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ZUSAMMENFASSUNG

Auch die nachfolgende Entwicklung während der Spät-
latenezeit und der augusteischen Zeit verlief in weiten Teilen
des Mosel-Eifel-Raums dem Wallendorfer Muster entspre-
chend: Dem Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum in der
zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts v.Chr. folgte die Gründung
von oppida (Martberg, Otzenhausen, Kastel-Staadt, Titelberg)
auf den Ruinen frühlatenezeitlicher Vorgängersiedlungen.
Nach einer kurzen Blüte wurden sie übereinstimmend gegen
Ende des Nauheimer Horizontes aufgegeben. Alles spricht
dafür, daß dieser Niedergang mit der Destabilisierung der
einheimischen Kultur während des Gallischen Kriegs einher-
ging. Lediglich der Titelberg konnte seine ökonomische und
politische Bedeutung bewahren und in der zweiten Hälfte des
1. Jahrhunderts v. Chr. sogar noch deutlich steigern. Für diese
Sonderentwicklung des Titelberges dürfte u. a. die Stationie-
rung römischer Militäreinheiten in den Jahrzehnten nach dem
Gallischen Krieg verantwortlich gewesen sein.
Die Entstehung der Tempelanlagen auf dem Castellberg
und dem Martberg - vielleicht auch die des Heiligtums von
Schwarzenbach am Fuß des Otzenhausener Hunnenrings
- steht mit dem Niedergang dieser oppida in unmittelbarem
Zusammenhang. Das oben vertretene Interpretationsmodell
geht davon aus, daß die Sakralisierung der Lt Dl-zeitlichen
Versammlungsplätze der Bewahrung der kollektiven Identi-
tät der jeweiligen von Umsiedlungen und anderen mit den
Kriegswirren einhergehenden Destabilisierungen betroffenen
Regionalgemeinschaften diente.
Während römischer Einfluß in der Titelberg-Region und in
Borg bereits für die Jahre zwischen 30 und 20 v. Chr. archäo-
logisch nachweisbar ist, fiel der erste kräftige Romanisie-
rungsschub in Eifel und Hunsrück erst ins letzte Jahrzehnt
v. Chr. In der Sauerregion und im Bitburger Gutland wurden
in mittelaugusteischer Zeit zahlreiche Gräberfelder neu ange-
legt. Diesem Binnenkolonisationsprozeß ging einerseits die
Gründung der Augusta Treverorum voraus, die im Bereich
eines spätlatenezeitlichen Besiedlungszentrums im zweiten
Jahrzehnt v. Chr. planmäßig eingerichtet wurde. Andererseits
könnte die Besiedlungsintensivierung im Trierer Land mit
den Prozessen im östlichen Treverergebiet in Zusammenhang
stehen: Die archäologischen Quellen sprechen dafür, daß das
alte Besiedlungszentrum im Neuwieder Becken während der
zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. einen Teil seiner
politisch-ökonomischen Bedeutung und seiner Bevölkerung
an das Trierer Land bzw. die westtreverischen Gebiete in
Luxemburg verlor. Die erste Romanisierungswelle führte
offensichtlich nur zu moderatem Akkulturationsstress: Bis
in claudisch-neronische Zeit blieb zumindest das Leben auf
dem Land traditionell-keltisch geprägt. In Trier vollzog sich
die Übernahme römisch-italischer Kulturmerkmale dagegen
wesentlich stürmischer.
Der unterschiedliche Verlauf des Akkulturationsprozesses
im städtischen und ländlichen Milieu läßt sich anhand der
Bestattungssitten besonders deutlich aufzeigen. Während die

urbane Elite bereits in claudischer Zeit aufwendige Steingrab-
mäler mit Inschriften errichtete, bediente sich die ländliche
Oberschicht zur Monumentalisierung der Gräber traditionel-
ler Kulturmerkmale. Die „Renaissance“ der Grabhügelsitte
und der Scheiterhaufenbestattung in claudischer Zeit ist nicht
als Ausdruck des Widerstands gegen die römische Domi-
nanzkultur, sondern als freie Umsetzung römisch-italischer
Innovationen (dauerhafte obertägige Präsentation des Gra-
bes, öffentlichkeitswirksame Totenzeremonien mit stärkerer
Gewichtung des Verbrennungsritus)1782 mit einheimischen
Mitteln zu interpretieren.
Wesentlich radikaler als der erste hat sich der zweite, in fla-
vische Zeit fallende Romanisierungsschub ausgewirkt: Zahl-
reiche Gräberfelder auf dem Land brechen ab. In den Hei-
ligtümern und vici kam es, wie das Beispiel des Castellbergs
zeigt, zu grundlegenden Veränderungen. In traditioneller
Fachwerk- oder Holzbauweise errichtete Gehöfte wurden ab-
gerissen und machten Massivbauten Platz. Allerorten schos-
sen Villen in Steinbauweise aus dem Boden. Es ist fraglich,
ob diese Akkulturationsphase auf die Beseitigung der treveri-
schen Elite im Jahre 70 n. Chr. folgte oder ob sie bereits kurz
vor dem Treverer-Bataver-Auf stand einsetzte. In jedem Fall
muß sie zu erheblichem Akkulturationsstress, insbesondere
bei der in keltischen Traditionen verhafteten Landbevölke-
rung, geführt haben. Die Erschütterung des eigenkulturellen
Selbstverständnisses wird auf individueller und kollektiver
Ebene die zwangsläufige Folge gewesen sein. Wie das von
Tacitus überlieferte Schicksal der 113 treverischen senato-
res lehrt, die im Jahre 70 ins rechtsrheinisch-germanische
Exil emigrierten, führten Akkulturationskrisen im Romani-
sierungsverlauf durchaus zur Separation von Teilen der ein-
heimischen Gesellschaften. Zu entsprechenden Separationen
und Marginalisierungen wird es zweifellos auch innerhalb
der Provinzgrenzen gekommen sein.
Der Grad der kulturellen Ähnlichkeit bzw. Verwandtschaft
zwischen römisch-italischer Dominanzkultur und den kelti-
schen Gruppen Galliens war zwar - etwa verglichen mit den
meisten rechtsrheinisch-germanischen Gesellschaften - nach
Ausweis der archäologischen Quellen relativ groß, dennoch
dürfen die in einigen kulturellen Bereichen erheblichen Un-
terschiede nicht übersehen werden. Diese Divergenzen be-
schränkten sich keineswegs auf kulturelle Randerscheinun-
gen, wie den Appetit der Treverer auf Hundeschinken. Die
oben dargestellte religionsgeschichtliche Entwicklung, re-
spektive die späte Entstehung einer „Tempelkultur“ nördlich
der Alpen berührt weitaus zentralere Aspekte des Kulturwan-
dels unter dem Einfluß Roms.
 
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