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Koch, Alexander [Hrsg.]; Fuchs, Georg [Hrsg.]
Grossherzog Ernst Ludwig und die Ausstellung der Künstler-Kolonie in Darmstadt von Mai bis Oktober 1901: [ein Dokument deutscher Kunst] — Darmstadt, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.3770#0158

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Ausstellung der Künstler-Kolonie Darmstadt. Patriz Huber.

151

die räumliche Gestalt der Bauten auf der
Kolonie, deren Inneres er einzurichten hatte,
von anderer Hand herrührt, hatte er sich in
gegebene Verhältnisse hineinzufinden. Es ist
nun von hohem Interesse, zu beobachten,
wie ihm dies gelang. Jedem Räume verleiht
er ein Haupt - Moment, das sich ihm aus
dessen Grundform beinahe von selbst ergibt;
und aus diesem Zentralpunkte entwickelt er
alle Formen und Einzelheiten, vom grössten
bis zum kleinsten, mit einer frappanten
Folge-Richtigkeit. Meistens findet sich jenes
herrschende, tonangebende Moment in seinen
originellen Decken-Bildungen. Von diesen
schreitet er tiefer, gliedert Wände, Thüren
und Fenster, und weist zum Schlüsse jedem
Möbel seinen wohlbegründeten Platz an.

Diese Konsequenz wird durch keine
Laune, durch keine Zufälligkeit und Neben-
sächlichkeit durchbrochen; alles bis auf's
kleinste ist aus dem Zwecke geboren, aus
dem Zweck, der der Schönheit huldigt. —
Dieser Ernst und diese Ehrlichkeit, die sein
Schaffen durchdringen, bringen uns den
Künstler schon ungemein nahe; doch näher
noch tritt er uns durch seine einfache
Formenwelt, die uns so keusch, so ungemein
behaglich anmutet. Wir begegnen dort
nicht Schritt auf Tritt sprühendem Witz und
Geistreichelei, nicht Farben - Fanfaren und
raffiniert ausgeklügelten Form - Gebilden,
nicht fortwährend dem Bestreben, den Be-
schauer zu verblüffen und durch sinnfällige
Reize den Geist zu umnebeln und zu be-
rauschen: wo wir hinschauen, waltet Schlicht-
heit, die durch in sie gehauchte Anmut so
ungemein vornehm wirkt. Nicht, dass ihm
keine Fantasie verliehen wäre! Gerade, da-
durch, dass er sie straff in den Grenzen des
Zweckes hält, dass er sie nicht verspritzt
und versprüht an allen Ecken und Enden,
dadurch bedingt er ja den sympathischen
Eindruck, den seine Haus-Kunst auf uns
macht, das gerade gibt ihr ja ihren Wert
für weite Kreise unseres Volkes, dessen
Kern zu gesund ist, als dass es nach Extra-
vaganzen und prickelnden Reizen lechzt. —

In seinen Prinzipien berührt sich Huber
oft mit dem Mittelalter. Die verinnerlichten
Traditionen dieser grossen Epoche, deren

Kunst auf unserem Boden, unter unserem
Himmel emporwuchs, sind so gross, so wahr,
dass unser Volk sie nie vergessen hat, sie
nie vergessen darf. Überall, wo frische,
bodenwüchsige Kunst, unbeeinflusst vom
fremden, sonnigen Süden, von Griechen-
und Römertum, in unseren Gauen, zu
späterer Zeit sich zeigte — überall sehen
wir jene Traditionen ganz unbewusst ver-
körpert. Es ist wohl unnötig, zu betonen,
dass unter diesen Traditionen nicht das
äussere Gewand, die Formen, zu verstehen
sind, in welche jene kraftvollen Zeiten ihre
Schöpfungen kleideten. Es ist der Geist,
der in ihnen lebt, der Geist, der nie starb
und nur für Zeiten zurückgedrängt und ge-
knebelt wurde durch bunte Bande aus der
Fremde. Und so wahr wir verwandt sind
mit unseren eigenen Ahnen, so ähnlich fühlen
wir und denken wir wie sie; die höhere
Kultur hat die nachgeborenen Geschlechter
nicht umgestaltet; nur verfeinert und be-
reichert sind sie. Wie die äusseren Merk-
male unserer Rasse kaum eine Veränderung
erlitten haben, so auch die geistigen, und also
auch die freien, unbeeinflussten Bethätigungs-
Formen derselben. Die Schöpfungen des
Mittelalters sind gewissermassen Krystalli-
sationen dieses Geistes. Hier zum ersten-
mal in der Geschichte spricht er und alle
seine Eigenheiten kommen klar in einer
impulsiven ungeheuer urwüchsigen Form
zum Ausdrucke.

Kein Wunder, dass dort, wo ein bevor-
zugter Sohn unserer Rasse sich ebenso
ungezwungen gibt, der Grund-Akkord der
gleiche ist; Huber ist Alemanne; seine Familie
ist seit Jahrhunderten nicht von ihrem Sitz
in der schwäbischen Alb gewichen. Das
Deutschtum, welches Generationen still auf-
gespeichert haben, wird in ihm, dem jüngsten
Sprossen des Geschlechts, frei. Seines merk-
würdigen Deutschtums wegen ist Patriz
Huber eine wichtige Erscheinung unserer
nach nationalem Form-Gepräge ringenden
Zeit; trotz seiner Jugend ist er schon jetzt
berufen, Wegweiser und Führer zu sein;
trotz seiner Jugend ist er eigentlich der ein-
zige von den Sieben, welcher dem pompösen
Titel der Veranstaltung: »Ein Dokument
 
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