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Koch, Alexander [Hrsg.]; Fuchs, Georg [Hrsg.]
Grossherzog Ernst Ludwig und die Ausstellung der Künstler-Kolonie in Darmstadt von Mai bis Oktober 1901: [ein Dokument deutscher Kunst] — Darmstadt, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.3770#0093

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Felix Commichau: Die Aussen-Architektur.

Zwei Gattungen von Künstlern gab es
stets und wird es stets geben: Solche, deren
Kunst Ausdruck ihrer von höheren Werten
geschwellten Persönlichkeit ist, deren Kunst
Körper ist für ihre Seele, für ihren Inhalt
Form — und solche, denen die Kunst nur
Form, nur Körper ist, die nicht mit inneren
Werten, sondern nur mit Augen begabt
sind, denen das Schaffen nicht ein seelisches
Muss bedeutet, und die darum im »Aussen«
all ihren Inhalt geben und erschöpfen.

Die ersteren sind die Propheten, die
anderen die Unterhalter ihrer Zeit, und mit
dieser Bezeichnung ist die Existenz-Berech-
tigung der letzteren bedingt bejaht; bedingt,
insofern als sie nicht in den Kreis derer
gehören, die mit der Lösung grosser Kultur-
Aufgaben zu betrauen sind.

Darum war es, von dem Momente ab,
als man willens wurde, mit der Künstler-
Kolonie zu Darmstadt ein Vorbild für die
Baukunst unserer Zeit, ein »Dokument
Deutscher Kunst« zu schaffen, verfehlt, die
Haupt - Arbeit, vor allem die so immens
wichtige Architektur, in den Händen des
Wieners Olbrich zu belassen. Olbrich hat
gewiss eine ganz respektable Begabung, ja
eine gewisse Originalität, und wiegt für uns
gewiss mehr als ein Dutzend unserer Ar-
chaisten; aber seine Begabung ist die jener
zweiten Gattung, und die Elemente seiner
Kunst fliessen zudem grösstenteils nicht etwa
aus ureigener, sondern aus jener gemeinsamen
Quelle, aus der die gesamte sogenannte
»Wiener Schule« schöpft. — Dies alles ist nun
freilich leicht gesagt. Jeder, der Olbrich als
Darsteller kennt, wird zugeben, dass er in
dieser Beziehung eine wahrhaft blendende
Wirkung ausüben kann, die angethan ist,
selbst den gründlicher Prüfenden über den
spezifisch architektonischen Wert seiner Ent-
würfe zn täuschen. Niemand, auch die
übrigen Mitglieder der Kolonie nicht, ahnte,
dass der Wert dieser Darstellungen fast aus-
schliesslich auf der malerischen Seite läge.

Hier liegt das Grund-Übel! Und Jeder,
der aus dem rein individuellen Versagen
Olbrich's einen Bankerott der Idee, ja der
gesamten neuen Richtung ableiten will, sei
auf diesen Umstand immer wieder mit

Nachdruck hingewiesen. Wir besitzen
deutsche Kräfte innerhalb unserer fort-
schrittlich gesinnten Künstlerschaft, die an
dieser Stelle nicht versagt hätten, das ist
gewiss! Diese hätten sodann sicher ihr
Können mit Vorsicht und Bescheidenheit
gepaart, nicht in ehrgeiziger Verblendung
das kolossale Arbeits-Quantum der Architektur
allein zu bewältigen gewagt, sondern in
weiser A rbeits- Teilung und Zusammen-Arbeit
das Heil des Werkes gesehen!

In Olbrich's Wesen, dem überhaupt ein
Hang zu unfruchtbarer Opposition eigen,
aber lag es, das Gegenteil zu thun, der
Sache und sich zum grössten Schaden. —
Die Idee, die in ihren kulturellen Tiefen zu
erfassen, ihm nicht gegeben war, wurde da-
durch um ein weiteres aus ihrem natürlichen
Geleise herausgelenkt und was er für sich
erzwingen wollte, staunende Anerkennung,
schlug jäh in's Gegenteil um.

An anderer Stelle, in der Reihe mit
Anderen, hätte er gewiss eine gebührende
Anerkennung gefunden; vom Gipfel aber,
auf den er sich gestellt, ward er von der
berufenen Kritik mit seltener Einmütigkeit und
mit solchem Nachdrucke hinuntergewiesen,
dass der Ruf seiner Künstlerschaft fast gänz-
lich vernichtet erschien.

Dass viele in der Verurteilung seiner
Leistungen zu weit gingen, ist eine That-
sache, die jedoch niemand anders ver-
schuldet hat, als Olbrich selbst, der auch
im kleinen nichts ausser acht gelassen hat,
die gesttnde Meinung zu reizen und deren
Reaktion direkt herauszufordern, vielleicht
mit der vollen Absicht desjenigen, der auch
im Hervorrufen von Entrüstung eine Art
von Erfolg sieht, vielleicht im Trotze dessen,
der mit unheimlicher Gewissheit fühlt, mit
seinem Pfunde nicht zu genügen!

Lassen wir den aus der Idee gewonnenen
Urteils-Maassstab nicht aus den Augen, so
können wir für die Arbeiten Olbrich's kaum
etwas anderes empfinden, als eine schwache
Hochachtung vor dem »Viel«. Dieses Viel
aber hat die letzte Möglichkeit einer Ver-
tiefung vollends unterdrückt, die sonst viel-
leicht eingetreten wäre. Die Verhältnisse,
die er sich selbst geschaffen, zwangen ihn nun
 
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