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Knackfuß, Hermann; Michelangelo [Ill.]
Michelangelo — Künstler-Monographien, Band 4: Bielefeld [u.a.]: Velhagen & Klasing, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.71515#0081
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70 Michelangelo.

dem Boden — auf den Beschauer Herab-
blicken sollte, geht dadurch verloren, daß die
Figur zu ebener Erde aufgestellt worden ist;
und eine allzu enge Nische bedrückt die auf
eine freie Aufstellung berechneten Umrisse
der Figur.
Zu den auf das Juliusgrabmal bezüg-
lichen Arbeiten zählt man auch eine in der
Sammlung des Uffizienpalastes aufbewahrte
Zeichnung, in welcher man den Entwurf zu
einem der geplanten Reliefbilder vermutet.
Die Zeichnung gibt eine allegorische Dar-
stellung der Klugheit: ein Knabe schmiegt sich
an den Schoß der Wahrheit, die als mächtige
Frauengestalt mit einem Spiegel dasitzt, nnd
weist die Lüge, die als ein mit Maske und
Mantel vermummtes Kind auf ihn zutritt,
zurück (Abb. 65).
Ungeachtet des Eifers, mit welchem
Michelangelo seine ganze Kraft dem' Grab-
mal widmete, nahm das Werk nicht einen
derartigen Fortgang, daß sich die baldige
Vollendung desselben erwarten ließ. Vielleicht
war dieses der Grund, daß die Testaments-
vollstrecker des Papstes Julius sich zu einer
erheblichen Verkleinerung des Grabmals ent-
schlossen. Michelangelo willigte, anscheinend
ohne Widerstreben, ein. Das Grabmal sollte
immerhin noch in sehr stattlicher Gestalt aus-
geführt werden, wie sich aus der dem
neuen Vertrag, der am 8. Juli 1516
abgeschlossen wurde, beigefügten Beschreibung
ergibt. Die Verkleinerung des Ganzen sollte
in einer Verringerung der Tiefe bestehen,
so daß der Unterbau, dessen Gliederung
durch Pilaster und Nischen, dem schon
begonnenen Figurenschmuck entsprechend,
beibehalten wurde, an den Seitenwänden
nur je eine Nische bekäme. Die Vorder-
front sollte auf das Maß von elf Ellen
verbreitert werden; die Verbreiterung war
dadurch geboten, daß bei der jetzigen An-
ordnung, welche die früheren Langfeiten zu
Schmalseiten machte, der Sarkophag so aus-
gestellt werden mußte, daß er anstatt des
Fußendes eine seiner Langseiten nach vorn
kehrte.
Der architektonische Aufbau des Ober-
geschosses sollte in Breite und Tiefe dem
Untergeschoß gleich werden, die sitzenden
Kolossalfiguren, deren Zahl, der Verringerung
der Nischenzahl am Unterbau entsprechend,
von sechs auf vier beschränkt wurde, sollten
nicht mehr vor der Architektur, sondern im

Rahmen derselben aufgestellt werden; in der
Tiefe des Oberbaues, in einer Art von
Tribuna, sollte das Bild des Papstes mit
zwei Nebenfiguren Platz finden. Auf der
Bekrönung des Ganzen sollte sich ein großes
Madonnenbild erheben. Die Frist der Fertig-
stellung wurde ,bis zum Jahre 1525 ver-
längert. Michelangelo bekam für diese Zeit
ein Haus in Rom zur Verfügung gestellt,
und es wurde ihm die Freiheit gewährt,
nach seinem Belieben in Rom, Florenz oder
Carrara an dem Werk zu arbeiten; dafür
aber verpflichtete er sich, kein anderes be-
deutendes Werk vor Vollendung des Grab-
mals zu übernehmen.
Es war nicht Michelangelos Schuld,
daß er dieser Verpflichtung nicht treu bleiben
konnte. Er mußte sich dem Willen eines
Mächtigeren unterwerfen. Im Spätherbst
1516 erhielt Michelangelo in Carrara, wo
er verweilte, um Marmorblöcke auszuwühlen,
und wo ihn im November die Nachricht
von einer lebensgefährlichen — aber bald
nachher glücklich überwundenen — Erkrankung
seines Vaters in schwere Aufregung versetzte,
von Papst Leo X den Befehl, zu ihm nach
Rom zu kommen zum Zwecke einer Besprechung
über den Bau der Fassade der S. Lorenzo-
kirche zu Florenz.
Leo X war der erste Mediceer und der
erste Florentiner, der zur päpstlichen Würde
gelangte. Als er am 30. November 1515
bei Gelegenheit seiner Reise nach Bologna,
Wo er mit dem König von Frankreich zu-
sammenkam, die Vaterstadt besuchte, entfaltete
er bei seinem Einzug allen Glanz des geist-
lichen und weltlichen Herrschers, und voll
Stolz bereitete die Stadt ihrem so hoch ge-
stiegenen Sohn einen Empfang von uner-
hörter Pracht. Der Papst besuchte in der
Kirche S. Lorenzo, die einer seiner Vorfahren
Hatte erbauen lassen und welche die Pfarr-
und Begräbniskirche seines Hauses war,
das Grab seines Vaters. Dieser Kirche
fehlte eine stattliche Schauseite, und es lag
nahe, daß jetzt dem Papst der Gedanke kam,
diesen Mangel zu beseitigen und zur Ehre
seiner Familie und zum Schmucke seiner
Vaterstadt hier ein großartiges Denkmal
seiner Kunstliebe zu errichten. Nachdem
Leo X diesen Entschluß gefaßt hatte, ließ
er sich von mehreren der angesehensten Bau-
künstler Entwürfe für die Fassade von
S. Lorenzo einreichen; aber er wurde von
 
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