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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 52.1901-1902

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Haupt, Albrecht: Gedankenspäne zur neuen Bewegung, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7007#0151

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Gedankenspäne zur neuen Bewegung.

(VedanKenspane zur neuen
(Kewegung. II?)

S thut doch oft gut, wenn nian
dem lebhaften Treiben, der heute
verbreiteten past der Umgebung,
der fieberhaften, sogar in einen
Taumel übergehenden Jagd nach
dein Neuen, die doch nicht selten
nur dem verschmachtenden Streben nach einer Fata
Worgana gleicht, für einen Augenblick entrückt wird.
Wenn man, wie ich, auf einige Zeit den in Europa
hin- und herschäumenden Kampf der Wellen von
einen: fernen, noch nicht davon erschütterten Lande,
wie es das oft palbafrika genannte Spanten bisher
blieb, betrachten kann, wenn der Kopf sich langsam
erholt und auch ein wenig ernüchtert von detir einen:
Rausche gleichenden Hetzen nach „vorwärts", dann
unterscheidet man vieles besser und richtiger, das
Gediegene von den: Flitterwerk, die That von der
Komödie, und hat auch wohl einen sichereren Blick
für den Wert des Ganzen, kann besser sehen und
erkennen, ob nicht ntanche von den scheinbar neu
eröffneten Wegen nur alte Irrpfade sind, die statt
nach vorwärts nur rückwärts oder ins Nichts führen.

So oft n:an gen Südwesten oder Süden zieht,
so oft drängt sich unwidersprechlich die Wahrnehmung
auf, daß die modernste Bewegung in der Kunst den:
romanischen Wesen in: Innersten fren:d ist und wohl
auch bleiben wird. Schon in Frankreich, d. h. Paris,
empfindet man dies sehr deutlich. In der franzö-
sischen Walerei freilich, auch selbst in der Bildhauerei,
gibt es unleugbar Pfadfinder und Bahnbrecher genug,
von Thavannes und Willst an bis zu Rodin und
Bartholonw. Aber in: französischen Bolke lebt dafür
auch ein ganz gewaltiger Zusatz deutschen Blutes,
und gerade dieser besonderen Wischung germanischen,
keltischen und romanischen Wesens wird die Eigen-
art der französischen Kunst zu danken sein. Trotz-
den: läßt sich nirgends übersehen, daß matt in

Frankreich jene ganz eigentümliche Fähigkeit des
Franzentunrs, die wir mit „Geschmack" bezeichnen,
überall auch in den allermodernsten Bestrebungen zu
bethätigen sucht. An: allerdeutlichsten sieht n:an dies
in den Publikationen; dort tritt bei jeder Gelegenheit
die alte ausgeprägte Sucht nach Eleganz in Linien-
führung und Farbengebung, kurz jenes Streben her-
vor, welches wir von jeher als französisch kannten,
welches die Wutter gerade der schönsten und besten
Schöpfungen der geschichtlich französischen Kunst ge-
wesen ist, — welches aber eigentlich der ntodcrnsten
Richtung gänzlich widerspricht. Ich habe es überall
auf das lebhafteste zu empfinden geglaubt, daß vor
allen: in: Kunstgewerbe die ntoderne Richtung den:
Franzosen in: tiefen Perzen unsympathisch zu sein
scheint, daß man sie aber überall mitzumachen weiß
und mitnmcht, schon weil sie modern und Wode ist,
und weil das große natürliche Talent des Franzosen
sich auch hier leicht hineinfindet. Dennoch bleibt es
innner ein gewisses Äußerliches, Oberflächliches, im
Innersten doch anders Gedachtes und Empfundenes,
was man als Ergebnis der neuesten Richtung in
Frankreich sieht. Die neueste Kunst entspringt viel
weniger dem Geschmack als dem Gefühl; die äußere
Eleganz der Form ist ihr zunächst völlig gleichgültig,
sogar entgegengesetzt; man sucht vielmehr nach präg-
nantestem Ausdruck der inneren Bewegung, so kraft-
voll, so derb, ja so schneidend und kraß wie nur
möglich. Die schärfste Disharmonie, der grellste
Blitz und die tiefste Nacht, die unverträglichsten
Farbengegensätze, die gewaltsamsten Brechungen der
Linie gehören zum täglichen Rüstzeug der modernen
Kunst; den:, was man Geschmack und Grazie zu
nennen pflegte, auf das gewaltsamste ins Antlitz zu
schlagen, gibt gerade die stärksten Wirkungen. Der
ntoderne Wald besteht meist aus abgeschnittenen
Stämmen; in: Figurenbild sind die äußersten Ge-
stalten stets auf das grausamste zerschnitten, halbiert
oder gevierteilt; noch weit stärkeres wird gewagt und
findet Beifall, wenn es nur „wirkt."

Dies alles ist aber den: französischen Geschmack
in: Grunde offenbar unsympathisch; und so zeichnet
sich das Neueste in Paris und der Provinz noch immer

) vgl. Jahrgg. ;900, 5. 206.
 
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