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6. Der reiche Privatmann auf dem Land
Villen in Vanves, Issy, Chätillon, Auteuil und Paris

In den vorangehenden Kapiteln wurden Landsitze untersucht,
deren Bewohner entweder von Geburt an oder durch die Würde
eines Amtes demselben Stand angehörten. Die Maisons de
plaisance, die hier vorgestellt werden sollen, wurden von »par-
ticuliers« erbaut, die sich nach Beruf, Amt und Vermögen deut-
lich unterschieden. In einer Gesellschaft, die sich »topogra-
phisch« in »la Cour et la Ville« aufspaltete, hatten sie jedoch
eines gemeinsam: Sie repräsentierten die »Stadt«, denn sie
standen dem Hof fern und traten kaum einmal ins Licht seiner
Öffentlichkeit.

Wenn die Stadt im zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts aufs
Land zog, dann hatte sie zwei Ziele: Die neureichen Finanz-
leute erbauten prächtige, luxuriöse Landhäuser, die vom Ver-
mögen und Müßiggang ihrer Besitzer kündeten. Die gewiß
wohlhabenden »Parlementaires« und »Marchands-Bourgeois«
zogen sich auf ihren Familiensitz zurück. Dies war in vielen
Fällen ein landwirtschaftliches Gut, auf dem die Familie die
Erntezeit oder die Gerichtsferien im September und Oktober
zubrachte. Nur diese ländliche Lebensform der Städter über-
stand den Beginn der Selbstregierung Ludwigs XIV. unbescha-
det; die Financiers dagegen sollte sich für eine Weile im Bauen
zurückhalten.

Währenddessen entwickelten die Architekten einon neuen
Bautypus für jene Bauherrn, die einen mittleren Weg zwischen
Schloß und Bauernhof suchten: Die Villa im Gewand des fran-
zösischen »Pavillon double« war der bescheidene, damit öko-
nomische Rahmen für ein Landleben, das nach dem Beispiel
der »Grands« von offenkundig ökonomischen Interessen frei-
gehalten werden sollte. Nur für die »Maisons des riches parti-
culiers ä la campagne« fanden die Architekten eine Lösung, in
der ein formal definierter Bautypus dem einer Nutzung ent-
sprach und geradezu auf sie verwies.

Im folgenden muß nach den Gründen für den ungeheuren
Erfolg dieses Typus gefragt werden, der das Gros unter den
Maisons de plaisance in der Umgebung von Paris bildete, der in
die Provinzen und ins Ausland exportiert und bis ca. 1770
inTraktaten empfohlen wurde. Unter den »Particuliers« wur-
den Amtsinhaber städtischer und ständischer Einrichtungen,
Träger von kleineren Hofämtern und Finanzleute geringerer
Bedeutung subsummiert. Im Einzelfall läßt sich nicht mehr
entscheiden, warum ein »Particulier« sich mit dem wenig auf-
wendigen, kleinen, immerhin neu erbauten Landsitz beschied.
Da Reichtum, sofern er im Finanzwesen erworben wurde,
leicht als »unrecht Gut« verdächtigt wurde, waren die kleinen
Finanzleute vielleicht dar^n interessiert, ihren Vermögensstand
am Landsitz nicht in Erscheinung treten zu lassen. Manch einer

Amtswürde war vermutlich am ehesten durch ostentative
Bescheidenheit genüge zu tun.

Dies erklärt aber nicht, warum sich die zahlenmäßig wohl
größte Schicht, die ganze »Stadt«, im Bauen einheitlich auf die
»noble simplicite« festlegte, warum also die soziale Hierarchie
des Bauens bis weit ins 18. Jahrhundert hinein stabil blieb.
Gesellschaftlich bestimmter Zwang zur »CEconomie« oder die
freiwillige Bescheidung des Bauherrn bedeuteten für den
Architekten, daß er sparsam mit dessen Geldmitteln umgehen
konnte, denn Aufwand am Bau bestand zumeist in kostspieli-
gen, plastischen Einzelheiten der Fassadendekoration. Dies
bedeutete auch, daß der Schmuck auf die formalen Mittel der
Architektur - und zwar ihre einfachsten, nicht die Ordnungen -
reduziert wurde. Die Baukunst allein hatte für die bescheidene,
dadurch noble Erscheinung des Baus zu sorgen. Der Zwang zur
»Oeconomie« stellte also Ansprüche an die Erfindungsgabe
der entwerfenden Architekten. Er begründet, warum gerade
und ausschließlich in der ländlichen »Maison particuliere« ein
Bautypus entwickelt wurde, der in Grund- und Aufriß festge-
legt war.

Bescheidenheit am Außenbau wurde in den Landhäusern
der »Particuliers« nicht durch übermäßigen Aufwand in der
Dekoration und Möblierung der Räume kompensiert. Viel-
mehr konnte sich »GEconomie« hier gewinnbringend in der
Zunahme des Komforts niederschlagen - anders als in den
Landhäusern der höfischen Zirkel, in deren großen Paraderäu-
men eine - wie es schien - sinnlose Repräsentation betrieben
wurde.

In der Rangfolge formal und funktional bestimmter Bauauf-
gaben war man jedoch mit dem Landhaus eines »Bourgeois de
Paris« ganz am unteren Ende der Skala angelangt, denn die
»Cabanes« und die Häuser der Bauern und Handwerker waren
im »Grand Siecle« ganz aus dem Gesichtskreis der Architekten
geraten.

Waren die Baumeister auf diese eine niederrangige Aufgabe
festgelegt und verbreiteten sie Muster gar in den leichtver-
ständlichen Rezepten der Traktate, dann konnten sie ihre
Arbeit im Einzelfall schwerlich als Kunst legitimieren. Sich
von den Regeln des Bauens und der ständischen Hierarchie zu
lösen, kam nicht in Betracht. Gerade die »Maisons particulie-
res« mußten also Beweis für den Erfolg des Systems werden.
Der Verlust an Ansehen war nur abzuwenden, wenn die nie-
dere, einfache Aufgabe zur schwierigen erklärt wurde. Es galt,
die Bauherrn, die der Monotonie immer gleicher Raumfolgen
und Fassaden entgehen, sich von anderen und möglichst auch
dem eigenen Stand abgrenzen wollten, zu lehren, was sich
 
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