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Kühnel, Ernst; Cohn, William [Editor]
Die Kunst des Ostens (Band 9): Maurische Kunst — Berlin: Cassirer, 1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.73315#0072
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MUDEJAREN UND BARBARESKEN

Minaren mit luftigen Galerien und mehrstöckigen Fachwerkhäusern ihren Aus-
druck fanden. Kamen so von dorther in erster Linie architektonische Ideen,
die das bis dahin ausgesprochen maghrebinische Stadtbild erheblich ver-
änderten, so wurde in Einzelheiten und vor allem in der Innenausstattung
die europäische Mitwirkung sichtbar. In vielen Fällen mögen Säulen, Kapitelle,
Türrahmen u. dgl., die hier Verwendung fanden, von erbeuteten italienischen
oder spanischen Kauffahrteischiffen herrühren, die mit Baumaterial unterwegs
waren, bisweilen mögen aber auch christliche Steinmetzen an Ort und Stelle
die Stücke gearbeitet haben. Die Zahl der Renaissanceportale z. B. ist allein
in dem kleinen Kasbaviertel, das vom alten Algier noch stehen blieb, so
erheblich und der Stilzusammenhang unter ihnen so auffallend, daß wir
unbedingt mit einer einheimischen Werkstatt rechnen müssen, deren lokaler
Charakter bei genauerem Studium wahrscheinlich einmal deutlicher hervor-
treten wird. Abgesehen davon ist ein europäischer Einschlag auch im Aufbau
der Innenhöfe oft unverkennbar (Taf. 100), und der Vergleich mit der Be-
wegung des Mudejar drängt sich von selbst auf; denn hier sind unzweifelhaft
christliche Handwerker für mohammedanische Herren tätig und halten in-
mitten einer fremden Umgebung an den mitgebrachten Formen ebenso zäh
fest, wie in Spanien die Mauren an dem Erbe ihrer Väter. In doppelter
Hinsicht freilich besteht ein wesentlicher Unterschied: einmal darin, daß die
einen ein entwurzeltes, die anderen aber ein bodenständiges Element bildeten,
und dann vor allem insofern, als die Mudejaren, wenn auch Beschränkungen
ihrer politischen Freiheit unterworfen, doch eine geachtete selbständige Existenz
führten, während die armen Teufel, die den Korsaren in die Hände fielen,
unweigerlich in Sklaverei gerieten und, ganz den Launen ihrer Herren preis-
gegeben, zu einer wahren Schaffensfreude schwerlich gelangen konnten.
Die unfreiwillige und immer nur zufällige europäische Mitarbeit hat denn
auch eine Kontinuität der Entwicklung nicht gestattet und wir müssen uns be-
gnügen, in den einzelnen Bauwerken die verschiedenen Elemente nachzuweisen,
ohne für die ganze Epoche allgemein gültige Normen aufzustellen. Immerhin
sind wir berechtigt, den Begriff der Barbareskenkunst überhaupt einzuführen,
indem wir nämlich darunter diejenigen Denkmäler verstehen, die in Nord-
afrika vom 16. bis 19. Jahrhundert entstanden und durch Einwirkungen der
europäischen oder türkischen Richtung oder beider zugleich aus der mittel-
alterlich-maurischen Kunstübung herausgezogen werden. Diese letztere blieb,
 
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