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Koch, Alexander [Hrsg.]; Fuchs, Georg [Hrsg.]
Grossherzog Ernst Ludwig und die Ausstellung der Künstler-Kolonie in Darmstadt von Mai bis Oktober 1901: [ein Dokument deutscher Kunst] — Darmstadt, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.3770#0339

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326

Felix Commichau.

häufig taub sind gegen die Sprache des
realen Elementes, mit anderen Worten völlig
unpraktische Naturen sind, woraus folgt,
dass eine sogenannte »architektonische Be-
gabung« , die beiden Polen in gleichem
Maasse, mit gleicher Vehemenz gerecht
werden kann, nicht allzuhäufig auftritt.

Doch auch nach der rein künstlerischen
Seite hin zeigen die beiden in Rede stehenden
Begabungen einen anderen Zug. Der Aussen-
Architekt bedarf des seelischen Handwerks-
zeuges des Plastikers. Das Empfinden, das
Letzteren unwillkürlich zur körperlichen Ge-
staltung seiner Ideen hintreibt, das Gefühl
für Form, Masse, für die Macht von
Dimension und Ferne ist auch in ihm mächtig,
ja ist Grund-Bedingung, Fundament. Das
jedoch, was die Wurzel der malerischen Be-
gabung ausmacht, ist auch der Lebens-
Nerv des Innen-Künstlers. Das innige Gefühl
für das Kleine und Feine, für die Kraft von
Farbe und Licht, für Stimmung und Intimität
ist dessen Stärke. —

Ich habe mich deshalb bemüht, den
Kern beider Künste und ihre so scharf ge-
zogenen Grenzen genau zu umreissen, weil
in unserer jungen, einer neuen künstlerischen
Kultur zustrebenden Bewegung Kräfte thätig
sind, sie zu verwischen. Das Schlagwort
»Einheit der Kunst« ist ihnen Ansporn und
Rechtfertigung für ihr gefährliches Beginnen,
alle Gebiete im grossen Reiche der Kunst
zugleich zu bestellen, ohne für alle im gleichen
Maasse berufen zu sein. Einige Künstler
sind uns zwar entstanden, die ein so reiches,
allseitiges Vermögen besitzen, dass sie uns
überall Ganzes und Echtes geben können,
und es wäre auch tief zu bedauern, wenn
wir solcher Männer entraten müssten. Doch
sind es ihrer wenige; die Mehrzahl derer
aber, die es diesen gleich thun will, ist auf
falschem Wege. Wenn es auch in gewissen
Fällen zu begrüssen ist, dass junge Kräfte nach
verschiedenen Richtungen sich versuchen,
da hierdurch ihre Stärke und Prädestination
für die eine oder andere am deutlichsten er-
wiesen wird, so ist dies nur für diesen Zweck
als Ausnahme gelten zu lassen. Eine spätere
Spezialisierung ist für die allseitige gesunde
Entwickelung unserer Kunst dringend ge-

boten, wenn nicht eine Verflachung aller
Gebiete eintreten soll. Sie dräut uns jetzt
schon und resultiert aus oberflächlicher Ver-
kennung des Wesens jedes einzelnen Zweiges,
aus der wahllosen Vermengung der Form-
Mittel des einen, mit denjenigen der anderen.
Hier thut Hilfe not; eine organisierte Kritik,
eine solche, wie sie der Litteratur zu Ge-
bote steht, auf dem Felde der angewandten
Kunst jedoch erst im Werden begriffen ist,
kann den grössten Nutzen stiften.

Die Mathilden - Höhe zu Darmstadt ist
eine lehrreiche Gegend für diejenigen, welche
erkennen wollen, wie weit schon eine solche
Vermengung primärer Grund-Elemente völlig
getrennter Kunst - Gattungen innerhalb der
»Moderne« gedeihen kann. Ein Mann, dessen
Begabung einzig und allein die eines Innen-
Künstlers ist, arbeitet mit solchem Nach-
drucke an der Reform der Aussen-Architektur,
dass es ihm gelingt, in kurzer Zeit den
grössten Teil des Geländes mit nach Aussen
gekehrten Innen-Wänden zu besetzen. Was
ihm, dem geborenen Dekorateur, an Zimmer-
Schmuck zu Gebote steht, verwendet er mit
einer Art Pünktlichkeit auch draussen. Er
vergoldet und malt, er tapeziert mit schön
gemusterten Kacheln und süsslichem Stuck und
ist eifrig bestrebt, an den Bauten überhaupt
alles zu verhüllen, was nach dem robusten
»Bauen«, was nach Maurer und Steinmetzen
aussieht. — Man ist nun leicht geneigt, nach
dem Eindrucke, den Olbrich's Aussen-
Architektur, (die auf den Seiten 80—98 dieses
Werkes eingehendere Behandlung gefunden
hat) auf das gesunde Fühlen macht, auf den
Karakter seiner Innen-Kunst zu schliessen;
doch erkennen wir, dass diese Kunst sein
eigentliches Fahrwasser ist, und dass er
sich und anderen bedeutend mehr genutzt
und weniger geschadet hätte, wenn er nie
über das Zimmer hinausgeschritten wäre. —

Was diese Kunst erfordert, hat er, und
zwar in reichem Maasse, nur steht der klugen,
echt künstlerischen Verwendung seiner Mittel
sehr häufig jener seltsame Hang nach
Schrullen und Kaprizen entgegen, der uns
schon in seinen Architekturen beleidigte und
der einem heissen Streben nach Sensation
und Aufsehen entspringt. Es wird zu be-
 
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