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Koch, Alexander [Hrsg.]; Fuchs, Georg [Hrsg.]
Grossherzog Ernst Ludwig und die Ausstellung der Künstler-Kolonie in Darmstadt von Mai bis Oktober 1901: [ein Dokument deutscher Kunst] — Darmstadt, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.3770#0063

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6o

Die Eröffnungs-Feier vom iß. Mai igoi.

Ludwigs-Hauses« und zwischen den beiden
Kolossal-Figuren Habich's bewegte sich ein
feierlicher Zug hellgekleideter, blumen-
geschmückter Männer und Frauen hernieder
und nahm auf der oberen Terrasse Auf-
stellung. Nun ertönte auch aus dem Innern
des Künstler - Hauses ernste Musik und
in gemessenen Rhythmen intonierte der
Chor seine Klage, dass es den Menschen
unserer Zeit nicht vergönnt sei, ihr Leben
in Fülle und Schönheit auszuleben. Es
waren wunderbare Klänge, die da hinaus
erschollen über die holden Mai-Fluren bis
zu den zartbegrünten Hügeln des Oden-
waldes. Eine seltsame Ergriffenheit be-
mächtigte sich aller Anwesenden, und es
war, als ob ihrer aller Gefühle nun in dem
Wechsel-Gesänge der Chor-Führer (»Mann«
und »Frau«, dargestellt von Kammersänger
Weber und Frau Kaschowska) zum Aus-
druck gelangten: jene Sehnsucht nach der
Schönheit aller Lebens - Formen, die alle
geistig Erweckten unserer Zeit durchbebt.
Aber bisher war unser Ringen umsonst und
so erbrauste nun ein grosses, schwermütiges
Chor-Lied voll Schmerz und Bittrufen. Doch
die Erfüllung zögert und schon schliessen
sich die Flehenden zusammen, um ver-
zweifelt von dannen zu ziehen, da öffnen
sich abermals die Pforten und unter dröh-
nenden, weihevollen Tuben-Klängen schreitet
eine gewaltige Gestalt langsam und gemessen
unter sie herab: ein Scharlach - Mantel mit
leuchtender Stickerei umwallt ihn in schwerer
Faltung, sein Haupt ist rot bekränzt, sein
Blick ist streng und unerbittlich und auf
den Händen trägt er ein verhülltes »Ge-
heimnis«. Näher und tiefer herab wandelt
er, bis er nahe vor dem Herrn des Festes,
dem Fürsten, auf der untersten Terrasse
steht. Um ihn her war nun alles eine Ge-
meinde, die unten standen, waren eins mit
denen, die da oben soeben die heiligsten
Wünsche Aller in Gesängen hatten ertönen
lassen. Und an sie alle richtet der » Ver-
kündet«. (Kammersänger Riechmann) sein
Wort. Er verwies uns auf die schöpferische
Kraft unserer Seele. Und wie der Kohlen-
staub, ergriffen von der Gewalt der Elemente,
sich in den leuchtenden, reinen, klargeformten

Krystall des Demants wandelt, so wird uns
das rohe, ungestaltete Leben zur Schönheit,
wenn wir es läutern durch die uns eingeborene
Macht künstlerischen, rhythmischen Formens.
Und so enthüllte er unter dem Jubel der
Fanfaren das »Kleinod«, den Krystall, das
»Sinnbild neuen Lebens« und trug es unter
dem Jauchzen des Chores auf erhobenen
Händen hinein in das Haus, gefolgt von
dem Chore, welchem sich dann der Gross-
herzog und die übrigen Festteilnehmer in lang-
samer, schweigender Prozession anschlössen.

Nachstehend geben wir die Dichtung
von Georg Fuchs wieder. — Unsere Ab-
bildung stellt die Szene dar, während der
»Verkünder« majestätischen Schrittes die
Stufen herniederschreitet. Der Darsteller
des »Verkünders«, Herr Riechmann, wie
auch ebenso Frau Kaschowska und Herr
Weber leisteten gesanglich und darstellerisch
ganz Ausserordentliches.

War es nur ein Spiel? Nein: es war
eine festliche Handlung neuen Stiles. Georg
Fuchs, der Dichter, hatte nur Dem Worte
geliehen, was alle bewegte, Willem de Haan,
der Schöpfer dieser erhabenen Musik, hatte
die Stimmung aller zum höchsten Ausdruck
erhoben, und Peter Behrens, von dem die
Idee des Ganzen ausgegangen war, hatte Chor
und Wortführer so gekleidet und so in rhyth-
mischer Bewegung entfaltet, wie sich alle An-
wesenden etwa gekleidet und bewegt hätten,
wenn durch ein Zauber-Wort der Zwang der
Konvention von ihnen genommen worden
wäre. Das war wohl das Wesentliche an dieser
eigenartigen Veranstaltung, wodurch uns neue
Ausblicke auf das Drama und seine Stellung
im Leben des Volkes eröffnet wurden und
darauf beruhte die tiefe Wirkung, die sich
sichtlich aller Fest-Teilnehmer bemächtigte.

Es folgte dann ein Rundgang durch
die Häuser und am Nachmittag ein Fest-
Mahl, bei welchem der Grossherzog einen
Trinkspruch auf die Kolonie ausbrachte,
Professor Christiansen eine zündende Rede
auf den erlauchten Schirmherr derselben hielt.
So war denn der »grosse Tag Darmstadt's«
würdig verlaufen, verheissungsvoll für die
Zukunft und eine bleibende Erinnerung für
alle, welche ihn miterleben durften. —
 
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