Michelangelo.
57
rechtsseitigen Reihe macht der Prophet Joel.
Er ist ein unbürtiger Mann mit hoher
Stirn und ergrauendem Haar; seine Augen
fliegen über die Schriftrolle, die er mit
beiden Händen hält, Kopf und Haltung be-
zeichnen ' eine Persönlichkeit, die zu ent-
schlossenem Handeln bereit ist, die laut und
rückhaltlos die Worte der Zukunft ver-
kündigen wird (Abb. 55). Über der Ein-
gangswand der Kapelle erscheint der Pro-
phet Zacharias. Diese ehrwürdige Greisen-
gestalt mit kahlem Schädel und langem
Bart, die mit unerschütterlicher Ruhe Blatt
der ruhigste, so ist dieser der bewegteste von
allen; jener ist ganz eingehüllt in die weiten
Falten von Rock und Mantel, dieser ent-
behrt des Gewandes. Jonas ist dargestellt
in dem Augenblick, wie er aus dem Rachen
des Meerungeheuers, das seitwärts sichtbar
wird, wieder ans Licht gekommen ist, ein
Gegenstand des Staunens für die Engel-
kuaben. Noch nicht ganz Herr seiner
Glieder, hat er den Oberkörper hintenüber
geworfen und atmet mit tiefen Zügen die
Himmelsluft ein; mit Blicken unaussprech-
lichen Dankes wendet sich sein Kopf nach
Abb. 58. Gleichzeitige Abbildung (nach dem Karton) von Michelangelos Gemälde „Die eherne
Schlange" an der Decke der Sixtinischen Kapelle. In der Albertina zu Wien.
(Nach einer Originalphotographie von Brann, Cläment L Cie. in Dörnach i. E. und Paris.)
für Blatt in dcm Buche der Strafen und
der Verheißungen umschlägt, ist vielleicht
die allerschönste unter all diesen erhabenen Ge-
stalten. Die beiden Engel stehen in schwei-
gender Ehrfurcht hinter dem Rücken des
Greises, sie halten einander umschlungen
und blicken über seine Schulter in das
Buch (Abb. 56). Die überall durchgeführte
Anordnung, daß zwischen den einander gegen-
über befindlichen Gestalten eine lebhafte
Wechselwirkung durch Gegensätze besteht,
kommt am sprechendsten zur Geltung bei
den beiden Propheten der Schmalseiten.
Über der Altarwand, also dem Zacharias
gegenüber, ist Jonas dargestellt; wie jener
oben, und der Prophet erschaut die ver-
heißungsvolle Bedeutung seiner Geschichte
(Abb. 57).
Die Geschichte des Jonas hat von jeher
als eine Vorbedeutung der Auferstehung
Christi gegolten; es ist daher nicht Zufall,
daß Michelangelo ihm den Platz über dem
Altar angewiesen hat.
Das Bild des Jonas, der nicht sowohl
durch seine Worte, als vielmehr durch seine
Erlebnisse Prophet ist, leitet hinüber zu den
Bildern, in denen vorbedeutende Begeben-
heiten aus der Geschichte des Alten Bundes
geschildert sind. In den gewölbten Zwickel-
feldern, welche in den vier Ecken der Ka-
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rechtsseitigen Reihe macht der Prophet Joel.
Er ist ein unbürtiger Mann mit hoher
Stirn und ergrauendem Haar; seine Augen
fliegen über die Schriftrolle, die er mit
beiden Händen hält, Kopf und Haltung be-
zeichnen ' eine Persönlichkeit, die zu ent-
schlossenem Handeln bereit ist, die laut und
rückhaltlos die Worte der Zukunft ver-
kündigen wird (Abb. 55). Über der Ein-
gangswand der Kapelle erscheint der Pro-
phet Zacharias. Diese ehrwürdige Greisen-
gestalt mit kahlem Schädel und langem
Bart, die mit unerschütterlicher Ruhe Blatt
der ruhigste, so ist dieser der bewegteste von
allen; jener ist ganz eingehüllt in die weiten
Falten von Rock und Mantel, dieser ent-
behrt des Gewandes. Jonas ist dargestellt
in dem Augenblick, wie er aus dem Rachen
des Meerungeheuers, das seitwärts sichtbar
wird, wieder ans Licht gekommen ist, ein
Gegenstand des Staunens für die Engel-
kuaben. Noch nicht ganz Herr seiner
Glieder, hat er den Oberkörper hintenüber
geworfen und atmet mit tiefen Zügen die
Himmelsluft ein; mit Blicken unaussprech-
lichen Dankes wendet sich sein Kopf nach
Abb. 58. Gleichzeitige Abbildung (nach dem Karton) von Michelangelos Gemälde „Die eherne
Schlange" an der Decke der Sixtinischen Kapelle. In der Albertina zu Wien.
(Nach einer Originalphotographie von Brann, Cläment L Cie. in Dörnach i. E. und Paris.)
für Blatt in dcm Buche der Strafen und
der Verheißungen umschlägt, ist vielleicht
die allerschönste unter all diesen erhabenen Ge-
stalten. Die beiden Engel stehen in schwei-
gender Ehrfurcht hinter dem Rücken des
Greises, sie halten einander umschlungen
und blicken über seine Schulter in das
Buch (Abb. 56). Die überall durchgeführte
Anordnung, daß zwischen den einander gegen-
über befindlichen Gestalten eine lebhafte
Wechselwirkung durch Gegensätze besteht,
kommt am sprechendsten zur Geltung bei
den beiden Propheten der Schmalseiten.
Über der Altarwand, also dem Zacharias
gegenüber, ist Jonas dargestellt; wie jener
oben, und der Prophet erschaut die ver-
heißungsvolle Bedeutung seiner Geschichte
(Abb. 57).
Die Geschichte des Jonas hat von jeher
als eine Vorbedeutung der Auferstehung
Christi gegolten; es ist daher nicht Zufall,
daß Michelangelo ihm den Platz über dem
Altar angewiesen hat.
Das Bild des Jonas, der nicht sowohl
durch seine Worte, als vielmehr durch seine
Erlebnisse Prophet ist, leitet hinüber zu den
Bildern, in denen vorbedeutende Begeben-
heiten aus der Geschichte des Alten Bundes
geschildert sind. In den gewölbten Zwickel-
feldern, welche in den vier Ecken der Ka-