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doch noch straffen und logisch-tektonischen Stil der
späten Renaissance erstehen lassen, in dem neben
einer festgegliederten Architektur Platz war für
die redselige, schaulustige und farbenfrohe Erzäh-
lungskunst der pumanistenzeit. Die Neuerstehung
konnte nicht in einem einfachen Kopieren oder
Perausholen bestehen, sondern mußte ein nach-
fühlendes Schaffen, eine Wiedergeburt sein, die aus
Beobachtung und künstlerischer Intuition heraus
aus kümmerlichen Resten und trockenen Beschrei-
bungen eine neue Welt erstehen lassen sollte,
wesentliche Teile, vor allem die ganze Westfassade
(S. 38) sind völlige Neuschöpfungen Brandes', da
sie ganz beseitigt waren, vor allem hieß es, das
architektonische Gerüst' in zurückhaltenden, doch
unterscheidenden Farbtönen aufzubauen, was sich
hauptsächlich aus großzügige Zusammenfassung der
Geschosse durch Säulen, kluge Einordnung der
Fenster in das Svstem und festen palt innerhalb
Sockel und Dachgesims erstreckte (S. 38 u. 3g).
Dazwischen wurden wandteppichartig die großen
pistorien, die an Augsburgs und ihrer Weberzunft
Geschichte anschließen, eingespannt. An der Ost-
seite (S. 38) finden wir das größte weltgeschicht-
liche Ereignis, das vor Augsburgs Mauern spielte,
die Ungarnschlacht auf dem Lechfelde im Jahre 955
und darunter den Einzug des Kaisers Otto und des
hl. Bischofs Ulrich in die Stadt sowie die Ver-
leihung des ungarischen Schildes an die tapfere
weberzunft. In schmaleren Zwischenfeldern stehen
statuarisch St. Ulrich und St. Afra (S. 46), die
Schutzheiligen der Stadt. Auf der breiten südlichen
Pauptsassade (S. 38 u. 39) treten an erster Stelle
die zwei großen Bilder aus der Geschichte der
Lukretia hervor, die als geschickte Künstlerin in
pandarbeiten gleichsam die heidnische Patronin der
Weber war. Aus dem einen sitzt Lukretia innerhalb
des Kreises ihrer fleißigen Frauen, auf dem andern,
das allein von diesen Bildern raumillusionistisch
die wandfläche durchbricht und in weite Säulen-
hallen und tiefe Stadtprospekte führt, kehrt der
Gemahl der Lukretia in feierlichem, pompösem
Aufzug in die Stadt Rom zurück. Ein drittes
schmaleres Bild zeigt eine Preisverteilung an
spanische Weberinnen, offenbar im Zusammenhang
mit den regen Beziehungen, die Augsburgs Pandel
gerade mit Spanien durch die Fugger und andere
Pandelshäuser hatte. Die westfassade (S. 44)
zeigt neben einer schönen Gruppe der parsimonia
zwei hängende Tafeln, die den Augsburger Pandel
in der Levante (S. 4t) und den pof eines Augs-
burger Kaufmannshauses in Anlehnung an den
Fuggerhof (S. 40) darstellen. Zwischen dein

und 2. Stock zieht sich die Reihe der fünf Weltteile
hin (S. 42 u. 43), die trotz des dekorativ gebundenen
Stils von einer humorvoll spielerischen Strömung
getragen sind, ein liebenswürdiges Lharakteristikum
Brandes', wie es auch an dein Friedrichshafener
Fries etwa an den: überlegen selbstbewußten
Patrizier gegenüber dem verträumt naiven Orien-
talen (S. 32) in anregendem Gegensatz steht. In
den Giebeln lebt dann die dekorative Veranlagung
in reinster Ausprägung iit den prächtigen Frucht-
kränzen nrit Putten uird den breit hingesetzten,
schwungvoll bewegten waxxenkartuschen (S. 37).
von kleineren Arbeiten soll besonders auf den Post-
reiter am Postgebäude aus dem Jahre t9M hin-
gewiesen sein (S. 58), der in seiner kraftvollen, selbst-
sicheren Form auch einprägsam für das Volk ist, das
ohne Zweifel in ihm etwas Ähnliches empfinden
wird wie an alten guten „pausmarken", die
unfern deutschen Städten früher das Familiär-
Anheimelnde gaben.

In St. Gallen hat er in dem Sitzungssaal für die
Schweizer Bundesbahnen rein dekorativ einen
Innenraum ausgemalt, der sich in Anlehnung an
Rokokomotive besonders durch seine Farbenstimmung
in Rot und Gelb auszeichnet (S. 30 u. 3t).

Auch in kleineren Tafelbildern hat sich Brandes
versucht. Das ihnr ans perz gewachsene Alt-Augs-
burg stellte vor seine Phantasie die vergangene
perrlichkeit der Reichsstadt, und in gemüt-
vollen Bildern erstanden die alten Tore mit ihrer
malerischen Architektur und ihren leuchtenden Fres-
ken, vor denen sich das emsige Leben einer reg-
samen Stadt entfaltete. Kurz vor den: Krieg
schuf er dann jenes ahnungsvolle Bild, in dem
der hl. Michael durch blühendes einsames Gefilde
trabt, während schon in der Ferne drohende un-
heilvolle Molken aufsteigen, ein Bild, in dem der
dekorativ bauende Künstler besonders stark zum
Ausdruck kommt.

wer die Mappen des Künstlers durchblättert, wird
nicht verwundert sein, daß dieser Mann auch kleinere
Tafelbilder schaffen kann. Er nimmt seine Arbeit
nicht leicht. Seine Methode ist streng gewissenhaft.
Unzählige Vorstudien werden gemacht, die in allem
Detail durchgearbeitet sind, bevor sie in große
Formen übersetzt werden. Man vergleiche etwa
die Naturstndie des hübschen Schwarzwälderkindes
(S. 55) mit ihrer monumentalen Verewigung
(S. 53 Mitte) oder etwa gar die schöne, herbe
Frauengestalt (S. 49) mit der großzügig stolzen
Vereinfachung auf dem padriansfresko (S. 48)
rechts). Dort alles gewissenhaft bis ins kleinste,
anatomisch richtig, wie er auch jede bekleidete Figur

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