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E. H. Meyer, Der badische Hochzeitsbrauch des Vorspannens.
Sicherlich haben dagegen die Slaven dieselben oder verwandte Bräuche. Im
Chrudimer Kreise in Böhmen versperren Frauen dem Brautwagen den Weg mit
einem Gewinde, das der Bräutigam durchhaut (unten S. 44). In Kleinrussland ver-
weigern die Angehörigen der Braut dem Bräutigam den Eintritt in ihr Haus und
verlangen von ihm erst den »Pass«, statt dellen ste ein Fässchen Branntwein er-
warten. Aehnliche Sitten kennen die Südslaven21) und die Esthen. In Esthland
muss aber auch der Brautkasten, auf dem der Brautmarschall mit einem Degen
sitzt, bei seiner Abfahrt erst mit Geld erkauft werden. Auch wird auf der Hin-
wie Rückfahrt des Paares der Weg mit Balken, Steinen oder einer Hecke versperrt
und erst gegen Branntwein oder gegen einige an einem Stab befestigte Geldstücke
frei gegeben 22).
Ebenso taucht im romanischen Süden der Brauch an vielen Stellen auf. Im
Jura wird die Braut durch Holzstücke, im Alpenthal von Serres durch Balken, in
Roussillon durch Blumen, in den Landes durch ein Band aufgehalten; das nennt man
hier »Donner la passage«. In verschiedenen Provinzen Italiens finden wir dafür das
»Fare il serraglio«, den Verschluss machen, im Valtellin, in Piemont und bei Pistoja
das »Far la serra, la barricata, la parata«, in der Romagna »Far il laccio«, eine
Schlinge, einen Strick machen, im Taren tinischen »Fare lo staccatu« oder »apparatu«,
auf Korsika »la travata« oder »la spallera« 23).
Vom alten Rom, sowie vom alten und neuen Griechenland ist das Vorspannen
nicht bezeugt.
Innerhalb dieser weiten Herrschaft des Vorspannens, deren Umkreis durch
Esthland, Flinterpommern, Holland, Roussillon, Korsika, Unteritalien, Ungarn und
Siebenbürgen wieder nach der Ostseeküste zurückläuft, bildet Süddeutschland un-
gefähr den Mittelpunkt und weist insbesondere das Grotsherzogtum Baden einige
hoch altertümliche und reich entwickelte Forinen dieser bedeutungsvollen Sitte auf.
Dies gilt namentlich vom südlichen Baden und insbesondere von dem östlich
von Freiburg um das alte Zarten und um Kirchzarten gelagerte Thalbecken der Drei-
sam und von den Thalgebieten der Alb, der Schwarza und der unteren Wutach, die
vom Schwarzwald südwärts in den Oberrhein lieh ergiessen. In den Ortschaften
jenes gesegneten Dreisamwinkels und seiner Seitenthäler, wie Unteribenthal, Wagen-
steig, Dietenbach, Stegen, Zarten, Kirchzarten, Ebnet und Kappel, besteht noch unter
mannigfachen Variationen der folgende Brauch. Heiratet ein Mädchen in »ein anderes
Ort«, so spannen am Tage vor der Hochzeit, bei der Ueberführung ihres Braut-
wagens, der nicht nur mit ihrem Hausrat beladen, sondern auch wohl mit Schinken
und Speckseiten behängt ist, die Burschen ihres Ortes eine Kette quer über die
Strasse und halten den Wagen dadurch an. Der vornehmste von ihnen thut,
z. B. in Ebnet, folgenden Spruch an die Brautleute, den man in etwa sechs Teile
gliedern kann.
1. »Ihr ehrsamen liebe gute Freunde und Nachbarn! Es wird Euch schon bekannt
sein, dass wir auch heute die Ehr und Züchtige (ehrsüchtige: Zarten) Jungfrau Hoch-
zeiterin in (lies: zu) unserem Gespann 24) haben. Dass wir Euch auf halten und ver-
21) v. Düringsfeld, a. a. O. S. 197, 34. — Fr. Krauss, Sitte und Brauch der Südslawen, S. 394.
22) L. v. Schroeder, Die Hochzeitsbräuche der Esten, S. 58, 106, 263.
23) v. Düringsseld, a. a. O. S. 104, 256.
24) Richtig: »Gespan«, d. h. Gefährtin, Freundin, nicht »Gespann«.
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E. H. Meyer, Der badische Hochzeitsbrauch des Vorspannens.
Sicherlich haben dagegen die Slaven dieselben oder verwandte Bräuche. Im
Chrudimer Kreise in Böhmen versperren Frauen dem Brautwagen den Weg mit
einem Gewinde, das der Bräutigam durchhaut (unten S. 44). In Kleinrussland ver-
weigern die Angehörigen der Braut dem Bräutigam den Eintritt in ihr Haus und
verlangen von ihm erst den »Pass«, statt dellen ste ein Fässchen Branntwein er-
warten. Aehnliche Sitten kennen die Südslaven21) und die Esthen. In Esthland
muss aber auch der Brautkasten, auf dem der Brautmarschall mit einem Degen
sitzt, bei seiner Abfahrt erst mit Geld erkauft werden. Auch wird auf der Hin-
wie Rückfahrt des Paares der Weg mit Balken, Steinen oder einer Hecke versperrt
und erst gegen Branntwein oder gegen einige an einem Stab befestigte Geldstücke
frei gegeben 22).
Ebenso taucht im romanischen Süden der Brauch an vielen Stellen auf. Im
Jura wird die Braut durch Holzstücke, im Alpenthal von Serres durch Balken, in
Roussillon durch Blumen, in den Landes durch ein Band aufgehalten; das nennt man
hier »Donner la passage«. In verschiedenen Provinzen Italiens finden wir dafür das
»Fare il serraglio«, den Verschluss machen, im Valtellin, in Piemont und bei Pistoja
das »Far la serra, la barricata, la parata«, in der Romagna »Far il laccio«, eine
Schlinge, einen Strick machen, im Taren tinischen »Fare lo staccatu« oder »apparatu«,
auf Korsika »la travata« oder »la spallera« 23).
Vom alten Rom, sowie vom alten und neuen Griechenland ist das Vorspannen
nicht bezeugt.
Innerhalb dieser weiten Herrschaft des Vorspannens, deren Umkreis durch
Esthland, Flinterpommern, Holland, Roussillon, Korsika, Unteritalien, Ungarn und
Siebenbürgen wieder nach der Ostseeküste zurückläuft, bildet Süddeutschland un-
gefähr den Mittelpunkt und weist insbesondere das Grotsherzogtum Baden einige
hoch altertümliche und reich entwickelte Forinen dieser bedeutungsvollen Sitte auf.
Dies gilt namentlich vom südlichen Baden und insbesondere von dem östlich
von Freiburg um das alte Zarten und um Kirchzarten gelagerte Thalbecken der Drei-
sam und von den Thalgebieten der Alb, der Schwarza und der unteren Wutach, die
vom Schwarzwald südwärts in den Oberrhein lieh ergiessen. In den Ortschaften
jenes gesegneten Dreisamwinkels und seiner Seitenthäler, wie Unteribenthal, Wagen-
steig, Dietenbach, Stegen, Zarten, Kirchzarten, Ebnet und Kappel, besteht noch unter
mannigfachen Variationen der folgende Brauch. Heiratet ein Mädchen in »ein anderes
Ort«, so spannen am Tage vor der Hochzeit, bei der Ueberführung ihres Braut-
wagens, der nicht nur mit ihrem Hausrat beladen, sondern auch wohl mit Schinken
und Speckseiten behängt ist, die Burschen ihres Ortes eine Kette quer über die
Strasse und halten den Wagen dadurch an. Der vornehmste von ihnen thut,
z. B. in Ebnet, folgenden Spruch an die Brautleute, den man in etwa sechs Teile
gliedern kann.
1. »Ihr ehrsamen liebe gute Freunde und Nachbarn! Es wird Euch schon bekannt
sein, dass wir auch heute die Ehr und Züchtige (ehrsüchtige: Zarten) Jungfrau Hoch-
zeiterin in (lies: zu) unserem Gespann 24) haben. Dass wir Euch auf halten und ver-
21) v. Düringsfeld, a. a. O. S. 197, 34. — Fr. Krauss, Sitte und Brauch der Südslawen, S. 394.
22) L. v. Schroeder, Die Hochzeitsbräuche der Esten, S. 58, 106, 263.
23) v. Düringsseld, a. a. O. S. 104, 256.
24) Richtig: »Gespan«, d. h. Gefährtin, Freundin, nicht »Gespann«.
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