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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 53.1902-1903

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Berlepsch-Valendas, Hans E. von: Erinnerungen an Nikolaus Gysis
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https://doi.org/10.11588/diglit.7001#0105

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(6(. Löiveiistndie für den „Triumphzug der Bavaria" von 1° N. Gysis.

Erinnerung an MKokaub (Vxsis.

it Nikolaus Gysis hat die deutsche
Kunst, in erster Linie die dekora-
tive Kunst, einen ihrer Besten
verloren. Gr war ein Kleister, der
in seinen Werken zeigte, daß
starkes Empfinden mit Meinungs-
schwankungen nichts zu tun habe, daß wirkliche
Kunst überhaupt ein Begriff sei, der sich immer in
einer ksöhe hält, die mit Tagesfragen, Tagesstreit,
Tagesschlagwortcn und Tageskritik nichts zu schaffen
hat, nicht erreicht wird mit erzwungenem Fluge,
geschweige denn mit Flatterversuchen. Wer nicht
durch eigene Schwungkraft in jene Regionen kommt,
deni bleiben sie unerreichbar. Die meisten geben sich
ohnehin weit lieber mit etwas weniger hoch gelegenen
Dingen ab und sind dabei glücklich wie die Bauern-
dirn, die am Sonntag sich im Tanze dreht, nachdem
sie die ganze Woche den Dreschflegel geschwungen.
Was gilt ihr der gestirnte Fimmel, wenn sie später,
umfangen von ihrem drallen Burschen, heimwärts
sich wendet!

Ende November oder Anfang Dezember ^899
war es, als ich an einem nebeligen, naßkalten Abend
an verschiedenen Toren der Akademie zu München
Einlaß zu bekommen versuchte. Endlich gelang das
Vorhaben. In den Korridoren brannte nur da und
dort eine Gasflamme. Lang und verzerrt streckten
sich die Schatten der daselbst ausgestellten Gipsabgüsse
nach Antiken an den Wänden hin. Sie gemahnten
beinah an Schöpfungen, wie man sie hin und wieder

zu sehen bekommt, Schöpfungen, deren Autoren die
Kunst auch ohne gediegene Kenntnisse der künstlerischen
Formensprache zu beherrschen vermeinen. Wozu
hätte die Sprache denn auch den Begriff des Zerr-
bildes? Auch das will seine Vertreter haben.

Im Atelier von Gysis stand, allem übrigen
vorgerückt, die herrliche, seitdem in Besitz von j)rof.
Or. Ad. T o b l e r in Zürich übergegangene Arbeit:
„Jahrhunderts-Wende", ein seltsam schöner licht-
umflossener Zug von edlen, in klassisch-langfaltigen
Gewändern dahcrschreitenden Gestalten. Sie kommen
dem Beschauer entgegen, alle die guten Geister des
Menschentums, die nie altern, und von denen
Träume mehr erzählen, als die Wirklichkeit es tut.

Das Bild strahlte etwas aus wie Sonnenlicht
und Sonnenwärme. Ich wurde unwillkürlich davon
erfaßt und hatte im Nu den unwirschen Winterabend
draußen vergessen.

Es war das letzte große und hochbedeutsame
Werk, das der Künstler schuf. Wenig mehr als ein
Jahr später, am Januar sHOs, schlossen sich
seine Augen — und was waren es für schöne,
geistige Sprache sprechende, gute Augen, denen sicher-
lich nie ein haßerfüllter, kalter Blick, bösen: Wünschen
Ausdruck verleihend, entsprang!

hatten schon vereinzelte Arbeiten, z. B. die drei
unter sich ganz verschiedenen Bilder „Wallfahrt",
aus dein Ende der siebziger Jahre des vergangenen
Jahrhunderts, das Nahen einer starken Wandlung
bei Gysis deutlich erkennen lassen, und waren dann
auch eine ganze Reihe hochbedeutsamer Werke ent-
standen — sie hier aufzuzählen hat keinen Wert —,

Aunst und Handwerk. 63. Iahrg. Heft

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