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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 55.1904-1905

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Chronik des Bayerischen Kunstgewerbevereins
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https://doi.org/10.11588/diglit.7198#0103

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Thronik des Bayer. Kunstgewerbevereins.

Chronik öc‘> OüßerisDm RunflgMkrvkvkrkin§.

-Älkgemeine (Vereinsnachrichten.

Die Stellung des Bayerischen Lunstgewerbevereins inner-
halb des Staatsorganisinus hat vor kurzem eine Änderung er-
fahren. Bei der Reorganisation des Ministeriums des Innern
wurde er nämlich von diefein losgelöst und dem Ministerium
des Äußeren unterstellt, während schon seit Jahren der Wunsch
besteht, den Verein dem Kultusministerium zu unter-
stellen, in dessen Bereich alle sonstigen künstlerischen Angelegen-
heiten gehören.

Die neuen Räume der Verkaufs- und Ausstellungshalle
sind am s. Dezember dem Betrieb übergeben worden mit einer
reich beschickten Weihnachtsausstellung, über die wir in einer
der nächsten Nummern eine» illustrierten Bericht bringen werden.

Mochenversaimnkungen.

Erster Abend — den 8. November Der Vorsitzende,
pofjuweller Merk, eröffnet die Versammlung mit einer Be-
grüßung der Anwesenden, indem er die Boffnung ausspricht,
daß die Vereinsabende sich eines lebhaften Besuches erfreuen
möchten. — Daraus hielt Konservator vr. voll einen Vortrag
über „kjonorä Daumier, ein französischer Maler
und K arrikatureuzei chner". Daumier, der seinerzeit
einen so bedeutenden Ruf genoß, daß ein geistvoller Zeitgenosse
von ihm angesichts der Malereien in der Sixtinischen Kapelle
sagen konnte: „Das sähe alles aus wie Daumier", war in
Marseille geboren, wo sein Vater die Glaserei betrieb, aber
durch einige gelungene Gedichte der Versuchung erlag, sein Glück
in Paris mit der Poesie zu versuchen. Da diese Sache aber
schief ging, wollte der Vater auch von der Küustlerlaufbahn
des Sohnes nichts wissen, der sich viel im Louvre Herumtrieb,
hier durch bloßes Anschauen Reichtümer an Beobachtungen in
sich aufnahm und sich je länger je mehr in den Kopf gesetzt
hatte, ein „Journalist der Kunst" werden zu wollen. Lr wollte
die Tagesereignisse mittels der Lithographie festhalten. Erst
bekämpfte er (von 1835 an) fünf Jahre lang das Regime
Louis Philippe's, später ebenso den „Schurken" Napoleon III.,
dessen Volksvertreter er als Wasserköpfe in der satyrischsteu
Weise karrikierte. Lr beherrschte geradezu die ganze politische
Welt Frankreichs, und seine Lithographien gehören jetzt zu den
gesuchtesten Blättern. Seine künstlerische Bedeutung liegt in
der unerhörten Ausdruckssähigkeit; in seinen Zeichnungen ist
weitaus das beste Kulturbild des 19. Jahrhunderts nieder-
gelegt. Mit seiner Drastik erschöpft er das ganze Wesen der
Sache — Gesellschaft, bürgerliches Leben, Künstler; Delacroix
und Milet haben direkt von Daumier gelernt. In köstlicher
Weise karrikiert er aber auch die alte Geschichte, den Don
ÜZuixote und ähnliches. Daumier war ein guter Mensch; er
bildet um \850 herum eine Parallele mit dem Münchener
Maler Spitz weg. — Im ganzen sind etwa 5000 Lithographien
von ihm erhalten. Wie Goya (vgl. letzten Jahrgang S. 180),
so bildet auch Daumier ein Bindeglied zwischen alter und neuer
Kunst. Der Vortrag, der ungeteiltes Interesse erweckte, war
begleitet von einer großen Zahl schwarzer und farbiger Drucke,
die die Ausführungen des Vortragenden bekräftigten.

Daran schloffen sich einige Vereinsmitteilungen, besonders
über die fertigen, in Arbeit bestndlichen und noch zu hoffenden

Änderungen in der Ausstellungshalle sowie über die Aus-
stellungen; ans letzteren sei hervorgehobe», daß für die kunst-
gewerbliche Gruppe der Nürnberger Ausstellung (tgos) bereits
m Anmeldungen vorliege».

Zweiter Abend — den >5. November — Vortrag von
Prof. vr. Siegmund Günth er über „Die Kunst im Leben
der Naturvölker". Der Vortragende legte auf die um-
fassendste Weise dar, wie selbst den auf tiefster Stufe stehenden
Naturvölkern ein gewisses, ganz bedeutendes Kunstgefühl eigen-
tümlich sei, und beleuchtete in der mannigfachsten Art die ver-
schiedenen Äußerungen desselben. Die Bemalung und Täto-
wierung der paut, die Bekleidung und die Haartracht sind die-
jenigen Dinge, an denen wir dieses künstlerische Empfinden zu-
erst studieren können. Namentlich aber ist es natürlich die Be-
kleiduug, die zu einer künstlerischen Betätigung heraussordert.
die bestrebt ist, der Kleidung ihre Linförmigkeit zu nehmen und
auch eine gewisse individuelle Freiheit beobachten läßt. Die oft
wechselnde Körperbemalung und die dauernde Tätowierung
wolle teils den Körper bekleidet, teils schreckenerregend erscheinen
lassen; bei manchen Völkern dauert die Bemalung nur über die
Kriegszeit, bei andere» wechselt sie alle zwei Tage. Besonders
stark entwickelt ist die Tätowierung bei den Maoris, bei denen
speziell Stirne und Wangen mit kreis-, ellipse- und spiralförmigen
Hautnarben geschmückt werden. Line große Rolle spielen die
Haartrachten; die reichsten Frisuren finden sich bei den Afri-
kanern, deren krauses Haar sich mehr dazu eignet als das-
jenige anderer Naturvölker. Kein Volk ist ferner damit zu-
frieden, daß Gebrauchsgegenstände und Waffen, Schiffe und
Hütten lediglich so beschaffen seien, daß nur der nackte Zweck
damit erfüllt wird, sondern immer wünscht man, daß auch bei
diesen Dingen ein gewisses ästhetisches Gefühl seine Befriedigung
finde. Was auf diese Weise hervorgebracht wird, zeigt sehr oft
ein erstaunliches Maß von Begabung und zuweilen nicht minder
eine gewisse Verwandschaft mit unserem künstlerischen Lmp-
finden. Schmucksachen, Nasen-, Ghr- und Halsringe werden
oft sehr reich verziert, und in dem an Eisen reichen Afrika ist
sogar das Schmiedehandwerk relativ sehr hoch entwickelt. Diese
Regungen eines natürlichen Kunstgefühls finden sich überall
auf der Erde, sei es nun bei den Bewohnern der arktischen
Zone, im Innern Afrikas, in Australien, Amerika oder selbst
bei den wilden melanesischen Menschenfressern; sie treten allemal
auf, wenn ein gewisser Überschuß an Arbeitskraft und Zeit
vorhanden ist. Die Ausführungen des Vortragenden, denen
man mit größter Spannung folgte und die den lebhaftesten
Beifall fanden, führten die Anwesenden durch einen großen Teil
der bewohnten Erde und wiesen nach, daß sich überall bei
vielen Naturvölkern das Bestreben geltend mache, die rein hand-
werksmäßige Tätigkeit künstlerisch auszugestalten.

Programm für die nächsten Ivochenvcrlammlungen.

3. Januar: Vortrag von Prof. vr. K. Giesenhagen:
„verborgene Schönheiten im Pflanzenreich", mit
Lichtbildern.

;o. „ Ausstellung von älteren und neueren Posa-

menten re.

„ Vortrag von Konservator vr. W. A. Schmid:
„Die Denkmalpflege in Bayern."

Verautlv. Reo.: p'rof. L. Gmelin. — herausgegeben vom Bayer. Aunstgewerbeverein. — Druck und Verlag von R. Vldeubourg, München.
 
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