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Knackfuß, Hermann; Michelangelo [Ill.]
Michelangelo — Künstler-Monographien, Band 4: Bielefeld [u.a.]: Velhagen & Klasing, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.71515#0097
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Michelangelo.

wältungsamt hatte der Meister einige Zeit
vorher ausgcschlagen; aber dem Schutze seiner
Vaterstadt lieh er willig seine Kräfte. Am
6. April 1529 wurde er für die Dauer eines
Jahres zum obersten Leiter und Aufseher
der Befestigungen von Florenz ernannt.
Mit rastlosem Eifer ließ er Wälle und
Gräben und Bastionen Herstellen; besonders
den die Stadt beherrschenden Hügel von
S. Miniato sicherte er in einer Weise, die
sich erfolgreich bewährte. Im Mai wurde
er nach Pisa geschickt, um auch dort für die
Instandsetzung der Festungswerke Anord-
nungen zu treffen. Im August ging er im
Auftrage der Republik nach Ferrara zum
Zwecke der Einsichtnahme in die berühmten
Festungswerke, welche der Herzog Alfonso
d'Este seiner Stadt gegeben Hatte. Inzwischen
rückte das Heer Karls V gegen Florenz vor.
Eine Stadt nach der anderen ging der
Republik durch Erstürmung oder Übergabe
verloren. In Florenz selbst entstand eine
fürchterliche Verwirrung; während die einen
mit dem Mut der Verzweiflung das Äußerste
zu wagen entschlossen waren, verzweifelten
andere an jeder Möglichkeit des Widerstandes.
Viele verließen die Stadt, um den Fall der-
selben nicht mitansehen zu müssen, und unter
diesen war Michelangelo. Der König von
Frankreich hatte ihm anbieten lassen, daß er
in seine Dienst treten solle; bei der geringen
Aussicht, welche die italienischen Zustände
einem ferneren Gedeihen der Künste zu
gewähren schienen, hatte Michelangelo sich
mit dem Gedanken vertraut gemacht, diesem
Rufe Folge zu leisten, sobald der Kampf
um Florenz entschieden sein würde. In
jener Zeit der höchsten Aufregung ent-
schloß er sich plötzlich, nicht so lange zu
warten, sondern gleich nach Frankreich zu
gehen. Auf der Bastion vor dem Thor
S. Niccolo flüsterte ihm an: Morgen des
21. September jemand ins Ohr, wenn er sein
Leben behalten wolle, müsse er fliehen; jener
Ungenannte verschaffte ihm Pferde, und er floh;
er wußte nicht — wie er einige Tage später
schrieb — ob der Rat von Gott oder vom
Teufel kam. Am 30. September wurde über
die sämtlichen Flüchtlinge die Acht aus-
gesprochen ; ihre Habe sollte eingezogen werden,
wenn sie sich nicht bis znm 6. Oktober dem
Gericht stellten. Um zu retten, was sich
retten ließ, verbarg oder verkaufte Michel-
angelos Magd, was sich an Einrichtungs-

gegenstünden und Vorräten in seinem Hause
befand; das vorhandene Verzeichnis dieser
Dinge verrät, daß seine Einrichtung mehr
als bescheiden War. Fast scheint es übrigens,
als ob man an maßgebender Stelle seine
Rückkehr vorausgesetzt Hütte; denn sein Name
befindet sich wohl in der Liste der Ver-
bannten, aber nicht in der Liste derjenigen,
deren Besitz eingezogen wurde. In der That
folgte Michelangelo der Stimme der Pflicht
und dem Rat seiner Freunde und kehrte im
November von Venedig, wohin er zunächst
geflohen war, über Ferrara nach Florenz
zurück. Die Signoria hatte ihm die Zu-
sicherung freien Geleites nach Venedig ge-
schickt, und als er wiederkam, war seine
Bestrafung nicht allzu streng; das Ver-
bannungsurteil wurde am 23. November
aufgehoben und statt dessen nur bestimmt,
daß er für drei Jahre von dem Recht, im
großen Rate zu sitzen, ausgeschlossen sein
sollte, jedoch mit der Befugnis, alljährlich
um seine Wiedereinsetzung einkommen zu
dürfen; außerdem sollte ihm für sein Amt
als oberster Aufseher der Verteidigungswerke
fernerhin kein Gehalt ausgezahlt werden.
Michelangelo kam noch gerade zur Zeit, um
alle Schrecken der engeren Belagerung mit
durchzumachen. In seinen Skizzenbuchblättern
spiegeln sich die blutigen Bilder wieder,
welche die Straßen von Florenz belebten
(Abb. 69). Trotz seiner kriegerischen Thätig-
keit — denn von einem Aufhören seines
Amtes, die Instandhaltung der Festungs-
werke zu leiten, ist nirgends die Rede —
fand Michelangelo noch Zeit, sich bisweilen
in das Reich der Kunst zu flüchten. Er
soll ab und zu heimlich in der Grabkapelle
der Mediceer an den dort angefangenen
Figuren gearbeitel Haben. Und mit aller
Bestimmtheit versichert Vasari, daß während
der Belagerung ein Temperagemälde unter
der Hand des Meisters entstand, welches so
weit ab wie nur möglich von der rauhen
Wirklichkeit lag. Dieses Bild stellte eine
Leda vor: Herzog Alfons von Ferrara Hatte
dasselbe bei Michelangelo bestellt, als dieser
in kriegerischer Sendung bei ihm verweilte.
Leider ist das Gemälde, welches den Beweis
erbrachte, daAder ernste und düstere Künstler
anch die sinnliche Glut der Liebe mit der
ganzen Kraft seiner Meisterschaft zu schildern
verstand, verloren gegangen. Michelangelo
schenkte dasselbe später aus Verdruß darüber,
 
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