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Der Kreis: Zeitschrift für künstlerische Kultur ; Organ der Hamburger Bühne — 6.1929

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Nr. 1 (Januar)
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https://doi.org/10.11588/diglit.56522#0073
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Ottilie Wollmann: Tripolis- und Indienschau
Zur Ausstellung bei Maria Kunde (Hamburg)

Die Blüte der Plastik in unseren
Tagen ist fast ausschließlich auf ihre
Großform beschränkt. Offenbar ver-
mag das kleine Format den heute zur
körperhaften Gestaltung treibenden
Kräften keinen adäquaten Ausdruck
zu geben. So ist es bezeichnend, daß
die wertvollsten Leistungen plastischer
Kleinkunst auf dem abseitigen Ge-
biet des Tierstücks zu suchen sind.
Renöe Sintenis und Hans Ruwoldt
können als ihre besten Vertreter
gelten.
In merkbarem Abstande von ihnen
ist Ottilie Wollmann zu nennen. Inter-
essant, daß auch ihre besten Werke
auf abseitigem Felde gedeihen: in den
exotischen Figuren der Tripolis- und
Indienschau gibt sie ihr Eigenstes.
Nimmt man eine von ihnen in die
Hand, von dem bunten Eindruck ihrer
stumpfen Pastell- oder leuchtenden
Unterglasurfarben angelockt, so spürt
man bald die Schwierigkeiten, mit
denen diese Kunstgattung zu kämpfen
hat: wird die Oberfläche geglättet und
poliert, so entsteht heute fast immer
Nippes, bleibt sie skizzenhaft rauh, so
sucht man hinter ihr eine Spannung
und Kraft der Formung, die in unserer
Zeit nur selten an die Kleinplastik
gewandt wird. Die Bemalung zudem
verleitet die Künstlerin bisweilen
dazu, einen Mangel an Plastizität
durch farbige Kontrastierung oder

durch Buntheit zu ersetzen und zu
verdecken.
Immerhin sind eine ganze Reihe
ihrer Gestalten frei von solchen Feh-
lern und erweisen, daß wir Ottilie
Wollmann zu unsern beachtlichen
Kleinplastikern zählen dürfen: der
stehende Trommler etwa oder die
Maske des Haremswächters und der
Kopf „Zorak“ sind einwandfrei ge-
formt und getönt und stehen weitab
vom Spielerischen und Kunstgewerb-
lichen. Auch der Gorilla im Ring
„Bobby tanzt" ist eine gute Arbeit, die
das Charakteristische in Gestalt und
Bewegung des Tieres mit rein plasti-
schen Mitteln zur Geltung bringt;
wohingegen die große chinesische
Tänzerin nicht völlig einem kritischen
Urteil standhält: wohl bestechend, und
außerordentlich gebaut in der schlank-
gereckten Biegung des schmalen Kör-
pers, aber in Einzelheiten nicht gleich
vollendet durchgearbeitet wie in der
Komposition.
Es ist an diesen Stücken viel zu
lernen über die Notwendigkeiten des
plastischen Formens, mehr vielleicht
als an den ausgeglichenen Werken
eines Meisters, da man hier eine be-
gabte Künstlerin mit so verschiedenem
Erfolge um die schwierige kleinpla-
stische Gestaltung ringen sieht.
Hermann Bahlmann

Felix Günther: Schuberts
Lied. Eine ästhetische Monographie.
Mit 8 Bildern und 150 Notenbei-
spielen. Deutsche Verlags - Anstalt.
Stuttgart 1928.
Felix Günthers Buch ist ein Dithy-
rambus auf Schuberts Lied, im aggres-
siven Redestil hingeworfen, strahlend
von Liebe zu der Musik, von der es
spricht, empört gegen alle, die sie an-
getastet und verschandelt haben, hilf-
reich denen, die sich ihr freundlich
nahen, und tatkräftig in der Förde-
rung ihres rechten Verständnisses.
Seine Absicht ist, den reinen Schu-
bert in seinen Liedern wiederzuer-

wecken, der unter der falschen Tradi-
tion eines Jahrhunderts zu ersticken
drohte, den reinen Schubert, den Felix
Günther im Notenbilde zweifelsfrei
ausgeprägt sieht und den er mit der
Zündkraft seiner flammenden Lied-
auslegung vor das Auge und das Ohr
des Lesers hinstellt. Es will ihn säu-
bern von den Schlacken falscher Vor-
tragskunst und zeigt an einer ver-
schwenderischen Fülle von Beispielen
ihre sinnfällige Natürlichkeit, ihre la-
pidare Melodik, ihre ausdrucksvolle
Rhythmik, ihre Bescheidenheit im
Reichtum, ihre Vielgestaltigkeit und
das Auf und Ab ihres inneren Lebens,

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