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IV. HAGIOGRAPHIE UND ORDENSIDEOLOGIE
Untergebenheit vor ihrem Herrn (Abb. 26e—f)77 78. Schließlich zu Füßen des Heiligen Bü-
sten von Tertiariern (Abb. 26g—h)7&.
Thema ist hier eine idealtypische Traditionsreihe der Nachfahren des Franziskus und
Angehörigen des Ordens, genauer: eine Demonstration seiner legitimen Sukzession. In
welchem Maß dies als kontrastive Selbstdarstellung gegen Ansprüche der Zehnten im Or-
den zu werten ist, erhellt aus den Mustern von deren eigener Traditionsbildung: In ihren
Kreisen kursierende Niederschriften und Berichte, daß Franziskus selbst, bald vor seinem
Tod, den Gefährten Bernardo da Quintavalle das Zeichen der Macht übertragen habe, die-
ser seinerseits das ursprüngliche Charisma an den »hierarchicus et divinus frater Aegidius«,
dieser wiederum an Corrado d’Offida mit den Worten: »Similis mihifactus es, frater Con-
rade«, dienten ihnen zum Nachweis ihrer unverfälschten Sukzession79. Dabei begründete
in ihrer Sinngabe der Gedanke von der Gegenwart Christi in Franziskus ein ekklesiologi-
sches Konzept, insofern gegen den kurialen Vergabeanspruch der Ordensregel die Chri-
stusunmittelbarkeit der Gemeinschaft und das Bild einer von Christus allein diktierten
Regel gesetzt wurde80.
Vor diesem Hintergrund tritt nun der Entwurf der Pistoia-Tafel klar zutage als struktur-
gleiche, aber oppositive Traditionsbildung aus der Blickwarte der gemäßigten Mitte des
Ordens, die es gleicherweise unternahm, die eigene Befolgung und päpstliche Auslegung
der Regel fortgesetzt mit dem Leitwort »ex intentione beati Francisci« zu hinterlegen81 82.
Die Verankerung ihrer eigenen Geschichtlichkeit in der päpstlichen Regelapprobation
sollte wenig später Fra Remigio de’ Girolami in einer Florentiner Predigt in die apodiktisch
geprägte Formulierung fassen: »Dicendum quod una Regula est, in qua Regula exponenda
princeps Romane Ecclesie fuit iudex«?1.
Die Details der Bilddarstellungen folgen dieser Inhaltsabsicht in akribischer Konse-
quenz. Das Regelbuch der Approbationsszene, als Gleichung des Evangeliums, kehrt in
77. Zur Novizengewandung im Orden: Bughetti (1926), 663 f u. K. Esser in: Franziskanische Studien 42
(1960), 344. Zur Geste der verschränkten Arme: H. Delling, Studien über die Gebärdensprache in Dichtkunst
und Bildkunst des frühen und hohen Mittelalters, Leipzig 1925, 33.
78. Die lokal offenbar unterschiedlichen Kleidervorschriften der Tertiarier sind für das Trecento kaum ge-
klärt. Die Tertiarier von Florenz trugen zunächst sowohl graue als auch schwarze Mäntel, seit den 1270er Jahren
bezeugen Dokumente dann eine deutliche Unterscheidung zwischen Penitenti der Dominikaner, die »habitus
nigri« trugen, und der Franziskaner in grauen Mänteln; seit 1284 war den franziskanischen Tertiariern die graue
Tracht statutarisch verbindlich verordnet: Davidsohn (1908), 78ff, und G.G. Meersseman, Ordo fraternitatis,
Rom 1977, I, 37off, 382! (zu den heftigen Gegensätzen zwischen den »negri« und »grigi« in den 1280er Jahren),
395, n. III, 401 f. n. II u. n. III, mit Abdruck der Kleiderbestimmungen; s. ferner: H. Roggen, Geschichte der
franziskanischen Laienbewegung, Werl/Westf. 1971, 45. Der Zutritt in den Dritten Orden stand tonsurierten
Klerikern wie nichttonsurierten Laien offen.
79. Dazu: Stanislao da Campagnola, »Gli Spirituali umbri«, in: Chi erano gli Spirituali. Atti del II conve-
gno internazionale della societä intern, di studi francescani (Assisi 1975), Assisi 1976, 71 — 105, hier: 8off.
80. Der Kerngedanke, Christus habe Franziskus die »religio« begründen lassen und selbst in ihm gewirkt, war
darauf gerichtet, jede päpstliche Korrektur, Glossierung oder Modifizierung der Regel zu verwehren: s. E. Pasz-
tor, »L’imagine di Christo negli Spirituali«, in: Chi erano gli Spirituali (wie Anm. 79), 107—124, bes. in ff.
81. Vgl., u. a., Desbonnets (wie Anm. 47), passim, bes. 28f.
82. In gezielter Entgegnung auf Ansprüche der Spiritualen: vgl. C. Delcorno, in: Agiografia nell’Occidente
Christiano secoli XII—XV (Atti dei convegni lincei, 48), Rom 1980, 101.
IV. HAGIOGRAPHIE UND ORDENSIDEOLOGIE
Untergebenheit vor ihrem Herrn (Abb. 26e—f)77 78. Schließlich zu Füßen des Heiligen Bü-
sten von Tertiariern (Abb. 26g—h)7&.
Thema ist hier eine idealtypische Traditionsreihe der Nachfahren des Franziskus und
Angehörigen des Ordens, genauer: eine Demonstration seiner legitimen Sukzession. In
welchem Maß dies als kontrastive Selbstdarstellung gegen Ansprüche der Zehnten im Or-
den zu werten ist, erhellt aus den Mustern von deren eigener Traditionsbildung: In ihren
Kreisen kursierende Niederschriften und Berichte, daß Franziskus selbst, bald vor seinem
Tod, den Gefährten Bernardo da Quintavalle das Zeichen der Macht übertragen habe, die-
ser seinerseits das ursprüngliche Charisma an den »hierarchicus et divinus frater Aegidius«,
dieser wiederum an Corrado d’Offida mit den Worten: »Similis mihifactus es, frater Con-
rade«, dienten ihnen zum Nachweis ihrer unverfälschten Sukzession79. Dabei begründete
in ihrer Sinngabe der Gedanke von der Gegenwart Christi in Franziskus ein ekklesiologi-
sches Konzept, insofern gegen den kurialen Vergabeanspruch der Ordensregel die Chri-
stusunmittelbarkeit der Gemeinschaft und das Bild einer von Christus allein diktierten
Regel gesetzt wurde80.
Vor diesem Hintergrund tritt nun der Entwurf der Pistoia-Tafel klar zutage als struktur-
gleiche, aber oppositive Traditionsbildung aus der Blickwarte der gemäßigten Mitte des
Ordens, die es gleicherweise unternahm, die eigene Befolgung und päpstliche Auslegung
der Regel fortgesetzt mit dem Leitwort »ex intentione beati Francisci« zu hinterlegen81 82.
Die Verankerung ihrer eigenen Geschichtlichkeit in der päpstlichen Regelapprobation
sollte wenig später Fra Remigio de’ Girolami in einer Florentiner Predigt in die apodiktisch
geprägte Formulierung fassen: »Dicendum quod una Regula est, in qua Regula exponenda
princeps Romane Ecclesie fuit iudex«?1.
Die Details der Bilddarstellungen folgen dieser Inhaltsabsicht in akribischer Konse-
quenz. Das Regelbuch der Approbationsszene, als Gleichung des Evangeliums, kehrt in
77. Zur Novizengewandung im Orden: Bughetti (1926), 663 f u. K. Esser in: Franziskanische Studien 42
(1960), 344. Zur Geste der verschränkten Arme: H. Delling, Studien über die Gebärdensprache in Dichtkunst
und Bildkunst des frühen und hohen Mittelalters, Leipzig 1925, 33.
78. Die lokal offenbar unterschiedlichen Kleidervorschriften der Tertiarier sind für das Trecento kaum ge-
klärt. Die Tertiarier von Florenz trugen zunächst sowohl graue als auch schwarze Mäntel, seit den 1270er Jahren
bezeugen Dokumente dann eine deutliche Unterscheidung zwischen Penitenti der Dominikaner, die »habitus
nigri« trugen, und der Franziskaner in grauen Mänteln; seit 1284 war den franziskanischen Tertiariern die graue
Tracht statutarisch verbindlich verordnet: Davidsohn (1908), 78ff, und G.G. Meersseman, Ordo fraternitatis,
Rom 1977, I, 37off, 382! (zu den heftigen Gegensätzen zwischen den »negri« und »grigi« in den 1280er Jahren),
395, n. III, 401 f. n. II u. n. III, mit Abdruck der Kleiderbestimmungen; s. ferner: H. Roggen, Geschichte der
franziskanischen Laienbewegung, Werl/Westf. 1971, 45. Der Zutritt in den Dritten Orden stand tonsurierten
Klerikern wie nichttonsurierten Laien offen.
79. Dazu: Stanislao da Campagnola, »Gli Spirituali umbri«, in: Chi erano gli Spirituali. Atti del II conve-
gno internazionale della societä intern, di studi francescani (Assisi 1975), Assisi 1976, 71 — 105, hier: 8off.
80. Der Kerngedanke, Christus habe Franziskus die »religio« begründen lassen und selbst in ihm gewirkt, war
darauf gerichtet, jede päpstliche Korrektur, Glossierung oder Modifizierung der Regel zu verwehren: s. E. Pasz-
tor, »L’imagine di Christo negli Spirituali«, in: Chi erano gli Spirituali (wie Anm. 79), 107—124, bes. in ff.
81. Vgl., u. a., Desbonnets (wie Anm. 47), passim, bes. 28f.
82. In gezielter Entgegnung auf Ansprüche der Spiritualen: vgl. C. Delcorno, in: Agiografia nell’Occidente
Christiano secoli XII—XV (Atti dei convegni lincei, 48), Rom 1980, 101.