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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 77.1927

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Kiener, Hans: Der Erweiterungsbau der Technischen Hochschule in München von German Bestelmeyer
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https://doi.org/10.11588/diglit.7094#0008

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treten. Daneben aber ist wertvoller Bedacht genommen
auf die Zusammenschau mit der Pinakothek.

Der Neureuthersche Bau war einer jener typischen
Bauten des 19. Jahrhunderts, die eine unglückliche
Mischform vorstellen: das breitgezogene barocke Risa-
litsystem liegt dem Bau zugrunde, im einzelnen aber
hat man an der isolierenden, begrenzenden Form-
gebung der Renaissance festgehalten. Die Folge ist,
daß solchen Bauten der große durchgehende Zug, der
große Atem fehlt. Es war der glückliche Gedanke,
sich vom Neureutherschen Zwitterwesen endgültig
loszusagen und in den beiden Flügelbauten edle, in
sich geschlossene Gebilde hinzustellen, die in der Zu-
sammenschau mit der Pinakothek für sich allein lebens-
fähig sind. Die wichtige städtebauliche Frage des Aus-
baues des Pinakothekgeländes wird durch diese Flü-
gelbauten in Fluß gebracht und in eine ganz be-
stimmte Richtung gewiesen.

Wie die Nachbarschaft der Pinakothek für die
städtebauliche Planung der Neubauten maßgebend war,
so sollte man meinen, ist es eine selbstverständliche
Forderung des künstlerischen Taktes, daß im Stim-
mungston der Neubauten sowohl auf den alten Teil
der Hochschule wie auf die benachbarte Pinakothek
Rücksicht genommen wurde. Die Gestaltung der Flü-
gel als schön proportionierte liegende Baublöcke mit
Bachem Dach, schlichter wie die Pinakothek, aber vom
gleichen Adel der Gesinnung, das war es, was hier not-
wendig war. Und es war die nötige Angleichung an
den alten Bau, daß Fries und Gesimse in gleicher Höhe
herumgeführt sind, daß in den Bogen das Motiv der
Bogen von Thiersch anklingt. Wichtig wäre es im
Interesse der Abgleichung des oberen lvonturs, daß
man die Attika auf dem Neureutherschen Mittelrisalit,
wenn sie einmal schadhaft wird, nicht ausbessert, son-
dern abträgt.

Aber innerhalb dieser notwendigen Angleichung
spürt man das groß Gesehene der ganzen Komposition:
die ruhenden wohltätigen Verhältnisse im ganzen wie im
einzelnen. Gerade weil die Fassade so schlicht ist, wirkt
auf der aufgehenden Mauer die Gegenform des pla-
stisch prachtvoll gegliederten, stark ausladenden Kranz-
gesimses so nachdrücklich und beruhigend. Die Mo-
delle zu den schönen, satten Girlanden des Frieses sind
von E. Pfeifer. Man spürt an diesem sehr edlen Ge-
simse die Liebe, mit der es wieder und wieder plastisch
ausprobiert wurde, das Feingefühl eines Architekten,
der gewohnt ist, nicht abstrakt, sondern plastisch und
räumlich zu denken. Der Bau ist „so ganz, so seiend“.

Der dreigeschossige Bau enthält in seinem Kern das
große fensterlose physikalische Theater, das sich
durch drei Geschosse erstreckt; vorgelagert nach der

Arcisstraße sind drei Vestibüle und Garderoben über-
einander. So kommt es, daß die dreigeschossige Fas-
sade an der Arcisstraße, die im Zusammenhalt mit den
alten Teilen des Baues unbedingt erwünscht war, auch
zwanglos und folgerichtig die äußere Erscheinung der
inneren Einteilung ist. Hat man durch die Vorhalle
mit den schönen reliefierten Wappenschilden auf den
Schlußsteinen, die aus der Klasse Wackerle hervorge-
gangen sind, das Vestibül betreten, findet man sich in
einer quergelegten dreischiff igen Pfeilerhalle von edlen
Verhältnissen mit grätigen Kreuzgewölben. Alles ist
rein weiß; aber es ist ein Weiß mit einem Stich ins
Warme, und die verschieden zueinander geneigten,
gekrümmten Gewölbefelder lassen eine ganze Skala
von verschieden schattiertem Weiß zur Entfaltung
kommen. Das Obergeschoß bringt die Abwandlung
des dreischiff'igen Vestibüls mit Pfeilern und geradem
quer- und längsgerichtetem Gebälk. Wichtig für die
klare Wirkung ist, daß das System der Pfeiler auch
auf die Fensterwand in Form von Pilastern projiziert
erscheint. Zwischen den Längs- und Querbalken ent-
stehen ganz klare Deckenfelder. Die Deckenfelder sind
etwas von den Viertelstäben des Gebälkes abgerückt.
Dadurch bekommt die Dicke der Balken die richtige
Wirkung und die Decke selbst erscheint leicht. Diese
Vestibüle sind ein Denkmal eines rein sachlichen und
sparsamen Stils. Es ist ein Beispiel aufgestellt, was man
mit völlig schmuckloser Architektur, ausschließlich
mit den reinen Mitteln der Baukunst, mit den Ver-
hältnissen erreichen kann. Der einzige Schmuck sind
die klaren geschmiedeten Ziffernblätter der
Uhren, besonders das eine plastisch reiche und schöne,
nach Modellen von Rauch in Messing getriebene im
Erdgeschoß (Abb. S. 3). Schlichte, einläufige Treppen
an den beiden Schmalseiten mit einfachen, aber von
lebendig geschmiedeten Gittern vermitteln die einzel-
nen Geschosse. Und es braucht gar nicht eigens gesagt
zu werden, daß die Art, wie so eine Türe proportioniert
ist, wie sie am Ende der langen Pfeilerreihe in der Wand
sitzt, dem Raume Würde und Haltung gibt.

Vom dritten Geschoß aus betritt man durch eine
der sieben Türen den großen physikalischen Hör-
saal. Man steht im obern Umgang und blickt durch
die schlanken, vierkantigen Pfeiler, die im Halbrund
die Decke stützen, auf die sich halbkreisförmig in die
Tiefe senkenden 19 Sitzreihen mit ihren izoo Plätzen
hinab und auf die zo Meter breite physikalische Bühne
hinüber. Dem 40 Meter im Durchmesser haltenden
Saal liegt das alte, in seiner Vernünftigkeit und Über-
sichtlichkeit bleibend wertvolle Schema des griechi-
schen Theaters zugrunde. Die hohe künstlerische Lei-
stung liegt im Verhältnis der geneigten Sitzreihen-

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