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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 77.1927

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Schinnerer, Adolf: Hans Thoma: Rede einer Gedächnisfeier der Akademie der Bildenden Künste in München am 18. Januar 1925
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Aphorismen von Adolph Bayersdorfer, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7094#0030

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spannt, wir kennen ihren Umfang zu wenig. So gibt
es in der ganzen neueren Kunst keine Schilderungen
des Hochgebirges, die den beiden Bildern glichen, die
er gelegentlich einer Schweizerreise ipop malte. Bis
ins hohe Alter hinein ist der Stil Thomas ein bestän-
diges Werden und Sichwandeln.

Ich komme mir ein wenig komisch vor als Anwalt
Thomas und es liegt nicht in der Idee unseres Festes
ihn zu verteidigen, wir wollen ihn feiern. Aber feiernd
möchten wir ihn erkennen, um ihn ganz zu besitzen.

Meister Eckehart, der mittelalterliche Mystiker, sagt
einmal: „Die Leute sollten nicht immer so viel nach-
denken, was sie wohl tun sollten, sie sollten lieber
bedenken, was sie sein sollen. Wären sie nur gut und
ihre Art, so möchten ihre Werke sehr leuchten. Bist
du gerecht, so sind auch deine Werke gerecht. Denke
nicht dein Heil zu setzen auf ein Tun; man muß es
setzen auf ein Sein.“ Diese Worte, die auch Thoma
gesagt haben, oder die in einem Brief van Goghs
stehen könnten, erklären uns das Wesen und die Wir-
kung von Thomas Kunst vielleicht am besten. Gewiß,
alle Anstrengungen eines langen, tatenreichen Lebens,
alles Probieren und Ausdenken, alles Reisen und In-
sich-aufnehmen galt nur dem Tun, aber die Frucht
aller Mühen ist für den, der sie aufnimmt, nichts an-
deres als der Spiegel eines Seins. Und dieses Sein ist
bei Hans Thoma von guter Art, darum „leuchten seine
Werke sehr“.

APHORISMEN VON AD

Die Kunst ist vorhanden. Sie ist ein selbständiges
Gebiet der menschlichen Tätigkeit und kann in ihrem
tiefsten Wesen nur verstanden werden, wenn man sie
vollständig von allen ähnlichen oder verwandten Ele-
menten getrennt hat. Nur derjenige kann die Kunst
ganz erfassen, welcher mit dem betreffenden Organ zur
Empfindung von Kunstwerken ausgestattet ist; dieses
Organ macht einen Teil unseres Gemütslebens aus und
ist beim einen mehr, beim andern weniger, bei manchen
Menschen gar nicht ausgebildet. Da aber das Kunstver-
mögen im schaffenden Künstler zweifellos a priori vor-
handen ist, obwohl es, wie jedes geistige Vermögen,
der Erziehung bedarf, so muß auch der Kunstsinn im
Zuhörer oder Beschauer von Anfang vorhanden sein,
und muß, da die Kunst selbständig ist, ebenso selbständig

Thoma schreibt über ein kleines Bildnis seiner
Schwester, das jetzt in Karlsruhe hängt: „Es ist ein
Bildchen, das tiefen Frieden atmet, es ist die Kunst der
Malerei darin, die nicht nach Bewegung und Unruhe
strebt, sondern die durch Schauen das Geheimnis der
Stille des Seins erfaßt“. Und bei Gottfried Keller heißt
es: „Gott hält sich mäuschenstill, darum bewegt sich
die Welt um ihn.“

Hans Thoma ist tot, aber sein Werk lebt und wir
sind seine Erben. Es sieht nicht so aus als seien wir
bereit und geschickt die Erbschaft anzutreten.Und doch
scheint mir nicht nur Wert und Gewicht unserer Kunst
davon abzuhängen, daß wir sie antreten, sondern auch
Wert und Zukunft unseres Volkes. Möge seine Stimme
uns rufen unter den Stimmen der Meister, von denen
Goethe spricht:

Doch rufen von drüben
Die Stimmen der Geister
Die Stimmen der Meister:

Versäumt nicht zu üben
Die Kräfte des Guten!

Hier flechten sich Kronen
In ewiger Stille
Die sollen mit Fülle
Die Tätigen lohnen
Wir heißen auch hoffen!

OLPH BAYERSDORFER

sein, das heißt, darf sich nicht von irgendeiner geistigen
Fähigkeit ab zweigen und darf nicht das Medium zur
Auffassung noch anderer geistiger Tätigkeiten sein.

Es ist demnach unmöglich, das Kunstwerk mit dem
Verstände zu begreifen oder mit dem dem Verstände
zu Gebote stehenden Ausdrucksmittel der Sprache so
zu analysieren und die Empfindung desselben mit Wor-
ten so wiederzugeben, daß die durch die Schilderung
hervorgerufene Anschauung kongruent wäre mit der
durch das Kunstwerk selbst erweckten. Nur mit dem
uns innewohnendenKunstorgan können wirdasKunst-
werk begreifen und natürlich finden, denn das Werk
ist zugleich auch die Erklärung seiner selbst und die
Sprache dieser Erklärung ist in keine andere Sprache

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