Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Knackfuß, Hermann; Michelangelo [Ill.]
Michelangelo — Künstler-Monographien, Band 4: Bielefeld [u.a.]: Velhagen & Klasing, 1899

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.71515#0086
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Michelangelo.

deren mancherlei kamen, ging er nicht ein,
mochten sie auch so ehrenvoll sein, wie diejenige
des Königs von Frankreich, der ihn inständig
um irgend eine Sache von seiner Hand,
wenn es auch nur eine Kleinigkeit wäre,
bitten ließ. Den Mediceern konnte er es
freilich nicht abschlagen, wenn sie seine Kraft
durch unbedeutende, aber zeitraubende kleine
Arbeiten in Anspruch nahmen, wie durch
Entwürfe zu Fenstern aur Palast und zu
Fensterläden aus durchbrochenem Erz.
Als der Fassadenbau aufgegeben war,
entledigte sich Michelangelo alsbald einer
alten Verpflichtung. Im Jahre 1514 hatte
er für mehrere römische Herren die An-
fertigung eines lebensgroßen Christusbildes
für die Kirche S. Maria sopra Minerva
übernommen, welches den auferstandenen
Heiland unbekleidet, aufrechtstehend, mit dem
Kreuz im Arm, darstellen sollte. Er hatte
gleich damals in Rom das Standbild be-
gonnen; aber er mußte die angefangene Fi-
gur aufgeben, weil gerade im Gesicht der-
selben eine entstellende dunkle Marmorader
zu Tage trat. Jetzt machte er diese Figur
zum zweitenmal. Im Sommer 1521 schickte
er sie nach Rom; sein Gehilfe Pietro Ur-
bano, der das Standbild begleitete, sollte
dasselbe aufstellen und die offenbar aus
Rücksicht auf die Gefahr der Beschädigung
beim Transport unfertig gelassenen äußersten
Teile, die Finger, die Zehen und den Bart,
ausarbeiten. Über die Arbeit des Urbano
bekam Michelangelo so ungünstige Nachrichten,
daß er sich dem Hauptbesteller, Metello
Vari, gegenüber erbot, das Standbild zum
drittenmal zu machen. Aber das wies dieser,
der dem Meister schon unendlich dankbar
war, daß er ihm jene erste, verworfene Fignr
zur Aufstellung in seiner Wohnung über-
lassen Hatte, mit den schmeichelhaftesten Aus-
drücken zurück: „Ihr zeigt," schrieb er ihm,
„Euren großen Sinn und Eure Hochherzig-
keit, indem Ihr für ein Werk, das in der
Welt nicht besser gemacht werden kann und
das nicht seinesgleichen hat, mir ein noch
besseres liefern wollt." Als Beweis seiner
besonderen Dankbarkeit schenkte er dem Künst-
ler ein Reitpferd. — Michelangelos Christus,
der mit der Rechten das Kreuz umfaßt, mit
der Linken den Essigschwamm und die Stange
hält und mit gewendetem Haupt ernst und
traurig auf den Beschauer herabblickt, steht
.auf einem viel zu niedrigen Untersatz und


Abb. 71. Skizze zur Mediceischeu
Madonna. Federzeickinunq in der Albertina
zu Wien.

(Nach einer Oriqinalphotoqraphie von Braun,
Element L Cie. in Dörnach i. E. und Paris.)

in sehr schlechter Beleuchtung in der Kirche
S. Maria sopra Minerva zu Rom (Abb. 66).
Daß eine spätere Zeit, welche die unbefangene
Begeisterung der Renaissance für die Schön-
heit der Menschengestalt nicht mehr teilte,
an der völligen Nacktheit der Figur Anstoß
nahm, ist begreiflich; leider aber ist das
bronzene Lendentuch, womit mau dieselbe
bekleidete, sehr ungeschickt angeordnet: es
liegt zu tief, so daß es den schon durch die
niedrige Aufstellung hervorgerufenen Ein-
druck, als ob die Beine gegen den Oberkörper
zu kurz wären, in empfindlicher Weise ver-
stärkt. Einen wie tiefen Eindruck das Bild
aber auf die Gemüter der Andächtigen aus-
übte, das bekundet eine andere Zuthat: der
vortretende rechte Fuß der Figur mußte durch
einen Bronzeschuh gegen die inbrünstigen
Küsse der Beter geschützt werden.
Durch das Aufgeben des Baues der
Lorenzofassade glaubte Michelangelo sich in
 
Annotationen