DIE STIGMATISATION UND DER KULT DES KRUZIFIXUS
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statt im Salzburger Raum anfertigen ließ (1945 verbrannt)09. Es übernimmt mit dem
Typus der giuntesken Kreuzikone einen im Orden beheimateten Bildtopos, moderiert
ihn bemerkenswerterweise aber durch eine regional verbindlichere, d.h. offenbar origi-
närer verstandene »Östlichkeit« des Stils, die durch paduanisch-venezianische, der
Kreuzfahrerkunst nahestehende Bildwerke vermittelt worden war. Daß man dabei Au-
thentizität im Sinn hatte, wird durch eingelassene Partikel von Kreuz, Dornenkrone
und Lanze, vielleicht auch durch die Legende, die das wunderbare Anschwemmen auf
der Donau behauptete, belegt69 70.
In Perugia entstand die croce dipinta von 1272 (Abb. 298) im Zuge eines großen
Dekorationsauftrages für S. Francesco al Prato, der auch das beidseitig bemalte Hoch-
altardossale einschloß (Abb. 316). Dessen Figuren- und Gewandmotive im Detail und
die Bildkonzeption des in antikischen Säulenarkaden untergebrachten Apostelkolle-
giums im ganzen, waren — wie D. Gordon nachwies — durch eine enge Formassimi-
lation an den spätantiken Sarkophag bestimmt, der die Gebeine des lokalen, dem
»apostolischen« Gefährten-Kollegium des Franziskus zugehörenden Ordensseligen
Aegidius barg und direkt unter der Hauptaltarmensa postiert war (Abb. 31p)71 72. Die
»Antikisierung« zielte hier darauf, dem Programm einer in Christus, Franziskus und
den Aposteln vereinten Gemeinschaft durch den anschaulichen Formengleichlaut mit
dem altchristlichen Zeugnis des Sarkophages Evidenz zu verschaffen. Die Formgebung
der zugleich entstandenen croce dipinta folgte einer ähnlichen Absicht, doch mit ande-
rem Paradigma. Ihr Meister »reproduzierte« den Prototyp Giuntas aus dem benach-
barten Mutterkonvent in Assisi, wo er selbst in der Unterkirche kurz zuvor noch tätig
gewesen war, variierte ihn aber, v.a. in den Assistenzikonen (Abb. 318), durch direkte
Zitate aus der Kreuzigungsdarstellung eines am Ort befindlichen Missale, das kurz zu-
vor in einer Malerwerkstatt der Kreuzfahrer in Akkon hergestellt worden war und den
aktuellsten Reflex der östlichen Darstellungstradition bereithielt (Abb. 3i9)71. Es ver-
steht sich, daß der Sarkophag ebensowenig für »antik« im Sinne kunsthistorischer Be-
griffe stand, wie der Bildentwurf des Gekreuzigten für »byzantinisch«. Vielmehr wa-
ren beide homogen in der Verkörperung frühchristlicher Überkommenschaft. Der
Kontext erlaubt, hier nochmals an den Predigtpassus des Fra Giordano da Rivalto
(1306) über »die ersten Bilder, die [...] ans Griechenland kamen«, zu erinnern: Daß
sie ursprünglich von Heiligen gemalt worden seien, damit man sich alles besser vor-
stellen könne, daß die Gestalten darauf genau so dargestellt seien, »wie sie wirklich
aussahen und in ihrem Wesen waren. So hat Nikodemus zuerst Christus auf einem
69. A. Berger-Fix, »Das Wimpassinger Kreuz und seine Einordnung in die Kunst des 13. Jahrhunderts«, in:
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 33 (1980), 31 — 82.
70. Ebd. 32ff, zu Kreuzpartikel und Legende, deren Geschichtlichkeit jedoch nicht gesichert ist (anno 1766).
71. Gordon (1982), die eingehend die Formreferenzen zum Ägidiussarkophag diskutiert. Zum Dossale zu-
letzt: J. Pope-Hennessy u. L. B. Kanter, The Robert Lehman Collection, I: Italian Paintings, New York—Prin-
ceton 1987, 78 ff, mit Lit.
72. Zum Missale: H. Buchthal, Miniature Painting in the Latin Kingdom of Jerusalem, Oxford 1957, 48 ff,
108, 144 f; A. Caleca, Miniature in Umbria, I. La biblioteca Capitolare di Perugia, Florenz 1969, 79ff u. 169ff.
Zum Zusammenhang mit dem Tafelkreuz: Boskovits (1973), 340 u. 348.
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statt im Salzburger Raum anfertigen ließ (1945 verbrannt)09. Es übernimmt mit dem
Typus der giuntesken Kreuzikone einen im Orden beheimateten Bildtopos, moderiert
ihn bemerkenswerterweise aber durch eine regional verbindlichere, d.h. offenbar origi-
närer verstandene »Östlichkeit« des Stils, die durch paduanisch-venezianische, der
Kreuzfahrerkunst nahestehende Bildwerke vermittelt worden war. Daß man dabei Au-
thentizität im Sinn hatte, wird durch eingelassene Partikel von Kreuz, Dornenkrone
und Lanze, vielleicht auch durch die Legende, die das wunderbare Anschwemmen auf
der Donau behauptete, belegt69 70.
In Perugia entstand die croce dipinta von 1272 (Abb. 298) im Zuge eines großen
Dekorationsauftrages für S. Francesco al Prato, der auch das beidseitig bemalte Hoch-
altardossale einschloß (Abb. 316). Dessen Figuren- und Gewandmotive im Detail und
die Bildkonzeption des in antikischen Säulenarkaden untergebrachten Apostelkolle-
giums im ganzen, waren — wie D. Gordon nachwies — durch eine enge Formassimi-
lation an den spätantiken Sarkophag bestimmt, der die Gebeine des lokalen, dem
»apostolischen« Gefährten-Kollegium des Franziskus zugehörenden Ordensseligen
Aegidius barg und direkt unter der Hauptaltarmensa postiert war (Abb. 31p)71 72. Die
»Antikisierung« zielte hier darauf, dem Programm einer in Christus, Franziskus und
den Aposteln vereinten Gemeinschaft durch den anschaulichen Formengleichlaut mit
dem altchristlichen Zeugnis des Sarkophages Evidenz zu verschaffen. Die Formgebung
der zugleich entstandenen croce dipinta folgte einer ähnlichen Absicht, doch mit ande-
rem Paradigma. Ihr Meister »reproduzierte« den Prototyp Giuntas aus dem benach-
barten Mutterkonvent in Assisi, wo er selbst in der Unterkirche kurz zuvor noch tätig
gewesen war, variierte ihn aber, v.a. in den Assistenzikonen (Abb. 318), durch direkte
Zitate aus der Kreuzigungsdarstellung eines am Ort befindlichen Missale, das kurz zu-
vor in einer Malerwerkstatt der Kreuzfahrer in Akkon hergestellt worden war und den
aktuellsten Reflex der östlichen Darstellungstradition bereithielt (Abb. 3i9)71. Es ver-
steht sich, daß der Sarkophag ebensowenig für »antik« im Sinne kunsthistorischer Be-
griffe stand, wie der Bildentwurf des Gekreuzigten für »byzantinisch«. Vielmehr wa-
ren beide homogen in der Verkörperung frühchristlicher Überkommenschaft. Der
Kontext erlaubt, hier nochmals an den Predigtpassus des Fra Giordano da Rivalto
(1306) über »die ersten Bilder, die [...] ans Griechenland kamen«, zu erinnern: Daß
sie ursprünglich von Heiligen gemalt worden seien, damit man sich alles besser vor-
stellen könne, daß die Gestalten darauf genau so dargestellt seien, »wie sie wirklich
aussahen und in ihrem Wesen waren. So hat Nikodemus zuerst Christus auf einem
69. A. Berger-Fix, »Das Wimpassinger Kreuz und seine Einordnung in die Kunst des 13. Jahrhunderts«, in:
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 33 (1980), 31 — 82.
70. Ebd. 32ff, zu Kreuzpartikel und Legende, deren Geschichtlichkeit jedoch nicht gesichert ist (anno 1766).
71. Gordon (1982), die eingehend die Formreferenzen zum Ägidiussarkophag diskutiert. Zum Dossale zu-
letzt: J. Pope-Hennessy u. L. B. Kanter, The Robert Lehman Collection, I: Italian Paintings, New York—Prin-
ceton 1987, 78 ff, mit Lit.
72. Zum Missale: H. Buchthal, Miniature Painting in the Latin Kingdom of Jerusalem, Oxford 1957, 48 ff,
108, 144 f; A. Caleca, Miniature in Umbria, I. La biblioteca Capitolare di Perugia, Florenz 1969, 79ff u. 169ff.
Zum Zusammenhang mit dem Tafelkreuz: Boskovits (1973), 340 u. 348.