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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 49.1898-1899

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Hagen, L.: Geschmackvoll
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https://doi.org/10.11588/diglit.7000#0074

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Geschmackvoll.

83. Wandmalerei in einem 5aal des „Augustiners"; nach Angaben von Prof. Einen. 5eidl ausgeführt

von Jul. Diez. München (f. Abb. 8;)>

<8escßmacKvokb. (Von L. Dazen.

ogik ist selbst beim Volke der Dichter
und Denker ein Sieb mit vielen feinen
. Löchern. Dian glaubt nicht, was bei
ll einigen: guten Willen zum Reiben und
® Rühren alles hindurch gestrichen werden
kann. So mancher echt deutsche Ausdruck läßt sich
gutwillig ungeahnte Verdrehungen gefallen. So 5. 23.
existirt die „geschmackvolle" Dame schon seit Jahr-
zehnten in den Modenzeitungen. Neuerdings hat
sich der geschinackvolle Dekorateur ihr zugesellt, und
es wäre weiter nichts Ungeheuerliches daran, wenn
sich dieser geschmackvolle Ausdruck nicht geradeswegs
in eine hochangesehene Aunstzeitschrift hinein verirrt
hätte. Da fühlt man sich allerdings verpflichtet, zu
fragen, ob Menschen, die mit derartigen Ausdrücken
„hantiren", das Recht zusteht, andere über das Ge-
schmackvolle zu belehren. Jedenfalls ist es an der
Zeit, sich darüber zu einigen, was das „Geschinack-
volle" bedeutet. Weil es immer eine seelische Wesens-
äußerung des Menschen bleibt, ist es von vornherein
unmöglich, von geschmackvollen Menschen zu sprechen.
Die Abwesenheit des ästhetischen Geschmacks wird
an Dingen erkannt, die außerhalb des Menschen
liegen, darum kennt die Logik der deutschen Sprache
weder geschmackvolle noch geschmacklose Menschen.
Wenn die „geschmackvolle Dame" in der Frauen-
zeitung Anleitung zur Herstellung „stilvoller" Schlüssel-
halter aus Uochlöffeln, von Wandtellern aus Blech-
öeckeln und von Blumenständern aus abgenutzten
Besenstielen und zerbrochenen Rouleauxstangen sucht,
bezeichnen wir ihr Treiben — nicht sie selbst —

als geschmacklos. Nun sind ja freilich im Sinne der
Modedame die Tage des bric ä brac vergangen;
allein das hindert, die Inhaber von Tin- und Drei-
markbazaren und andern Brutstätten kunstgewerb-
lichen Unsinns nicht, dem Geschmacksmangel des
zahlenden „gebildeten" Publikums mit Bilderständern
in Fahrradform, mit Tischglocken in Gestalt von
Pickelhauben, mit riesigen Sonnenblumen und klo-
bigen Laubfröschen als Blumenvasen auszuhelfen.
Bisher haben die Belehrungen der Aesthetiker nach
dieser Seite hin nur geringe Frucht getragen. Und
das nicht zum geringsten Theil, weil die Aesthetiker
selbst das Wort „geschmackvoll" meist willkürlich,
ohne überzeugende Motjvirung gebrauchen. Ts ist
ihnen bisher nicht gelungen, die Menge darüber
aufzuklären, daß das Geschmackvolle immer nur das
sinnreich Angepaßte sein kann, daß der Schmuck
der Gebrauchs- und Ziergegenstände zu uns reden
muß, nicht in der Formensprache der Schönheit
allein, sondern in der Gedankensprache des reichen
Tmpfindungs- und Gemüthslebens. In den: ver-
ständniß für diese Sprache des Tmpfindungs-
lebens bekundet sich künstlerischer Geschmack in
seinem Unterschiede vom Stilgefühl. Nicht alles
Stilreine ist unbedingt geschmackvoll, nicht alles
Stilwidrige bedeutet unter allen Umständen eine
Geschmacklosigkeit. Tin ornamentales Motiv kann
einen: glücklichen künstlerischen Gedanken entsprungen
sein, ohne durchweg stilrein zu wirken und umgekehrt
haben wir viel in: streng modernen Sinne Stilreines,
was in Bezug auf die Wahl des Motives nicht ge-
fchnmckvoll genannt werden kann, weil die sinnreiche
Anpassung eine enge Gedankenverbindung zwischen

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