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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 65.1914-1915

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Steinlein, Stefan: Wandlungen in der Architektur
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https://doi.org/10.11588/diglit.8768#0223

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Wanölungen in -er Architektur

I.

Zu den vielen fragen, denen man seit den ver-
flossenen Kriegsmonaten Antworten sucht, gehören
auch eine große Reihe, die sich mit der Zukunft
der Architektur befassen. Hoffnungen und Befürch-
tungen schließen sich analogisch an Perioden an,
welche nach großen Ereignissen im Völkerleben ein-
setzten. Die näher liegenden Einflüsse der Jahr-
zehnte nach dem Kriege von *870 sind es meist,
welche bewußt oder unbewußt solche Spekulationen
über mögliche oder notwendig scheinende Wand-
lungen leiten. Ob nach dem zu erwartenden Frie-
den die von den Linen verkündete und ersehnte
Erneuerung im „nationalen" Sinne erfolgen wird,
oder ob, wie andere fürchten, eine „ungesunde"
Entwicklung auf den unsoliden Fundamenten einer
möglichen wirtschaftlichen „Gründersitnation" ent-
stehen müsse, darüber wollen die folgenden Be-
trachtungen keine Auseinandersetzung versuchen;
darum schon nicht, weil der verfügbare Raum
nicht einmal zur aphoristisch allgemeinsten Ord-
nung aller Probleme genügen könnte, welche als
Kern solcher Fragestellungen zu betrachten wären.
Daß Fragen über die Zukunft der Architektur in
diesen Tagen auftauchen mußten, ist nicht, wie
manchen scheinen möchte, rein zufälliger Natur und
weit weniger noch eine äußerliche Form der An-
passung an die lediglich durch die Kriegsgescheh-
nisse gegebenen Zwangsläufigkeiten des Denkens,
oder gar nur durch geschäftliche Erwägungen allein
bedingt, etwa durch die Absichten bestimmt, die
man sonst kommerziell unter dem Schlagwort des
Aktuellen begreift.

Nicht grundlos hoffen wir durch die gewaltigen,
vielgestaltigen Erschütterungen auf eine Erneue-
rung des Kulturgedankens. wenn nun Geschichte
irgendwie zu belehren vermag, so zeigt sie, daß
bedeutsame Wandlungen der Baukunst immer ver-
bunden waren mit voraufgegangenen kulturellen
Neuerungen. Auch in neuerer Zeit, nach den sieb-
ziger Jahren, ging von München jene Bewegung
aus, welche mit der national betonten Ausstellung,
„Unserer Väter werke", einsetzte, deren Anregungen

ihren raschen Weg durch das neue Reich machten,
wenn auch ihre Erfüllungen sich weit von den
wohlgemeinten Theorien durch die praktischen Er-
folge entfernten.

Nach der Reichsgründung entstand die Forderung
einer „Deutschen Kunst". Auch in diesen Tagen
erneuern sich programmatisch verwandte Postulats.
Doch sind die augenblicklichen Gedanken und Theo-
rien darüber so wenig mehr die gleichen, als die
prinzipiell-ästhetischen Standpunkte es noch sein
können; ein halbes Jahrhundert der weit- und tief-
greifendsten Wandlungen, nach Wunsch, Wille und
Können durchaus verschieden, trennt uns von jenem
ersten Jahrzehnt nach *870.

II.

Nach den Befreiungskriegen vor hundert Jahren,
nach dem Elend der napoleonischen Kriege, waren
die Architekten mehr als alle anderen Künstler „auf
das Gebiet der Träume verwiesen, wenn sie sich
schöpferisch betätigen wollten". Nicht unbedeutende
Männer, deren Lntwicklungsjahre noch in das Ende
des *8. Jahrhunderts fielen, wurden durch Un-
gunst der Zeiten und Wandlungen der Ideen und
des Geschmackes gleicherweise um Wirkung und Ein-
fluß gebracht. Nur wenige Namen sind uns aus
jener Zeit bekannt, deren tiefere allgemeine Kennt-
nis uns heute noch fehlt. Mit allgemeinen Worten
charakterisiert, stand man ja zu Ende des *8. Jahr-
hunderts in Deutschland noch immer unter franzö-
sischem Einfluß, wenige Jahre vor *770 trat Her-
der mit Schriften hervor, das folgende Jahrzehnt
trug feine Wirkung auf die Jüngeren schon ins
Breite. Das junge Deutschland der Stürmer und
Dränger wendete sich gegen den aristokratisch-höfi-
schen Klassizismus, dem Form vor dem Inhalt
galt; revolutionär-demokratisch betonte man im
volkstümlichen die inneren werte; bewußt die
bloße pflege der Form um ihrer selbst willen ver-
nachlässigend und bekämpfend, suchte man die wur-
zeln aller leeren Nachahmung zu zerstören. Lessings
scharfe Kritik zersetzte den französischen Klassizismus
und zeigte mit messerscharfer Gedankenklarheit,

Kunst und Handwerk. 65. Jahrg. Heft \2.

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