfer desselben genannt
worden sei; daraufhin sei er in der Nacht
mit einem Lichte hingegangen und habe seinen
Namen in das Schulterband der Maria
gemeißelt. In der Folgezeit durfte er mit
gerechtem Stolz die Überzeugung hegen, daß
niemand mehr seine Schöpfungen einem
anderen Urheber zuschreiben würde.
Während Michelangelo in Roni un-
sterbliche Werke schuf, führte sein Vater in
Florenz ein kümmerliches Leben; derselbe
Hatte sein Amt durch die Vertreibung der
Mediceer verloren, und die schlimmen Zu-
stände der Stadt, in welcher infolge der
endlosen Unruhen im Innern und der krie-
gerischen Verwickelungen nach außen Hunger
und Teuerung herrschten, brachten ihn in
arge Bedrängnis. Sehnsüchtig harrte er
auf die Heimkehr seines Sohnes, der ihn
von Rom aus nach Kräften unterstützte.
„Ihr mögt mir glauben," schrieb Michel-