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V EXEMPLUM PERFECTAE CONTEMPLATIONIS
schönen Tafelbild gemalt, und zwar in dem Zustand, in dem dieser am Kreuz hing.
Nikodemus war nämlich dabei, als Christus gekreuzigt wurde [.. .]«7\
Aus dem selben Kontext schließlich erklärt sich, wenn um 1250 offenbar erstmals
auch die Dominikaner den franziskanischen Kult des neuen Kruzifixus-Bildes mit ei-
nem bedeutenden eigenen Auftrag an Giunta Pisano beantworten. Er versieht — in di-
rekter Analogie zu San Francesco in Assisi — auch hier die Grabeskirche des Ordens-
stifters, San Domenico in Bologna, mit einem monumentalen Tafelkreuz des neuen
Typs, das zudem durch die Neueinführung von Chrysographie im Lendenschurz
sichtbar Östlichkeit assoziiert (Abb. 293j73 74. Vielleicht nicht zufällig tritt daher erstmals
gerade in Bologna ein die Figur des Franziskus mitdarstellendes Lettnerkreuz der Mi-
noriten außerhalb der näheren Region um Assisi auf (vgl. Abb. 312). Der regional und
überregional konkurrierende Anspruch prominenter Bildexemplare wird hier zum Aus-
druck für die Situation zweier um den Rang ihres wahrhaften Apostolats in Konkur-
renz stehender Orden.
Ähnlich waren die Verhältnisse offenbar in Arezzo. Dort bezeugt das Franziskus
mitanführende Kreuz der Minoriten (ca. 1280—90) (Abb. 304, 303) wiederum ein Ex-
emplar des Typs eher abseits des engeren umbrischen Verbreitungsradius und zudem
mit riesenhaften Ausmaßen, indes bereits um 1270 — 75 die Aretiner Dominikaner für
ihre Kirche am Ort ein bedeutendes, die neue Gestaltform eindringlich fortentwickeln-
des Bildwerk von der Hand Cimabues hatten schaffen lassen (Abb. 320), ein Werk,
dessen besonderes Prestige sich nicht zuletzt in direkten Nachbildungen für andere
Aretiner Kirchen deutlich ausdrückt75. Schließlich stellt eine gesteigerte, hohe Ausrei-
fung des alten Bildentwurfes von Giunta das Tafelkreuz Cimabues für S. Croce in
Florenz dar (Abb. 32z)76, das um 1285 als Symbolform des Kirchentitels und des
Kultprogramms zugleich entstand. In diesem Werk erhielt der Bildtyp neuerlich im
Auftrag der Franziskaner ein Exemplar, dessen Prominenz Repliken erwirkte. Deodato
Orlandis 1288 datiertes Kreuz in Lucca, das unzweifelhaft eine Replik des Florentiner
Werks bildet (Abb. 323)77, gibt hierfür einen anschaulichen Beleg. Um so mehr, als
sich in beiden Tafeln nachdrücklich eine Abkehr von der bisherigen toskanischen Tra-
dition Ausdruck verschafft, die seit der Zeit des Pisaner Kruzifixus von ca. 1220 — 30
(Abb. 292) bis hin zum Oeuvre des Coppo di Marcovaldo und seines Sohnes Salerno
(ca. 1260 — 80) (Abb. 326) den Kreuztyp mit akzessorischer Bildbegleitung und kaum
merklicher Körperschwingung in verbindlicher Überlieferung gehalten hatte78.
73. VgL Kap. II mit Anm. 86.
74. C. Brandi, »II crocifisso di Giunta Pisano in S. Domenico a Bologna«, in: L’Arte 39 (1936), 71—91, bes.
71 u. 80; Sindona (1975), 84, Nr. 1.
75. Sindona (1975), 86, Nr. 4, zum Cimabue-Kreuz (mit Lit.). Zu seinen lokalen Repliken vgl. Sandberg-
Vavalä (1929), 877! (v. a. croce dipinta aus SS. Trinitä in Arezzo, heute dort im Museo Statale). Zum Kreuz in S.
Francesco s. Anm. 49.
76. Sindona (1975), 114!, Nr. 43.
77. Garr. Nr. 534; Brunetti/Sinibaldi (1943), 29; Sandberg-Vavalä (1929), 797!!; Campini (wie Anm.
3l)> I27-
78. Vgl. Überblick bei Sandberg-Vavalä (1929), 747fr; Coor (wie Kap. I, Anm. 71); M. Boskovits, »In-
V EXEMPLUM PERFECTAE CONTEMPLATIONIS
schönen Tafelbild gemalt, und zwar in dem Zustand, in dem dieser am Kreuz hing.
Nikodemus war nämlich dabei, als Christus gekreuzigt wurde [.. .]«7\
Aus dem selben Kontext schließlich erklärt sich, wenn um 1250 offenbar erstmals
auch die Dominikaner den franziskanischen Kult des neuen Kruzifixus-Bildes mit ei-
nem bedeutenden eigenen Auftrag an Giunta Pisano beantworten. Er versieht — in di-
rekter Analogie zu San Francesco in Assisi — auch hier die Grabeskirche des Ordens-
stifters, San Domenico in Bologna, mit einem monumentalen Tafelkreuz des neuen
Typs, das zudem durch die Neueinführung von Chrysographie im Lendenschurz
sichtbar Östlichkeit assoziiert (Abb. 293j73 74. Vielleicht nicht zufällig tritt daher erstmals
gerade in Bologna ein die Figur des Franziskus mitdarstellendes Lettnerkreuz der Mi-
noriten außerhalb der näheren Region um Assisi auf (vgl. Abb. 312). Der regional und
überregional konkurrierende Anspruch prominenter Bildexemplare wird hier zum Aus-
druck für die Situation zweier um den Rang ihres wahrhaften Apostolats in Konkur-
renz stehender Orden.
Ähnlich waren die Verhältnisse offenbar in Arezzo. Dort bezeugt das Franziskus
mitanführende Kreuz der Minoriten (ca. 1280—90) (Abb. 304, 303) wiederum ein Ex-
emplar des Typs eher abseits des engeren umbrischen Verbreitungsradius und zudem
mit riesenhaften Ausmaßen, indes bereits um 1270 — 75 die Aretiner Dominikaner für
ihre Kirche am Ort ein bedeutendes, die neue Gestaltform eindringlich fortentwickeln-
des Bildwerk von der Hand Cimabues hatten schaffen lassen (Abb. 320), ein Werk,
dessen besonderes Prestige sich nicht zuletzt in direkten Nachbildungen für andere
Aretiner Kirchen deutlich ausdrückt75. Schließlich stellt eine gesteigerte, hohe Ausrei-
fung des alten Bildentwurfes von Giunta das Tafelkreuz Cimabues für S. Croce in
Florenz dar (Abb. 32z)76, das um 1285 als Symbolform des Kirchentitels und des
Kultprogramms zugleich entstand. In diesem Werk erhielt der Bildtyp neuerlich im
Auftrag der Franziskaner ein Exemplar, dessen Prominenz Repliken erwirkte. Deodato
Orlandis 1288 datiertes Kreuz in Lucca, das unzweifelhaft eine Replik des Florentiner
Werks bildet (Abb. 323)77, gibt hierfür einen anschaulichen Beleg. Um so mehr, als
sich in beiden Tafeln nachdrücklich eine Abkehr von der bisherigen toskanischen Tra-
dition Ausdruck verschafft, die seit der Zeit des Pisaner Kruzifixus von ca. 1220 — 30
(Abb. 292) bis hin zum Oeuvre des Coppo di Marcovaldo und seines Sohnes Salerno
(ca. 1260 — 80) (Abb. 326) den Kreuztyp mit akzessorischer Bildbegleitung und kaum
merklicher Körperschwingung in verbindlicher Überlieferung gehalten hatte78.
73. VgL Kap. II mit Anm. 86.
74. C. Brandi, »II crocifisso di Giunta Pisano in S. Domenico a Bologna«, in: L’Arte 39 (1936), 71—91, bes.
71 u. 80; Sindona (1975), 84, Nr. 1.
75. Sindona (1975), 86, Nr. 4, zum Cimabue-Kreuz (mit Lit.). Zu seinen lokalen Repliken vgl. Sandberg-
Vavalä (1929), 877! (v. a. croce dipinta aus SS. Trinitä in Arezzo, heute dort im Museo Statale). Zum Kreuz in S.
Francesco s. Anm. 49.
76. Sindona (1975), 114!, Nr. 43.
77. Garr. Nr. 534; Brunetti/Sinibaldi (1943), 29; Sandberg-Vavalä (1929), 797!!; Campini (wie Anm.
3l)> I27-
78. Vgl. Überblick bei Sandberg-Vavalä (1929), 747fr; Coor (wie Kap. I, Anm. 71); M. Boskovits, »In-