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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 66.1915-1916

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Karlinger, Hans: Altes Kupfer
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https://doi.org/10.11588/diglit.7140#0186
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Mes Rupfer

von vr. Hans Karlinger

Der Durchschnitt unseres täglichen Lebens hat doch
recht wenig von dem, was man Stil nennt. Man
umgibt sich heute mit Möbeln von Künstlerhand,
man kleidet sich nach künstlerischen Entwürfen, man
legt wert darauf, daß der Bucheinband, der Bilder-
rahmen u. a. künstlerischer Herkunft sei, aber was
nützt all das dem Alltag, wir verlangen „Zweck-
kunst" im Haushalt und vergessen dabei das Hand-
werk. Die Kunst bleibt immer dem, der sichs leisten
kann, wenn der sie begehrt. jn die mittlere oder
Sar untere Schicht unseres Volkes dringt schon fast
nichts, wer gäbe auch heute dem Handwerker Zeit
und Geld, damit Stil in feine Produkte komme.
kVer in der Durchschnittswelt hat überhaupt viel
übrig für den Handwerksmeister gegenüber der
Fabrikware.

Auf solch unzeitgemäße Gedanken wird man un-
willkürlich gestoßen, wenn man rückwärts schaut
auf altes Kunstgewerbe. Mag der moderne Mensch
noch so bedauernd lächeln über den zurückgeblie-
benen Standpunkt des Lobes auf die alte Zeit,
über ein Nachdenken kommt der Geschichtschreiber
nicht hinaus, der auch nur ein wenig unter die
Oberflächen von einst und jetzt schaut.

Der kommende Morgen ist der Feind der vergan-
genen Nacht. Der Satz hat sein gut Recht. Der
schaffende von heute darf nicht auf ehegestern
ichauen, will er nicht seine Kraft verlieren. Aber
„der Initiator stirbt oder wird abtrünnig", sagt
Heinrich Heine in einer seiner besten Schriften. Es
ist schwer, zu schaffen, schwerer, dem Geschaffenen
Recht zu tun.

Eines hatte aber doch das Alte vor dem Neuen
voraus, das zu bekannt ist, als daß man viel da-
von reden sollte, und bekannt genug, um es in
der Regel zu verschweigen: die Einheit der Bahn.
Ritsch hat's immer gegeben, aber solange man ihn
mit der Hand machen mußte, durfte er sich nicht
ic> frech breit machen, weil er nicht bezahlt worden
ö,“re- „Das Gute ist das Billigste", der Satz be-
währt sich im Hubwerk hundertmal mehr wie in
der Fabrik und von elfterem hat ihn sich das mo-
derne Kunstgewerbe geholt.

Hgl. Hans Stegmann, Zur Geschichte der verzierten
essingbecken, Mitteilungen aus dem Germanischen National»
wuseum, *899, S. uff. — L. Meyer, «upferschmiederei
c>nfl und jetzt, Hannover *9*4, Festschrift. — ö?. Stengel,
llketallbeschlagnahme und Kunstschah, „Die Woche" *9*5,

4*, S. *469—7*.

von altem Küchengerät will das Folgende erzählen.
Mag Altertümelei dahinterstecken, ich weiß nicht,
ob einmal eine wand voll Email- oder Aluminium-
geschirr ebenso gefallen wird, wie blinkendes Kupfer,
jedenfalls ließe sich darüber streiten. Schließlich
kann sich alles zur schönen Form entwickeln mit der
Zeit, wir werden heute an keiner Tafel gegen-
über dem Porzellan das Zinngeschirr vermissen und
denken nicht mehr an den weiten weg, der vom
Zinnteller über die Fayenceschüssel zum heutigen
Teller führt. Das Material allein tuts nicht, und
der Städter des f6. Jahrhunderts braucht darum
keine höhere Kultur besessen zu haben wie der von
heute, weil für ihn das Zinn Gebrauchsstoff, für
den modernen Ziermaterial war.
was anderes ifts um die Arbeit. Man kann sich
lang auseinandersetzen über den wert maschineller
oder manueller Herstellung und doch zu keinem
Resultat kommen. Das Gefällige eines alten Ge-
brauchsgegenstandes liegt noch nicht so sehr an
seiner Ausführung als in der Gedankenwelt, die
diese verkörpert. Das technisch Formale spricht
wohl wesentlich mit, aber zuerst kommt es auf
die jdee an. Kurzum, man kommt nicht los vom
Stil.

Maschinenarbeit hat ihren Stil wie Handarbeit.
Aber elftere ist das junge und unreife, das un-
erprobte noch heute, letztere die Tradition. Alte
Formen gedeihen nicht auf fremdem Boden. Es
wäre darum verfehlt, von der Gegenwart zu ver-
langen, die Art des Alten auf das Moderne zu
verpflanzen. Aber so gut vergangene Zeiten ver-
gangene Motive wieder belebten — erinnert sei
etwa a*r die romanisierenden Anklänge in der Ge-
schichte des deutschen Kunstgewerbes der ersten
Hälfte des f6. Jahrhunderts —, kann die moderne
Kunst an der alten sich erfrischen.

Die Auswahl der Küchengeschirre auf Seite ssg—202
gewährt etwa ein Durchschnittsbild dessen, was das
*7. und f8. Jahrhundert an Gebrauchswaren er-
zeugte. Einfaches Gerät, keines, das etwa seinem
Lharakter nach der üblichen Auffassung von altem
Kunstgewerbe entspräche und doch selbst das ein-
fachste geadelt durch die Art seiner Ausführung.
Eine Formenwelt eigener Art, in ihrer persönlichen
Erscheinung ebenso ausgeprägt wie fernstehend
dem werk großer Kunst oder dem jndifferentismus
des Massenartikels. „Zweckkunst", aber ohne Prä-
tension.

und Handwerk.

«6. tzahrg. Heft 7/8.

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