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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 54.1903-1904

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Schur, Ernst: Über die ethische Kraft des Konstruktiv-Notwendigen, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7291#0033

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Über die ethische Kraft des Konstruktiv-Notwendigen.

VKl‘<lLV<:K-|fV J<iNATlVi

NfV^N'IAMfV J?03 1ÄS<MN<K

-fs. Glückwunschkarte.

(Ußev die ethische (Alraft des
Nonsirußiry ^ Notwendigen.

(Von Srnst Kchur.

i.

S gilt als stillas, sich die Räume,
in denen man sein Leben zubringt,
in vergangenen Stilett so zu ge-
stalten, wie es den, der sie be-
wohnen wird, schließlich anheiinelt,
d. h. unter den: Gegebenen wird
individuelle Auswahl gehalten.

Uitd es gilt als stilvoll, zu einem fremden
Künstler, der mich gar nicht kennt, hinzugehen uitd
zu ihiit also zu sprechen: „Litte, dränge iitir deinen
Geschmack aus. Ich will mich dem sklavisch unter-
ordnen. Deine Fantasie sei mein Wegweiser. Wie
du meine Tische, iiteiite Stühle, meine Bibliothek
formst, so will ich sie lobeit. Will mich unter ihnen
uitd mit ihnen zeitlebens wohl fühlen und will inein
Leben unter ihnen beschließen."

Weshalb wird darum so viel Geschrei gemacht?
Es ist betrübend, wenn man diesen Zustand — daß
die Möbel der Jetztzeit, der Gegenwart, auch eine
bestimmte Geschmacksrichtuitg offenbaren sollen —
als so über alle Maßen lobenswert, ja überraschend
hinstellen will, hinstellen muß. Es sollte selbst-
verständlich seiit. Ein betrübendes Zeugnis, daß
dieser — eigentlich selbstverständliche — Trieb durch
Lob und Tadel, durch Borbilder, durch alle möglichen,

abgebrauchtesten Künste des Wortes und der Dar-
stellung immer wieder künstlich hochgepeitscht werden
muß, wie es scheint: daß er nicht erlahme.

Wie?! — Gab nicht gerade erst die Be-
trachtung vergangener Zeiten, die Versenkung in die
Geschlossenheit der alten Stile anspornend überhaupt
erst den Anlaß, diese neuen Forderungen eines
modernen Stiles in den gewerblichen Künsten auf-
zustellen ?

Und wo will man hin? Soll wieder nur eilt
Stand sich damit einen Luxus mehr gönnen? Soll
daiitit nur der Mischmasch der Stile beseitigt werden?
Gewisser>iiaßen zu den alten Stilen noch eine Aus-
wahl neuer Formen hinzugefügt werden? Also im
Grunde dann nur eine Vermehrung, ein äußerlicher
Zusatz — ohne daß der Geist iteu wird?!

Ein uniformes Aussehen des äußeren Seiirs —
das Resultat mag vielleicht mit vergangenen Zeiten
übereinzustimmen scheinen! Doch die Ursachen stimmen
iticht mehr überein. Wie darf also das Resultat ein
gleiches sein? Die vergangenen Zeiten hatten zur
Voraussetzung eine Abgeschlossenheit des Lebens, wie
sie heute nicht mehr denkbar ist. Danrals war ein
Zusammenfassen, eine Konzentration möglich, Heute
nicht mehr. Mder — noch nicht?! Dies ist das
ewige Dilenriira.

Ein neuer Stand drängt heraus. Unsere Zu-
kunft, der wir entgegengehen, wird im Innersten denr
Geist vergangener Jahrhunderte widersprechen. Muß
also auch die Form, in der sich dieser zukünftige
Geist dokuinentieren wird, nicht notwendig ganz
andere Züge tragen?

iS
 
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