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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 64.1913-1914

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Naumann, Friedrich: Werkbund und Handel, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.8767#0166

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werkbunö un- Handel

von Zrie-rich Naumann sZortsetzung)

Rein Kaufmann kann nur waren erster
Güte verkaufen, da es von jeder Sache nur eine
kleine Menge allererster Erzeugnisse gibt. Auch sind
die allerbesten waren für die allermeisten Käufer
zu teuer. Es muß auch das geringere Holz an den
Mann gebracht werden, wenn man den Wald ab-
holzt, und das geringere Fleisch, wenn man das
Rind schlachtet. Es gibt nicht nur beste Kohle, und
für viele Zwecke ist sie, volkswirtschaftlich und privat-
wirtschaftlich betrachtet, viel zu gut. Auch die ge-
ringeren Böden wollen ihren Ertrag zu Markte
bringen und auch die geringeren Arbeitskräfte
wollen leben, wer also den richtigen Gedanken der
Qualitätsverbesserung dahin überspannen wollte,
daß er gegen alle mittlere und geringere Arbeit
überhaupt einen Krieg führen wollte, der würde
sich mit den unveränderlichen Vorbedingungen des
Menschenlebens in Widerspruch setzen. Auch der
saure wein will getrunken werden, wenn er einmal
gewachsen ist, und auch die kleinen Kartoffeln
müssen irgendwo Unterkommen. Selbst Abfalls-
industrien sind nicht grundsätzlich zu verwerfen, denn
sie sind volkswirtschaftliche Sparsamkeitsanstalten.
Aber! Ls ist nicht nötig, daß alle festen und lang-
jährigen Hölzer durch leichte kurzfristige verdrängt
werden. Es ist nicht nötig, daß halbfertige Ferkel
gegessen werden. Ls ist nicht richtig, daß Tausende
von Menschen an Geweben arbeiten, die gar nicht
halten können. Es ist nicht richtig, Teppiche herzu-
stellen, die im nächsten Jahre schon Lappen sind.
Man braucht nicht jeden Schund zu drucken, den
jemand schreibt. Man braucht nicht Schränke zu
verkaufen, die nach einiger Zeit wie geborstene
Kisten aussehen. Mit anderen Worten: die Natur
können wir nicht ändern, aber ihre Verarbeitung
kann mit mehr verstand erfolgen.

Ls ist volkswirtschaftlicher Unverstand, Arbeit an
waren zu verwenden, die weder einen Gebrauchs-
noch einen Schönheitswert haben. Ls ist Betrug,
einen Gebrauchswert vorzutäuschen, der nicht vor-
handen ist. Man soll an jeden Naturstoff diejenige
Arbeit wenden, die seiner Güte entspricht. Das alles
ist natürlich leichter gesagt als durchgeführt. Aber
es muß gesagt werden, damit es durchgeführt wird.
Beides muß vermieden werden: sowohl die Ver-
geudung wertvoller Stoffe durch liederliche Arbeit
als die Anhäufung langer Mühe auf Dinge, bei
denen es sich nicht verlohnt.

wer Augen hat zu sehen, der sehe! Er gehe in ein
beliebiges gewöhnliches Kaufhaus und sehe, wieviel

vergebliche Menschenarbeit ihm angeboten wird:
Wäsche für einen Sonntag, Lederwaren ohne Leder,
Spielzeug mit dem Tod im Gebein! Das alles
würde nicht sein, wenn Hersteller, Verkäufer und
Käufer «Dualitätsgefühle im Leibe hätten. Man
begreift ohne weiteres, welche große Aufgabe hier
vorliegt, eine nationale und internationale Lr-
ziehungsaufgabe ersten Grades.

Der Kaufmann aber spricht: ich gebe zu, daß
Minderwertigkeiten auf meinen Tischen liegen;
vielleicht weniger als ihr denkt, aber immerhin,
ich gebe es zu! Dann aber fährt er fort: was wollt
ihr aber mit mir rechten, der ich eben nur ver-
m i t t l e r bin? Geht hin und sprecht mit den
Herstellern und mit den Käufern, denn sie sind die
Schuldigen! Der Kaufmann lehnt es ab, für die
Unkultur verantwortlich zu sein, die durch seine
Hände und Bücher geht.

Er lehnt es ab, wir aber antworten ihm, daß er in
doppelter weise mitverantwortlich ist, da er nach
beiden Seiten hin großen Einfluß ausübt. Ls ist
doch in der Tat nicht so, als ob er willenlos alles an-
nähme, was ihm von der Herstellung angeboten
wird, und auch nicht so, als ob das Publikum nicht
von ihm geleitet würde.

In hundert und mehr Fällen drückt der Kaufmann
die Dualität der waren tiefer als es dem Hersteller
lieb ist. Er verlangt gutes Aussehen bei geringerem
Gehalt. Der ganze verhängnisvolle Zug zur
Scheinware stammt zu einem guten Teil aus den
Linkaufsbureaus der Grossisten und Agenten. Man
kann von Fabrikanten schmerzliche Äußerungen
darüber hören, zu welchen Kniffen sie vom Wieder-
verkäufer gedrängt werden. Ihnen wäre es in
vielen Fällen viel lieber, etwas Reelleres zu ar-
beiten, aber sie hängen vom Kaufmann ab, von
dem Manne, dem die Dualität grundsätzlich gleich-
gültig ist.

Und auch das Publikum hängt vom Kaufmann ab.
Ls lernt an den Schaufenstern, was es gibt. Da
erfährt es erst, was für spottbillige, hochnoble
Sonnenschirme, hüte, Schlipse oder Taschentücher,
was für halbgeschenkte Taschenuhren, Trauringe
oder Bilderbücher man überhaupt kaufen kann,
von selber verlangt kein Publikum diesen Kram,
wenn er ihm nicht vorgelegt wird.
Selbstverständlich hat der Kaufmann ein gutes
Recht, uns darauf hinzuweisen, daß auch er unter
einem Zwange handelt, da er der Konkurrenz
unterworfen ist. Er lebt nicht allein in der Welt,

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