Michelangelo.
21
Hinter ihr auf ein Knie niedergelassen hat
(Abb. 19). Hinsichtlich der Farbe darf man
keine Ansprüche an das Bild machen; denn
diese ist dem Künstler augenscheinlich Neben-
sache gewesen, die Gruppe hätte ebenso gut
in Marmor wie in Malerei ausgeführt
werden können. Aber in der Zeichnung und
Rundung der Formen ist es herrlich und in
der Empfindung so groß wie liebenswürdig.
Höchst befremdlich für den modernen Be-
schauer ist die Belebung des Hintergrundes
durch nackte Jünglingsgestalten, die zu dem
Gegenstand der Darstellung in gar keiner
Beziehung stehen. Diese Gestalten hat Mi-
chelangelo nach Vasaris Worten da an-
gebracht, „um noch besser zu zeigen, wie
sehr groß seine Kunst sei". Das ist so
recht im Sinne der Renaissance. Genau
mit dem nämlichen Gefühl und aus dem
nämlichen Grunde, wie die älteren nieder-
ländischen und deutschen Maler ihre Werke
mit liebevoll ausgeführten Blumen und
Kräutern und Vögelein geschmückt Hatten,
aus reiner Lust an dem neugewonnenen
Können, das der Vorzeit verborgen gewesen
war, so schmückten jetzt die italienischen
Maler ihre Bilder mit nackten Figuren, nm
ihre Kenntnis von der Schönheit der Men-
schengestalt der Welt freudig zu offenbaren.
Und wenn irgend einer, so durfte Michel-
angelo sich solcher Kenntnis rühmen; Wenn
gar keine ausgeführten Werke von ihm vor-
handen wären, seine Zeichnungen — flüch-
tige Skizzen und durchgebildete Studien —
würden es beweisen (Abb. 20 und 21). —
Der erste Besitzer des Bildes der heiligen
Familie war der Kunstliebhaber Angelo Doni
in Florenz, der es von dem ihm befreun-
deten Künstler um hohen Preis erwarb.
In die Zeit, während welcher die Rie-
senfigur des David entstand, fällt außer den
genannten Werken aller Wahrscheinlichkeit
nach auch noch eine Marmorfigur, über
deren Entstehung die Nachrichten fehlen, der
sterbende Adonis im Nationalmuseum zu
Florenz (Abb. 22), sowie ferner ein unfertig
gebliebenes Gemälde in der Londoner
Nationalgalerie, welches die Grablegung
Christi in eigentümlich wirkungsvoller Weise
darstellt.
Nach der Vollendung des David galt
Michelangelo unbestritten als der erste Bild-
hauer der Welt. Noch in demselben Jahre
1504 trat die Aufgabe an ihn heran, mit
dem größten Maler der Zeit, mit Leonardo
da Vinci, um die Palme zu ringen. —
Abb. 21. Aktskizzen. Federzeichnung in der Albertina.
(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clement L Cie. in Dörnach i. E. und Paris.)
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Hinter ihr auf ein Knie niedergelassen hat
(Abb. 19). Hinsichtlich der Farbe darf man
keine Ansprüche an das Bild machen; denn
diese ist dem Künstler augenscheinlich Neben-
sache gewesen, die Gruppe hätte ebenso gut
in Marmor wie in Malerei ausgeführt
werden können. Aber in der Zeichnung und
Rundung der Formen ist es herrlich und in
der Empfindung so groß wie liebenswürdig.
Höchst befremdlich für den modernen Be-
schauer ist die Belebung des Hintergrundes
durch nackte Jünglingsgestalten, die zu dem
Gegenstand der Darstellung in gar keiner
Beziehung stehen. Diese Gestalten hat Mi-
chelangelo nach Vasaris Worten da an-
gebracht, „um noch besser zu zeigen, wie
sehr groß seine Kunst sei". Das ist so
recht im Sinne der Renaissance. Genau
mit dem nämlichen Gefühl und aus dem
nämlichen Grunde, wie die älteren nieder-
ländischen und deutschen Maler ihre Werke
mit liebevoll ausgeführten Blumen und
Kräutern und Vögelein geschmückt Hatten,
aus reiner Lust an dem neugewonnenen
Können, das der Vorzeit verborgen gewesen
war, so schmückten jetzt die italienischen
Maler ihre Bilder mit nackten Figuren, nm
ihre Kenntnis von der Schönheit der Men-
schengestalt der Welt freudig zu offenbaren.
Und wenn irgend einer, so durfte Michel-
angelo sich solcher Kenntnis rühmen; Wenn
gar keine ausgeführten Werke von ihm vor-
handen wären, seine Zeichnungen — flüch-
tige Skizzen und durchgebildete Studien —
würden es beweisen (Abb. 20 und 21). —
Der erste Besitzer des Bildes der heiligen
Familie war der Kunstliebhaber Angelo Doni
in Florenz, der es von dem ihm befreun-
deten Künstler um hohen Preis erwarb.
In die Zeit, während welcher die Rie-
senfigur des David entstand, fällt außer den
genannten Werken aller Wahrscheinlichkeit
nach auch noch eine Marmorfigur, über
deren Entstehung die Nachrichten fehlen, der
sterbende Adonis im Nationalmuseum zu
Florenz (Abb. 22), sowie ferner ein unfertig
gebliebenes Gemälde in der Londoner
Nationalgalerie, welches die Grablegung
Christi in eigentümlich wirkungsvoller Weise
darstellt.
Nach der Vollendung des David galt
Michelangelo unbestritten als der erste Bild-
hauer der Welt. Noch in demselben Jahre
1504 trat die Aufgabe an ihn heran, mit
dem größten Maler der Zeit, mit Leonardo
da Vinci, um die Palme zu ringen. —
Abb. 21. Aktskizzen. Federzeichnung in der Albertina.
(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clement L Cie. in Dörnach i. E. und Paris.)