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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 65.1914-1915

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Steinlein, Stephan: Internationale Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik in Leipzig, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.8768#0038

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ist ein ungeheurer Sprung vorwärts, die Tat eines
genialen Menschen. Schon vom rein technischen
Standpunkt betrachtet, sagt Unger, muß Guten-
bergs bedeutende Erfindung des Stempelschnittes,
der patrizen- und Matrizenherstellung, der außer-
ordentlich verwickelten Schriftgießerei, des Setzens
und Drückens in der Presse als eine der größten
gelten.

Was bei den mehr oder minder roh in ganze polz-
tafeln geschnittenen Schriften der Blockbücher über-
haupt nur höchst unvollkommen gelingen konnte,
sich auch nur einigermaßen in vergleichsweise zu-
reichender Art an die hohen Traditionen der manu-
ellen Schreibkunst anzunähern, gelang Gutenberg
durch die in Stahl geschnittenen Patrizen. was
dem Material und besonders auch noch dem tech-
nischen Unvermögen damaligen Schneidens in polz
durchaus versagt bleiben mußte, die Feinheiten
der geschriebenen Formen getreu nachzubilden,
gelang durch Gutenbergs Tat, die jeweilig einzelne
Form des Buchstabens besonders in Stahl zu
schneiden und aus der Matrize wiederholt gleich-
geformt in Letternmetall zu gießen. Gutenberg
schuf als einzelner „ein neues Kunsthandwerk" in
prinzipiell beinahe „abschließend vollkommener
weise, so daß vieles auch heute noch nicht anders
gemacht wird, als es von ihm geübt wurde, und
das übrige im wesentlichen mehr als 372 Jahr-
hunderte von Verbesserungen fast unberührt blieb.
Erst im Jahrhundert des Dampfes und der Elek-
trizität entstanden auch hier Neuerungen. Aber
auch diese erstreckten sich nur auf die Weiterent-
wicklung der maschinellen Hilfsmittel und einzelner
technischer Verrichtungen. In künstlerischer pin-
sicht hat Gutenberg unübertroffen gearbeitet".
Unter allen Erfindungen, deren prinzipielle Neue-
rung darin beruht, rein handerzeugte Arbeit zu
ersetzen und auf mehr oder minder mechanischem
Wege herzustellen, bilden die Erstlingswerke des
Buchdruckes eine einzigartige Ausnahme, wenn
irgendwo, ist mit ihnen der seltene Fall gegeben,
daß ein Erfinder sich in der glücklichen Lage befand,
den höchstwertigsten Erzeugnissen menschlicher pand-
und Kunstfertigkeit, in diesem Falle den durch lange
Jahrhunderte währenden, zur Sicherheit gereiftesten
Könnens herangewachsenen Werken der Schreib-
kunst, völlig Ebenbürtiges an die Seite zu stellen;
mit pilfe mechanisch-technischer Prozeduren ästhetisch
Gleichwertiges maschinell zu erzeugen, was vor-
dem nur hochentfalteter Kunstfertigkeit so zu
schaffen gelungen war.

Nicht leicht wäre eine verwandte Sachlage zu
nennen, woran sich auch nur annähernd so ein-

dringlich erhärten ließe, wie gewaltig hoch die
vorteile unmittelbarer traditioneller Anknüpfungen
anzuschlagen sind, wie oft hat im Laufe der
Zeiten der Verlust solcher Überlieferungen das
perabsinken auf die frühesten Stufen handwerk-
licher und künstlerischer Ausdrucksmöglichkeiten zur
Folge gehabt. Das Erlöschen solcher Traditionen
ward nicht einmal nur im geschichtlichen verlauf
zur Ursache, daß nach einem Jahrhundert, ja oft
noch nach längerer Dauer erst und nach härtesten
Mühen langsam wieder errungen werden mußte,
was vordem schon zu hoher Reife in ununter-
brochener Folge gediehen war.

Durch die glückliche Lage der Dinge war es Guten-
berg möglich gemacht, an die reifsten Erzeugnisse
der Schreibkunst anzuknüpfen, und so gelang es
ihm, durch Nachbildung der besten Schriftformen
auf technisch-mechanischem Wege die pöhe ästhetisch
gleichen wertes mit den handgeschriebenen Er-
zeugnissen seiner Zeit zu behaupten. Daß ihm
nicht möglich ward, den vollen Reiz, die erlesene
Schönheit des von den Initialenmalern und Mini-
atoren erreichten Schmuckes im Druckwerk nach-
ahmen zu können, hatte zur Folge, daß eine Tei-
lung der Arbeit sich als nötig erwies, die in anderer
weise ja ohnedies auch vorher schon geboten war;
Textschreiber, Rubrikator, der Schöpfer der far-
bigen Großinitialen, und der Miniaturmaler waren
verschiedene Personen. Nur die lange Dauer und
der einheitliche Stilwille jener Perioden läßt uns
diese Werke zumeist als harmonische Schöpfungen
eines einzelnen erscheinen.

Mit steigender Verbreitung des Bücherdrucks fing
die so reiche und formenvielgestaltige Kunst des
Schreibens an zu verfallen. Die Renaissance pflegte
das geschriebene Buch allerdings als Luxus-
erzeugnis noch weiter, als gewandelter Stilwille
auf ihrer pöhe sich um neue Schriftformen mühte,
war die lebendige (Quelle der Schreibkunst all-
gemach versiegt. Man begann in Italien und
Deutschland reine, abstrakte Formen der Antiqua
und auch der deutschen Frakturschriften mit „Zirkel
und Richtscheit" zu konstruieren. Durch Jahr-
hunderte zehrte man dann noch von jenen Grund-
formen der Schriften, die unzerstörbar erschienen,
bis mit dem Beginn des ty. Jahrhunderts der letzte
Faden der Überlieferung zerrissen, bis die Schreib-
kunst entartet und völlig vergessen worden war,
daß die Drucktypen ursprünglich aus der reichen
Fülle handschriftlichen Könnens das Beste ihres
Lharakters entlehnt hatten. Mit der rein zeich-
nerischen Perstellung der Druckschriften jener Tage
aber erlosch nun auch der letzte Rest ehemaligen

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