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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 47.1897-1898

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Rolfs, Wilhelm: Alte Geleise - neue Pfade
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https://doi.org/10.11588/diglit.7002#0014

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Alto Geleise

Jahrzehnten des Wiedermachens „alter Stile" die
Führerrolle in Deutschland gespielt hat, so ist schon
oft hervorgehoben worden, daß es bei aller tech-
nischen Trefflichkeit, ja man kann wohl sagen, bei
einer seit Jahrhunderten vielleicht kaum mehr er-
reichten pöhe der Technik seit den Tagen Gedons
eigentlich neue Gedanken nicht mehr zu Tage för-
dert: Ts ruht offenbar auf den in schöpferischer Be-
ziehung nicht einmal sehr verdienstvollen Lorbeeren
der „Wiedererweckung der deutschen Renaissance"
und ihren Nachfolgern behaglich aus. Rund
herum aber geht dis Welt weiter. Der Sieges-
zug der deutschen Renaissance durch Schloß und Palais
hindurch bis in die großen Massenmöbelfabriken
hinunter, die in hundert- und tausendfacher Wieder-
holung unsere Wohnungen mit denselben „stilvollen
Tinrichtungen" ausstaffiren, ist längst vollendet.
Tine Unzahl vortrefflicher Arbeiter ist dabei geschult
worden, und so konnte man ohne Schwierigkeit
später die Nachbildung des Barock und Empire be-
wältigen, wie man die Renaissance wiedererweckt
hatte. Nun ist man aber ganz am Tnde! Der
Biedermeierstil ist denn doch gar zu dürftig,
als daß sein Wiedererwecken mehr als ein flüchtiges
Interesse, inehr als einen kurzen Tintagsantrieb zu
seiner „stilgerechten" Nachahmung geben könnte, und
mit Schrecken legt man sich die Frage vor: Was
soll nun werden? Soll das deutsche Kunsthandwerk
von der Nachahmung alter nun zu der fremder
Stile übergehen? Ist alle eigene Kraft von uns,
den eiifftigen stolzen Beherrschern des Kunstgewerbes,
gewichen, und sollen wir unsere Zukunft darin sehen,
im peerbann Anderer Gefolgschaft zu leisten? Wäh-
rend in England zu keiner Zeit die natürliche Ent-
wicklung der „Stile" so gewaltsam durchbrochen
wurde, wie bei uns durch das plötzliche Zurückgchen
auf die Tage unserer glanzvollsten Kunstepoche und auf
deren Nachahmung und unverstandene Verarbeitung,
während also dort das Auge sich nicht in den Bann
fremder Stile begeben, der Handwerker sich nicht
in vergangene Formen ein leben und darin feine
Eigenart ein büßen mußte; während in Amerika
und zum Theil auch in Belgien und Frankreich die
Tradition nicht fesselte, ist dies im höchsten Maaße
und ganz allgemein auch heute noch bei uns der
Fall. Während daher in der Fremde die Bedürf-
nisse einer inodernen Zeit auch in moderner, auf
neuer Beobachtung der umgebenden Natur, auf
neuer Benutzung der zahllos vermehrten technischen
Mittel beruhenden Weise ihren Ausdruck finden,
während mit einein Wort da draußen der frische
Zug zum Neuen und Natürlichen bereits
kräftig daherweht, wird bei uns die stille kunst-

neue Pfade.

gewerbliche Atmosphäre kaum erst von seinem linden
Hauche hie und da gefächelt.

Dennoch ist er vorhanden; wir glauben ihn in
folgenden Thatsachen zu erkennen.

Zunächst beweist der Versuch im Münchener
Glaspalaste in allerdings sehr beschränktem Maaße,
daß es uns möglich ist, neue Bahnen zu wandeln.
Was hier positiv zu Tage tritt, das zeigt sich
negativ in den (fünf) Zimmern des Parisers
Bing, die in Dresden Heuer ausgestellt sind. Gffen-
bar hatte man in Dresden nicht den Muth, vielleicht
auch nicht die Gelegenheit *), heimische Kräfte
heranzuziehen. 2) Allein die mit Hellen Augen in die
Welt blickende Ausstellungsleitung wußte, daß da
draußen die Kunst im Handwerk gewaltig vorwärts
strebte, während in Deutschland noch über allen
Wipfeln der Fachkreise tiefste Ruhe lagerte. Es galt
also am Fremden zu zeigen, was uns fehlt, und so
kann auch „Dresden f8si7" den Anspruch erheben,
mitgeholfen zu haben, dem deutschen Kunstgewerbe
die Augen zu öffnen.

Weit empfindlicher wird aber der Stillstand, in
dem wir uns befinden, in den Kreisen gefühlt, die,
sei es durch eigene Beobachtung, durch Reisen im
Auslande, oder auch nur durch das Studium fremder
Zeitschriften seit geraumer Zeit bemerken mußten,
wie bedenklich und überraschend schnell wir Deutschen
den Ausländern gegenüber in's Hintertreffen geriethen.
Nur aus diesem Empfinden heraus ist es zu erklären,
daß z. B. eine so kostspielige Zeitschrift wie »The
Studio« nicht bloß in den Kreisen, die „von Jugend
auf an prächtige Zimmer und elegantes Hausgeräthe"
gewöhnt sind, sondern namentlich bei deutschen Künst-
lern eine überraschend große Anzahl von Abon-
nenten besitzt, und daß sich bei ihnen sehr bald die
Erkenntniß Bahn brach: auch in Deutschland
sei eine solche Zeitschrift nothwendig. Das
naheliegende Bedenken, das auch dem plane der
Münchener Ausstellung entgegengehalten wurde, es
würden die mitarbeitenden heimischenKräfte
fehlen, ist ja eben durch diese Ausstellung sehr deut-
lich ad absurdum geführt.

Schließlich mag noch als letztes gutes Zeichen
die Gährung angeführt werden, die sich gewisser
Kreise der Münchener Künstler bemächtigt hat —
Künstler namentlich, die für das sog. „Kunst-
h and werk" einen offenen Blick haben und nicht mehr
unter dem Vorurtheil befangen sind, daß es ein ganz

‘) Dafür um so reichlichere Mittel.

2) Die Stickereien von Jentsch können wir trotz der
goldenen Medaille, mit der sie ausgezeichnet wurden, nicht als
einen glücklichen Schritt auf der Bahn nach einem neuen Aunst-
gewerbe in unserem Sinne betrachten.

S
 
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